13.08.2011: Death Is Not Glamorous, Soul Control, Ritual, Lemuria, Endbringer, Evenworse, Cheap Girls - RISE FEST 2011, Musiktheater Bad - Hannover

13.08.2011
 

 





Erst den huckeligen Weg direkt am Sportverein vorbei. Dann die spießige Kleingartenkolonie hinter sich lassen, am Ende unter der zerfallenden Brücke durch und rechts der Straße folgen. Weiter. Immer weiter. Und wenn man in der bewaldeten Einöde nach gefühlten 6 Kilometern denkt, man hätte sich verfahren, taucht es auf: Das Musiktheater Bad in (oder bei?) Hannover. Einmal im Jahr wird dieser Weg bestritten denn einmal im Jahr feiert der wegbewanderte Mob hier das „Rise Fest“. Dass jener Mob sich heute bedeckt und exklusiv verhält, bemerkt man bereits durch die Anzahl der Autos und Fahrräder, die sich in Venue-Nähe befinden: Bandvehikel abgerechnet steht es 14 zu 8 für die Autos.

Im Inneren des Musiktheaters bewahrheitet sich das Übel: Vereinzelte Gestalten wippen good-will-mässig den Kopf zu den ruhigen Rocksongs des Italieners MAURY WOOD, der heute Akustikgitarre gegen Backingband getauscht hat. Wer die private Samstagslogistik heute verkannt hat, konnte zuvor bereits zu ENDBRINGER, SAILING ON oder den hellwachen 1000 DEGREES (ebenfalls aus Italien angereist) Clubluft schnuppern und sich mit etwas Glück nicht komplett alleine beim Circlepit verausgaben. Mit ruhiger Mine und dem Äußeren des fast perfekten Schwiegersohns bringt Maury ausdauernd und ehrwürdig zu Ende, was er als poppige Indiesongs auf die überschaubare Anzahl der Anwesenden herabgeworfen hat.

Weiter geht es im heutigen Line-Up, welches sich wegen kurzfristiger Absage der Belgier von WORMS FEED „nur noch“ aus zehn angereisten Acts zusammensetzt. EVENWORSE beenden die Distortionpause und spielen brachialen, angepissten und dennoch reservierten Hardcore, der Platz auf dem Barhocker sei einem Großteil der Gäste nicht verübelt. Nerviger Soundbrei, hallender Gesang und halbherzige Tanzeinlagen zweier (obligatorischer) Selbstdarsteller gestalten die Settime der Schweinfurter nicht wirklich angenehmer. Danach wird notgedrungen die Wartetaste gedrückt: Da sich tatsächlich alle weiteren Bands noch in der Reiseschleife befinden (oder gar noch eine auswärtige Show auf dem Nachmittagsprogramm stehen haben), gilt es, die Einöde vor oder einen der veganen Gyros-Wraps auf dem Festivalgelände zu genießen. „7km laut Navi“ heißt es – und nach wenigen Minuten prescht der polnische Sprinter auf den Vorplatz der Clubs. In Rekordzeit stehen die CHEAP GIRLS auf der Bühne, entschuldigen sich anständig und setzen mit Songs aus „My Roaring 20´s“ und „Find Me A Drink Home“ gut gemeint und druckvoll an. Das flüssige Grundgerüst aus Ian´s fast monotonem Gesang und der glatten Hintergrundarbeit von Drummer Ben und Gitarrist Adam klingt live noch etwas gebügelter und doch pfundiger als aus der Konserve. Eine gute halbe Stunde ist mit den humanen, garagenträchtigen Popstücken schnell gefüllt, dann wird Platz für die Tourgeschwister von LEMURIA gemacht.

Leider schaffen es auch die New Yorker um die liebliche Frontfrau Sheena nicht, sich gegen das Effektsyndrom des Technikers zu wehren: Trotz freundlicher Ansprache verlieren sich die mal trashig, mal poppig vertrackten Indienummern, zum Teil des frischen Bridge9-Releases „Pebble“ entstammend, mit der melodischen Frauenstimme im ätzenden Reverb-Effekt der PA. Gepaart mit dem eher raubeinigen Gitarrenspiel der zierlichen Brillenträgerin und der sehr „bequemen“ Stimmung im Saal ein weiterer Grund, Frischluftzufuhr vorzuziehen. Auch vor alten „Rise Fest“-Haudegen macht das technische Versagen heute nicht Halt: RITUAL, ihrerseits bereits einschlägige Gäste in 2010, werden einerseits auf Gitarristenseite vom Pech verfolgt, andererseits genauso Opfer des Mischers, so dass die Gesangslinien eher an eine Stadionrockband der 80er erinnern, als an den tragend-drückenden und tiefgehenden Hardcore, den sie zuletzt auf „Paper Skin“ und live u.a. mit „The Coldest Shoulder“ zum Besten geben. Trotz deutlicher Sympathiepunkte und rundum solider musikalischer Haltung (trotz des technischen Disasters) bleibt nicht allzu viel von dem knapp 40-minütigen Set der Rheinländer hängen. Nach eifrigen Danksagungen und schweißtreibendem Finale (zumindest auf der Bühne) räumen auch Phillip, Julian und Co. den Saal, der sich zwar einigermaßen ansehnlich gefüllt hat, aber immer noch zu groß und leer scheint, um dem emotionalen und rotierenden Set von SOUL CONTROL aus Rhode Island würdig zu werden.
Die amerikanischen Tourkollegen von RITUAL gießen ihre kochende Masse aus treibenden Spannungsbögen, sludgigen Gitarren und kantigen Midtempoeinlagen über Bühne und Publikum und während Schreihals Rory Van Grol sich nur mit spärlicher Plastikshort bekleidet vollends und extrovertiert verausgabt, bricht sich Gitarrist Jim an die Decke starrend durch die Songwalzen zwischen altem Pfeffer und neuem, gratigerem Material. Dank des durchgängigen Dauereinsatzes der vier Amis bleibt das Set von SOUL CONTROL lebendig, bricht jedoch keinen spielerischen Spannungsrekord.

Draußen hüllt eine Menschentraube den neueröffneten Handel ein: DEATH IS NOT GLAMOROUS haben das Gelände erreicht und während Sänger Christian in neue Dimensionen des Multi-Tasking vordringt (Merchandise verkaufen, den Van ausräumen, essen, Unterhaltungen führen...), präsentieren die Norweger von Bassistenseite neue Bart-Trends, fachsimpeln über szene-übergreifende Themen und sind die Ruhe in Person(en). Nach Stärkung und Umbaupause geht es dem Bad dann endlich an den Kragen: Mit den ersten Tönen der heute nur als Quartett anwesenden DEATH IS NOT GLAMOROUS wird deutlich, worauf die Meute gewartet (oder schwer jugendlich drauf hingesoffen) hat. Zu „Clear Lines“, „The Fallback“ oder „Second Step“ dreht das Rise Fest zum Schluß doch noch die Schleusen auf und feiert mit der Sahnecreme des skandinavischen Hardcorepunk eine würdige und ausdauernde Barfußfete. Die Osloer geben auch zu viert alles, leider schafft es lediglich ein Song des neuesten Releases „Spring Forward“ auf die Liste. Energie, Spielfreude und Leidenschaft werden von Christian Medaas und Kollegen in ein neues Licht gerückt, pausenlos und 110% rast die rote Kappe durch das Publikum und findet kaum den Weg zurück auf die Bühne. Den Hitkatalog von „Soft Clicks“ bis „Undercurrents“ und andersrum also nahezu komplett und leistungsstark abgefrühstückt und den unangenehm volltrunkenen Kindermob bestmöglich ignoriert, gibt es noch eine Highspeed-Version von NOFX´ “Linoleum“ als Gute-Nacht-Gruß mit auf den Weg. Die Version des Rise-Fest 2011 als erdachtes Resümee, während der Rückweg wieder mit gefühlten Weltreisen aufwartet, erinnert an das allseits bekannte „Warten aufs Christkind“: Viel flaue Spannung über einen langen Zeitraum, Bedenken, Enttäuschungen – doch dann: Der eine Highlight-Moment, der für all das entschädigt. DEATH IS NOT GLAMOROUS sei Dank.