21. - 23.03.2015: Musink Tattoo Convention & Music Festival - OC Eventcenter - Costa Mesa, CA

23.03.2015
 

 

„All Ages“ hin oder her - so richtig als Familienevent will sich das Tattoo- und Musikfestival im kalifornischen Costa Mesa nicht entpuppen. Zehn Minuten vom Pazifik entfernt thronen Rockstars und solche die es bald - aber um jeden Preis - werden wollen, bekannte und weniger bekannte Tätowierer sowie eine hauptsächlich feierfreudige Gemeinschaft aus Locals und Angereisten um die Wette. Schon weit vor Beginn des Weekenders verraten die Ticketpreise auf den einschlägigen Wiederverkaufsseiten das inoffizielle Highlight: Den zunächst einzigen bestätigten Auftritt von BLINK 182 zusammen mit Matt Skiba, der von Praesentator Travis Barker und Kollege Mark Hoppus dem ALKALINE TRIO entliehen wurde. Zunächst aber läuft der Freitag gemächlich an. Die Hallen füllen sich langsam, die Lebern einiger Besucher hingegen zu schnell. Der Nachmittag vergeht zäh und wie in Zeitlupe, bis THE INTERRUPTERS mit ihrem Skapunk/Mod-Gemisch Laune und Alternativprogramm bieten. „The Hangar“ ist wahrlich ein riesiger solcher mit mächtigem installierten Soundsystem, das in überlegter Manier auch die letzten Reihen vor den Toren beschallt. Während drinnen Künstler aus Kanada, dem Mittleren Westen oder Mexiko ihre Stände aufbauen, begeistern zunächst die New Yorker SICK OF IT ALL mit Standardansagen wie aus dem Lehrbuch („Seid ihr gut drauf?“ „Habt Ihr Euch schon tätowieren lassen?“) - dann machen RANCID den Sack mit insgesamt achtzig gestapelten Hitminuten dicht. „Red Hot Moon“, „Radio“, „Old Friend“, „Nihilism“, „Olympia, WA“ - kein Shirt soll trocken, keine Kehle verschont bleiben.




Lars Frederiken und Tim Armstrong genehmigen sich kein Lächeln, dafür aber ist der prallgefuellte Hangar umso infizierter und bittet zum feuchtfröhlichen Abriss. Wer es sich leisten kann, schleudert volle Bierbecher durch die Gegend (13 Dollar pro halber Liter), wer nicht, der tut wenigstens so. Immerhin ist dies Orange County und MUSINK - demnach gibt es offenbar einiges zu beweisen.




Der Samstag kommt schneller in die Gänge, in beinahe jeder Parzelle der Doppelhalle gibt es farbige oder schwarz-graue Tattookunst zu bestaunen, dazu kommen Piercings, zahlreiche Schmuck- und Accessoires-Anbieter, die oberamtliche LOW & SLOW CAR SHOW und natürlich besagte - nun ja - Rockstars wie etwa CRAZY TOWN’s Shifty Shellshock, der den Fremdschampokal spielerisch mit seiner alleinigen Anwesenheit gewinnt. Eher spärlich sammeln sich treue Fans und Punk-Touristen dann zur handwerklich und gesanglich erstklassigen Performance von IGNITE und Sänger Zoli, der nicht bloss für seine PMA- und Aktivitaets-Werbung verdienten Applaus erntet. „Sunday Bloody Sunday“ und „Fear Is Our Tradition“ finden beinahe mehr Anklang als die nachfolgende Comedy-Punkshow von OFF! aus Los Angeles. Keith Morris lehrt die Prinzipien des Abends („Habt Ihr Spass? Wunderbar - denn das ist mit der Hauptgrund, warum man uns hierher eingeladen hat“), überrascht mit schizophrenen Tanzeinlagen und freut sich für Basser Stephen McDonald und dessen Interaktion mit den jüngsten Zuschauern am Bühnenrand. Erneut gilt: Wer es ernst meint, betrinkt sich aufs Äußerste und bandelt mit Playboyhasen oder den netten Menschen aus dem Rockstar Energydrink-Zelt an, der übrige Mob feiert ausgelassen das Set von BAD RELIGION. Keine Frage - „No Control“, „Fuck You“ und „Supersonic“ halten, was sie versprechen, dennoch steht dem Hangar mit dem Sonntag noch ein ganz anderes Kaliber bevor.




Gute sechs Stunden bevor dieser am finalen Tag der achten Ausgabe des MUSINK Festivals seine Tore öffnet, campen bereits aufgeregte junge Damen und Herren in der prallen Sonne und bieten einen tollen Kontrast zu gesichtstätowierten Clowns, beinahe barbusigen, wandelnden Plastic-Surgery-Werbeschildern und müden Tattoo-Kuenstlern, die sich hier und da über den eher spärlichen eigenen Einsatz am Wochenende beschweren. Als PRAYERS mit ihrem Elektrorockclash um 18:30h praktisch niemanden interessieren oder begeistern können, sind die ersten Custom Cars schon wieder auf dem Heimweg, einige selbstbedruckte „Fuck Tom“-T-Shirts ausgemacht und nicht bloss vereinzelte RANCID oder BAD RELIGION-Motive auf manchem Köperteil verewigt. „Let’s fucking party!“ meint YELAWOLF im Anschluss und präsentiert neben seinem neuen Jesus-Backpiece („Acht Stunden hab ich letzte Nacht hier gesessen!“) auch „Push 'Em“ oder „Whiskey In The Bottle“. Dazu trommelt Travis Barker das erste von zwei Sets am heutigen Abend und erntet dafür ca. 2/3 des Applauses, der dem Outlaw-Rapper aus Alabama entgegenschallt.
Stehplätze im riesigen Hangar sind mittlerweile rar - an Bierholen oder -wegbringen ist praktisch nicht mehr zu denken. Trotz dreißigminütiger Umbaupause, bevor Barker das zweite Mal die Stöcke in die Hand nimmt. Geschrei bricht aus, tosendes Gekreische schallt aus jedem Winkel. Als Zeugen sind nicht bloss Mitglieder von H20, ONLY CRIME, ZEBRAHEAD oder DEATH BY STEREO angereist. Fassungslos und erschrocken sind viele Ü-30er, ebenso viele aber beweisen Textsicherheit zum Opener „Feeling This“, dem darauffolgenden „What’s My Age Again“ oder „Dumpweed“. Etwas unnötig erscheinen die erzwungen witzigen Ansagen von Mark Hoppus (Fäkalthemen, die persönliche Anreise aus Beverly Hills, „Thank you - good night“ nach jedem dritten Song) der statt Erklärungsversuchen zum Line Up lieber Travis Barker sprechen lässt. Auf immerhin ein freundliches „What’s up, Musink?“ bringt es dieser, dann übt sich Orange County mit „Man Overboard“, "Always“ oder „Don’t Leave Me“ weiterhin im kompletten ausrasten. Wer Glück hat, kann zwischen all den offenbar fest installierten Beweismittel-Telefonen in der Luft auch tatsächlich einen nervösen (statt angeheiterten) Matt Skiba erspähen, der zu „Carousel“ und „Miss You“ eine ausgesprochen gute Figur macht. „Family Reunion“ aus 6000+ Hälsen sowie ein gigantischer Konfettiregen beschliessen den Abend. Obgleich hier wirklich BLINK 182 auftreten oder nur eine vorübergehende, alternative Version der Band zu Gast ist, macht für das ausverkaufte Finale des Festivals keine Unterschied. Ob wirklich jemand die im Netz aufgerufenen 400 Dollar für ein Ticket hingelegt hat, scheint aufgrund der unfassbaren Hysterie im Hangar beantwortet. Inwiefern der Preis von einem Pint regulärem Bier im Plastikbecher jedoch mit dem eines bestickten RANCID-Beanies plus CD-Album und High Five vom Machete-Merchandise-Mitarbeiter übereinstimmen darf, sei vielleicht auf der 2016er Ausgabe des MUSINK Tattoo & Music Festivals zu klären.