27.05. - 30.05.2011: Punk Rock Bowling - Freemont St. Experience / Sam´s Town, Las Vegas, NV

30.05.2011
 

 




"Was Fat Wreck Chords kann, können wir schon lange!" Als sich die drei Freunde Andre Duguay, Shawn sowie Mark Stern im Februar 1999 aus einer Laune heraus in Los Angeles entschieden, es sei an der Zeit, Punkrock und Bowling standesgemäß zu vereinen, war ihr Ziel sicher kein dreitägiges Festival mit über 50 hochkarätigen Bands, knapp 170 Bowlingteams, Punkrock-Pokertunier und ca. 4000 Besuchern. Dennoch wollten die beiden BYO-/Youth Brigade-Gründer es dem Label von Fat Mike aus San Francisco ähnlich tun - und gründeten eine Bowlingmannschaft. Zum ersten Turnier wurden nicht nur die Teams um Fat Wreck Chords oder Epitaph verpflichtet - man brachte es bereits auf über 20 Teams, die - vorrangig dem Alkohol und dem feierlichen Chaos frönend - ihre Skills an Bierdose und Pins maßen. Da das Wochenende dermaßen familiär und belebend endete, sollte ein weiteres "Punkrockbowling-Event" folgen - dieses Mal - wenn schon, denn schon - in Las Vegas.

Über ein weiteres grobes Jahrzehnt pflegten Mitglieder diverser Punkbands, Labelkollegen, Szeneschreiberlinge, Promoter, Fans und Co. ihr jährliches Treffen auf Sin City´s Bowlinglanes (oder zumindest auf denen, die sie nach und nach noch willkommen hießen...), welches 2010 erstmals "öffentlich" abgehalten wurde: Bowlingteams von "außen" konnten sich für das Turnier einschreiben, Bands traten nicht nach dem Spielen, als Wochenendauftakt oder zur Siegerehrung spontan in der nächsten Bar auf, sondern zerpflückten von Freitag bis Sonntag die Amphitheaterbühne des Sunset Station Hotels. Das musikalische Line-Up zum 12. PunkRockBowling-Event erinnerte an ein Klassentreffen aus drei Dekaden Punkrock - somit vertrat die Veranstaltung noch immer zu 100% ihren ursprünglichen Charakter.

Anno 2011 bescheren Mark und Shawn Stern dem Gambling-, Bowling- und Punkrock verseuchtem (US-)Volk erneut ihre Version einer amtlichen und ehrwürdigen Party, die sich vom 27. bis 30. Mai über das gesamte "Memorial Day Weekend" streckt und unter anderem Bühnen-Asyl für Namen wie DESCENDENTS, AGNOSTIC FRONT, DROPKICK MURPHYS, COCK SPARRER oder ME FIRST & THE GIMME GIMMES gewährt. "Nur das mit der Reihenfolge - Bier und Bowling - in Kombination, in den richtigen Mengen - ich kann es mir nicht merken..." lallt ein schwankender Tony Weinbender gegen 12.00h mittags, punktet dennoch neben seinen Kollegen vorbildlich für das "No Idea Records"-Team. Die ersten "Beer Buckets" sind längst geleert, die sonst von winterflüchtigen Senioren bevölkerten Bowlinglanes des "Sam´s Town", ein kompakter Spielhöllen-/Hotelkomplex mit dem Charme eines angespülten Hausschuhs, sind übersäht mit Irokesen, Konzertflyern und Ganzkörperkostümen. "Unsere Wochenendagenda möge wie folgt funktionieren", versuchen die Ortsansässigen GUILTY BY ASSOCIATION im Voraus zu überzeugen. "Wir werden wohl schon vor unserer Kick-Off-Show am Freitag anfangen müssen, zu trinken, dann neben DRAG THE RIVER, SWINGIN UTTERS oder den COBRA SKULLS versuchen, die Eröffnungsshows zu meistern während wir trinken, dann feiern - und trinken, optional 3-4 Stunden schlafen, nach dem Frühstück wohl weiter trinken, hoffentlich auch betrunken gut genug bowlen um die 2. Runde zu schaffen (ist bis dato noch nie passiert), dann die Festivalshows begutachten. Auch wichtig: Zimmernummer auf den Körper tätowieren, bloß nicht die Kasinos betreten, eigene Bowlingkugel mitbringen. Und wenn man das Wochenende, ein wirklich langes Wochenende, überlebt hat, kann man direkt ein paar Jahre seiner Lebenserwartung wegstreichen."

Zurück in der Realität: Nachdem Chris Flippin (LAGWAGON) mit der definitiv kürzesten Short des Tages neben Eric Melvin und Fat Mike (NOFX), heute u.a. als liebevolle Familienväter unterwegs, sein Spiel beendet hat, ist der Geräuschpegel in den Kellerräumen der besenkten Bierburg bereits recht ansehnlich: Die Herren AMERICAN STEEL oder OLD MAN MARKLEY feiern bereits ausgiebig und mit schrumpfenden Pupillen das Ende der Mittagsruhe, die BOUNCING SOULS oder die BOWLING YOUTH ORGANISATION um die YOUTH BRIGADE-Stern-Brüder sind eher konzentriert beim Spiel. Knappe 10km (!) nordwestlich auf dem Außengelände, welches den live-musikalischen Teil der Veranstaltung bereithält, beschallen bereits DIRTY FILTHY MUGS vor THE GRIM aus Kalifornien die überschaubare Menge. "Leider lies sich logistisch kein besser geeigneter Ort für die Shows finden, da wir gewisse Vorstellungen hatten, was die Kapazitäten und die Toleranzen betrifft..." entschuldigt Mark Stern die halbe Weltreise durch die Glitzerstadt. Auch die sonst rastlosen OFF WITH THEIR HEADS mit neuem Drummer, viel zu glatten neuen Songs des Epitaph-Debuts "In Desolation" und nur als Trio, die krustigen Texaner der KRUM BUMS und sogar die folkig-geschmeidigen FILTHY THIEVING BASTARDS um Spike Slawson (SWINGIN UTTERS, ME FIRST & THE GIMME GIMMES) gehen im Anschluß auf dem asphaltierten Parkplatzgelände schier unter und scheinen entweder zu nüchtern, zu reserviert oder schon zu verkatert. Glücklicherweise nehmen sich die AGGROLITES mit ihrem "Dirty Reggae" der Abendrettung an und werfen mit bester Laune verpackt in sonnigen Offbeats und klassischen Orgeltönen um sich. Jesse Wagner versinkt im Dauergrinsen und streckt mit "Firecreacker" oder "Feelin´ Alright" die Abendsonne in Las Vegas zu Boden. Besiegelt wird Abend Nummer 1 des Weekend-Wahnsinns zunächst durch die alte Schule der STIFF LITTLE FINGERS, die in diesem Jahr das 34-jährige Bandbestehen zelebrieren - heute aber nur zu jung und putzmunter die Richtung angeben, bevor sich die Bostoner Recken der DROPKICK MURPHYS in Headlinerposition mit „Kiss Me, I´m Shitfaced“ und „Shipping Out To Boston“ erneut ihren Ruf als stadiontaugliches Rundumpaket in Sachen Folkpunklebensversicherung erfeiern. Mit Ende des Open-Air-Programms gegen 23h bitten umliegende Kneipen schließlich zum "Bloß-nicht-schlafen-gehen"-Gruppenzwang, was sich das größtenteils komplett trinkbediente Volk von Namen wie ALL, SKATALITES oder DOWN BY LAW nicht zweimal sagen lässt. Das Autorenteam erliegt zu früh dem Jetlag und verpasst die Nacht der Reunionpflichten mit einem Dauerärgern und gehaltsverschlingender Taxifahrt.

Wie eine ausrangierte Folge "Al Bundy" beginnt der surreale Sonntag: Punkerleichen bewegen sich wie Promillegeister ab dem frühen Mittag über die klimatisierten Bowlingbahnen, auf den Tischen finden sich heute vermehrt fettige Frühstückskomponenten an Stelle von Bierdosen und Shotgläsern. Enthusiasmus und leberquälende Energie während des Sports sind Mangelware, dennoch schnellt das Stimmungsbarometer alsbald in die Höhe: "The Pin Ladens" (Team Fat Wreck, Gewinner 2010) hat sich erneut in Runde zwei geschlichen, OFF WITH THEIR HEADS hingegen haben sogar Runde eins verpennt, die mittagliche Poolparty wird zum wetterbedingten Reinfall und ab 16.00h geht es bereits auf der Außenbühne weiter: JOHNNY MADCAP & THE DISTRACTIONS bringen 6000 Plastiksonnenbrillenpins mit, als heimlicher Headliner machen sich LARRY & HIS FLASK bei 99% des Publikums beliebt: 6 adrett gekleidete Herren mit Vorliebe für Bier, Bärte und Blasinstrumente spielen einen völlig verwaschenen und vielseitigen Sound zwischen Banjopunk und Hi-Speedgypsy, sehen dabei aus wie saufende Mormonen und brennen auf der Bühne, dass das Tanzbein schon zum Kaffeekränzchen eine Pause braucht. Für manche Seele hat es auch zur Schlaffindung gereicht, so warten AMERICAN STEEL mit einem grandiosen Set herzerfüllter Melodien wie "Dead And Gone" oder "Smile On Me" auf. "Wir wollten ein Merchandisepaket unter denjenigen verlosen, die bis jetzt noch keine Minute geschlafen haben. Aber es gibt einfach zu viele unter Euch!" prostet Frontmann Ryan dem Mob entgegen. THE BLACK PACIFIC versuchen nicht nur mit Ex-DROPKICK MURPHY-Gitarrist The Kid sondern auch mit Jawbreaker- und Pegboy-Coverversionen ihr Set aufzufrischen, jedoch gewinnt nach "Put Down Your Weapons" und "The System", den Highlights aus den eigenen Reihen, leider schnell die Langeweile. Eine Vergangenheit bei PENNYWISE ist eben doch keine Qualitätssicherung. Mit "Here Comes The Summer" oder den "Teenage Kicks" reihen sich die UNDERTONES in die Liga der brillianten Platzhalter und bereiten mit bestem Klassikerrepertoire das ausverkaufte Areal auf die BOUNCING SOULS vor, die sich als Legenden auf dem Gebiet des Punkrockbowling-Festivals sehen dürfen. "I Left That Place With Such A High, I Didn´t want To Say Goodbye - Here´s To The Memories..." Nicht umsonst schmückt der Song "Punks In Vegas" das heutige Set. Ein auffällig bühnenaktiver Greg Attonito freut sich, in welchem Rahmen die Feierlichkeit gewachsen ist. Und noch was: "Happy Birthday, Shawn Stern - Alles Gute! Bitte sehr: "Quick Check Girl" - nur für Dich!" Eine Anreihung schönster Erinnerungen und Bühnenmomente für alle Beteiligten. "East Coast Fuck You!" und "Kids & Heroes" erledigen den Rest.

Bei all der Aufregung und dem Gewinndrang der "Pin Ladens" ist Fat Mikes Bassgitarre scheinbar auf der Strecke geblieben und sorgt für ein 10-minütiges Delay, welches ME FIRST & THE GIMME GIMMES bestgelaunt und dummsülzend inmitten der Bühne verbringen, bevor "Rocket Man" die beste Coverband der Welt vorstellt. Spike, Joey Cape, Mike, Dave und FOO FIGHTER Chris Shifflet brauchen keine weitere Erläuterung - ihre Vorträge allererster Güte wie "Desperado", "Heart Of Glass" oder "Country Roads" erzwingen von selbst einen höchstansteckenden Feierdrang - so auch heute in Downtown Las Vegas. Eine fiktive Strichliste der DESCENDENTS Merchandise-Artikel, welche die Körper der Festivalbesucher über das ganze Wochenende hinweg schmücken, erklärt das Highlight und die "most anticipated band", die sich heute Abend die Ehre gibt: Milo und Co. werden gefeiert wie Gott und Teufel in einer Person, "Silly Girl" und "Rotting Out", "I Like Food" und "Pervert" sitzen bei jeder angereisten Seele mehr als textsicher. Das jahrelange Warten hat sich gelohnt - jede Minute DESCENDENTS live ist ein Genuß für das geschulte Poppunk-Ohr, auch wenn Milo rein äußerlich mittlerweile nicht mehr gegen sein Vorhaben "I Don´t Wanna Grow Up" anstinken kann (bei 45+ Jahren aber auch mehr als in Ordnung!).

Nachdem am finalen Montag das Bowling-Tournament bereits entschieden ist und sich der musikalische Teil heute eher von Seiten "alte Schule" und "Genreklassiker" zeigt, schlägt das Wetter ebenfalls um und fordert zum zweiten Teil des "Poolparty"-Vorhabens: Hunderte bunter Boardshorts treffen auf dutzende eiskalter Bierdosen und ebenso bunte Körper. Der Pool des Gold Spike Hotels ist zu einem klitschnassen Moshpit umfunktioniert, wer gestern noch auf der Bühne oder an den Pins überzeugt hat, entspannt heute im überfüllten Becken. Der Mob wählt im Contest Malle-mässig das "Bikini Girl", nach technischen Feineinstellungen beginnen OLD MAN MARKLEY, die Promilleparade in einen Bluegrasskessel zu verwandeln. Circlepit im Wasser funktioniert, Stagediving bekommt einen sicheren Charakter - auch wenn niemand die übermütigen Tänzer fängt. Geburtstagskind Shawn Stern gibt sich die Ehre und verfeinert "We´re In!", nach dem er brav seine Geburtstagskerzen ausgepustet hat. LARRY & HIS FLASK lassen sich von der Menge (schon wieder) zu einem Spontankonzert anstiften, Bassist Jeshua landet nach wenigen Songs mitsamt Klamotten übermütig selbst im Pool. Zurück auf dem eigentlichen Festivalgelände punkten MANIC HISPANIC mit ihrer amüsanten Latinogangsterpunkshow, THE DWARVES mit ihrem berühmten 600 Artikel umfassenden Merchstand und krankem Bühnenwahnsinn, dazu gibt es prolliges, immergutes Gebelle von AGNOSTIC FRONT Mikrolegende Roger Miret, die heute Abend spontan die verhinderten KILLING JOKE ersetzen. Letztlich, zur finalen Stunde zeigt sich wieder der "Sold Out"-Charakter - das Outdoorareal bricht zu den ersten Takten von "Riot Squad" fast auseinander. Britischer Oi! mit der reinsten und urigsten Seele, ein Klassiker jagt den Nächsten. COCK SPARRER - da bleibt keine Kehle trocken. "Working" und "I Got Your Number" im Original, feuchtfröhlicher und runder kann das Wochenende nicht enden. Der erprobte Gast, der das mit dem absehbaren Ende jedoch noch nicht wahr haben will, findet auf einen letzten Pint den Weg zur PUNK ROCK KARAOKE in den "Country Saloon" um die Ecke. Als ob 72 Stunden Feierei unter der internationalen Flagge nicht reichen würden - hier wird kompromisslos der Kindertraum gestärkt, mit Eric Melvin (NOFX) oder Steve Soto (ADOLESCENTS) auf der Bühne das ganz persönliche Festival zu zelebrieren. Noch Fragen? Dann bitte Ticket und externe Leber für 2012 sichern.