Interview mit City And Colour

25.12.2011
 

 

Vom Hardcore zur Herzensangelegenheit

Warum Dallas Green sich für City and Colour und gegen Alexisonfire entschieden hat



„Wer ist eigentlich auf die Idee gekommen, Kaffee so heiß zu machen, dass jeder darauf warten muss, bis er ihn trinken kann?“, fragt er lachend, nach der Begrüßung mit einem sicheren, festen Händedruck und einem sympathischen „Hi, I’m Dallas Green“. Der Kaffee wird zur Seite gestellt, das Lachen verschwindet, als er die erste Frage hört. Die Frage nach dem Moment, in dem er sich dazu entschieden hat, Alexisonfire zu verlassen. „Den genauen Moment? An den kann ich mich noch gut erinnern. Ich war auf Tour mit City and Colour am dem Tag haben wir in Austin, Massachusetts gespielt. Das war im Januar 2010. Im Januar habe ich eigentlich immer einen freien Monat bei Alexisonfire. Aber alle haben gesagt, dass ich doch ein paar Shows mit City and Colour spielen könnte. Und dann habe ich zugesagt. Ich kann einfach nicht Nein sagen. Deshalb hatte ich keine freie Zeit mehr für mich. Wenn ich nicht mit Alexisonfire auf Tour war, musste ich Shows mit City and Colour spielen und umgekehrt“, beginnt Dallas Green seine Erinnerung.

„Vielleicht werde ich irgendwann wieder zur härteren, aggressiven Musik zurückfinden“

Es ist ungewöhnlich still im gesamten Backstagebereich. Die Stille verleiht seinen Worten Nachdruck. Die Leichtigkeit, die Lockerheit der ersten Minuten ist verschwunden. Es ist ihm wichtig, dass man seine Entscheidung versteht, die Gründe kennt. „Es war also im Januar nach einer City and Colour Show. Ich lag in einem Hotel im Bett, war müde und fertig. Die Show an dem Abend war gut. Aber ich war so fertig, dass ich das nicht genießen konnte. Und dann fing ich an nachzudenken und merkte, dass ich mein ganzes Leben nicht mehr genießen konnte. Weil ich so überlastet war. Dabei lebe ich ein unglaubliches Leben, mache Musik, an der Leute sehr interessiert sind. Und dann kann das nicht genießen. Weil ich erschöpft bin. Mental, physisch, emotional – auf allen Ebenen. Also habe ich mein Handy genommen und eine E-Mail an Trisha und Joel geschrieben. Das sind meine Manager und gleichzeitig zwei meiner besten Freunde. Ich erklärte ihnen, dass ich einfach nicht mehr kann“, fährt er fort. Alle waren enttäuscht von seiner Entscheidung. Erst nach einiger Zeit fingen sie an zu erkennen, dass er sein Bestes gegeben und wirklich versucht hatte, beiden Bands gerecht zu werden. Dann hat er sich entschieden. Für City and Colour. Gegen Alexisonfire. „Ich mag härtere, aggressive Musik immer noch, ich höre sie auch nach wie vor. Vielleicht werde ich irgendwann wieder zu dieser Musik zurückfinden. Aber jetzt gehe ich meinen Weg mit City and Colour. Mein Herz hat mich hierhin geführt, mein Herz hängt da jetzt dran“, erklärt er seine Entscheidung. Er findet es lächerlich, wenn Fans City and Colour nicht hören, weil er sich dazu entschieden hat, Alexisonfire zu verlassen. Seine ruhige, leise Stimme wird lauter, als er sagt, was er davon hält: „Das Problem ist, viele wissen nicht, was es bedeutet eine Band zusammenzuhalten. Aber wenn sie City and Colour nicht hören wollen aufgrund der Alexisonfire-Trennung, dann will ich auch nicht, dass sie City and Colour hören.“ Sein Kaffee dürfte mittlerweile nur noch lauwarm sein.
Und dann blüht er auf. Seine fröhliche, lockere Art, seine Lebhaftigkeit, die er in der Begrüßung zeigte, flammt wieder auf, als er nur noch über City and Colour sprechen kann. Über die Band, in der er sich selbst verwirklichen kann. Er muss seine Songtexte nicht mehr mit der Band abstimmen, nicht mehr dafür kämpfen, dass seine Ideen umgesetzt werden. Er kann einfach schreiben, was ihn bewegt: „Ich schreibe lieber über die dunklen Seiten des Lebens, weil ich sie viel emotionaler in Worte fassen kann. Ich will nicht über Sonnenschein, umherfliegende Vögel und Blumen schreiben. Wenn ich glücklich bin, weil alles so schön ist, dann bin ich nicht in der Stimmung zu schreiben. Deshalb kommen diese offensichtlichen, schönen Dinge auch nicht in meinen Texten vor.“ Stattdessen nennt er sein Album „Little Hell“, dunkler kann ein Titel fast nicht klingen. Er sieht im Leben viele „kleinen Höllen“, die es zu überstehen gilt. „Das kann innerhalb einer Beziehung sein oder irgendwas, das du mit dir alleine klären musst. Das macht doch das Leben aus: Die kleinen Höllen, durch die man durch muss, um auf die andere, schönere Seite zu kommen. Das macht dich zu dem, was du bist“, veranschaulicht Dallas Green. Seine „little hell“ ist gerade, dass er tagelang nicht durchschlafen konnte, seine Stimme angeschlagen klingt. Jetzt kommen so langsam die Tage, an denen er nicht auf die Bühne will. Weil er weiß, dass er nicht so gut sein wird, wie er eigentlich sein könnte. „Aber da muss ich durch, es ist mein Job.“

„Sobald ich einen Song erkläre, ist es, als würde ich ihn nochmal schreiben müssen“

Auch beim Songwriting geht er durch eine kleine Hölle, wie er erzählt: „Ich bin keiner von denen, die immerzu schreiben und sich dann die besten Texte für ihre Songs raussuchen. Wenn ich einen Song schreibe, sieht das meist so aus: Eine Zeile, puuuuh ich bin geschafft, zwei Tage später noch eine Zeile puuuh, dann wieder Pause und dann die nächste Zeile. Solange bis dann irgendwann mal ein Song fertig ist.“ Deshalb würde er auch niemals ein Buch schreiben. Denn er könne es nie zu Ende bringen, glaubt er. Sein Songwriting geht er immer mit dem Gedanken an, dass der nächste Song den er schreibt, der Beste wird. Der Beste, den er je geschrieben hat. Um gleichbleibend gute Leistungen zu bringen. Für sein aktuelles Album „Little Hell“ entschuldigt er sich bei denjenigen, die lieber wieder eine Platte wie „Sometimes“ hören wollen. Aber so eine wird es nicht mehr geben. „Ich bin erwachsen geworden. Ich höre andere Musik und genauso verändert sich auch die Musik, die ich mache. Ich bin keiner von denen, der immer wieder dieselben Sachen schreibt. So war ich nie. Weder bei Alexisonfire noch jetzt mit City and Colour. Viele Leute wollen, dass ich wieder eine Platte wie Sometimes mache. Aber das wird nicht passieren. Tut mir leid. Das bin ich nicht mehr. Ich habe die Songs auf Sometimes vor vielen Jahren geschrieben. Jetzt bin ich älter geworden. Also wachsen meine Alben, meine Songs auch mit. Aber es klingt noch immer irgendwie nach mir“, verdeutlicht er. Über die Musik, die er jetzt macht, redet er gerne. Nur über seine einzelnen Songs nicht. „Wenn ich einen Song schreibe, will ich, dass es damit aufhört. Die Leute sollen sie hören und sich rausnehmen, was sie brauchen, was ihnen der Song gibt. Sobald ich einen Song erkläre, ist es, als würde ich ihn nochmal schreiben müssen.“ Der Kaffee ist jetzt kalt. Dallas Green nimmt den Pappbecher und trinkt den kalten Kaffee in eins aus. Man braucht eben Koffein. Irgendwas, das wach hält, wenn man nächtelang nicht schlafen kann, aber irgendwie funktionieren muss. Musik machen ist schließlich sein Job und jetzt mit City and Colour noch viel mehr als das: eine Herzensangelegenheit.