Interview mit DRUG CHURCH

21.05.2019
 

 

Interview mit Patrick Kindlon von DRUG CHURCH und SELF DEFENSE FAMILY

 

Ihr habt gerade eure erste Headliner-Tour in Europa gespielt, richtig? Ich habe euch mal als Support von TITLE FIGHT in Eindhoven gesehen.

Ich glaube schon. Wir hatten ein paar einzelne Dates hier und da. Wir waren mal mit TITLE FIGHT da, ja. Aber ich muss dich da enttäuschen. Ich erinnere mich auch nicht mehr an alles.

 

Und wie ist die Tour gelaufen?

Sehr gut. Die Shows in UK waren größtenteils ausverkauft und wir haben gute Reaktionen bekommen. Auf dem Festland waren ein paar steifere Shows dabei. Vielleicht wussten die Leute nicht, wie sie auf uns reagieren sollten, vielleicht sind auch ein paar Städte nicht so kinetisch. Größtenteils aber echt gut. Auch bei den Shows, bei denen uns die Leute angeschaut haben, als wären wir Arschlöcher, kamen sie später zu uns und haben uns gelobt.

 

Ja, in Köln hast du das erwähnt. Köln sei eine Stadt, die nicht am Meer ist, aber es trotzdem schafft, sich zu bewegen. Welche Städte waren denn so steif?

In Deutschland lief es diesmal etwas besser. Ich denke, dass Deutschland eine amerikanische Tourband besser versteht als ein paar der Nachbarländer. Die Deutschen reagieren ein bisschen mehr wie ein amerikanisches Publikum. In der UK verhalten sich Leute auch ähnlich, aber es ist doch irgendwie "sicherer" als in den Staaten. Nicht, dass DRUG CHURCH ein gewalttätiges Publikum auf den Plan rufen. Aber auch bei Hardcore-Shows, die ein bisschen mehr dieses gefährliche Element haben, bemerkt man das.

 

Das höre ich nicht zum ersten Mal, dass Moshpits hier nicht so wild sind. Natürlich kennt man auch die hate5six-Videos und die Videos vom This Is Hardcore. Es hört sich so an, als ob das für dich oder die anderen irgendwie enttäuschend wäre. Aber wenn ich es mir überlege, will ich hier auch keinen Messerkampf in den Pits haben oder einen Typen wie den Sänger von SUBURBAN SCUM, der irgendwen ins Krankenhaus prügelt.

Ne, das ist ja auch nichts Gutes. Niemand will das. Für viele amerikanische HC-Bands ist es aber irgendwie vertraut, sie können sich damit teilweise identifizieren und darin einen Sinn sehen. Ich gebe immer folgendes Beispiel: Meine andere Band war vor 10 Jahren mal mit HAVE HEART auf Tour. HAVE HEART ist keine gewalttätige Band und hatte auch nie eine solche Crowd. Aber auf einem Date dieser Tour hat ein Typ eine Knarre gezückt und es wurden auch mehrere Messer gezogen. Und mit DRUG CHURCH ist uns das in Las Vegas auch schon passiert, obwohl wir wirklich nicht die Band dafür sind. Manche Idioten mögen das vielleicht, aber der Amerikaner im Generellen genießen das natürlich nicht gerade. Man ist es nur irgendwie gewohnt. Wenn eine Band das also über Touren im Ausland sowas sagt, bin ich mir nicht sicher, ob sie dann enttäuscht ist. Es ist vielleicht nur eine Art Kulturschock.

 

Ich könnte mir vorstellen, dass Deutsche reservierter sind und amerikanische Jugendliche etwas mehr aus sich rausgehen. Vielleicht liegt es auch teilweise daran.

Könnte sein. Amerikaner sind aber auch größtenteils Arschlöcher. Es könnte also beides sein.

 

Du hast gerade HAVE HEART erwähnt. Die waren meine Lieblings-Liveband, ich habe sie 8 Mal gesehen, als ich 18 oder 19 Jahre war. Ich glaube nicht, dass da jemals was rankommen wird, aber vielleicht ist das auch eine Sache des Alters. Vielleicht gibt es auch Leute, die dasselbe über AMERICAN NIGHTMARE, UNBROKEN oder wenn man ganz weit zurück geht die BAD BRAINS sagen würde.

Ja, das ist immer so, dass man sich auf bestimmte Bands einschießt, die man dann als Standard heranzieht. Alle Bands, die du erwähnt hast, könnten allerdings eine Lieblingsband von jemandem sein und man könnte es verstehen. Wenn das Scheissbands gewesen wären, wäre das anders. Natürlich zählt auch der zeitliche Rahmen, aber die Band muss auch sehr gut sein. Und das trifft auch auf alle der genannten Bands zu.

 

Ja, das war eben die Zeit, in der ich zum Hardcore gefunden habe. Und alle meine Lieblingsbands sind aus diesen Jahren. Die Revelation Records Bands. GO IT ALONE, SINKING SHIPS, VERSE. CARPATHIAN waren auch super, mir fällt auf Anhieb keine andere Band ein, die so ähnlich klang. Das war so düster und langsam. Ich weiß nicht, ob du sie kennst.

Ja, ich denke SHIPWRECK wäre das amerikanische Pendant dazu.

 

Stimmt, das wäre die eine Band, auf die auch kommen würde. Die „Abyss“ hatte wirklich einen ähnlichen Schliff. Jedenfalls vermisse ich die Zeiten damals. Es fühlte sich zumindest für mich mehr nach Gemeinschaft an. Aber vielleicht sagt das auch jeder über „seine Zeit“. Später kamen dann TRAPPED UNDER ICE auf den Plan, was auch okay für mich war. Dann waren BRUTALITY WILL PREVAIL in Europa ein großes Ding, und es wurde immer stumpfer und ignoranter. Jedes Jahr schrieb ich damals auf meine AOTY-Liste als Wunsch, dass diese Zeiten im Hardcore wiederkommen. Aber irgendwann habe ich das aufgegeben.

Auch dieser Stil wird definitiv wieder zurückkommen. Die Frage ist aber auch, ob du dann noch damit connecten wirst, denn Alter spielt auch eine Rolle. Und je älter man wird, desto schwerer wird es, sich in eine Gemeinschaft einzufinden. Der Sound wird definitiv zurückkehren. Jede Generation hat Kids, die Alben von damals entdecken, von denen sie finden, dass sie aktuell unterrepräsentiert sind. Und dann kopieren sie das. Es ist nur eine Frage der Zeit. Und dann werden Bands wie HAVE HEART und VERSE die Inspiration für eine neue Generation.

 

Ich bin mir da nicht sicher. Man sagt immer, dass Hardcore in Zyklen funktioniert und ich kann das auch teilweise zum Beispiel bei den ganzen vom 90er Metalcore beeinflussten Bands sehen. Aber ich finde, es ist auch eine Sache des Mindsets. Damals war es irgendwie cool, „open-minded“ zu sein. Allein schon der Songtitel „Armed With a Mind“ sagt das ja schon. Und irgendwann wurde es irgendwie immer ignoranter. Vielleicht kennst du die Band DESOLATED aus UK?

Ich glaube, ich weiß, wer das ist. Nutzen sie live Gunshots in ihren Liedern?

 

Da bin ich mir nicht sicher. Es gibt ja auch eine Band namens GUNISHMENT aus UK.

Wow.

 

Jedenfalls wird quasi in jedem Video der Band Crowdkilling dargestellt. Und als die etwas populärer wurden, dachte ich mir wirklich: „Wie dumm soll das denn noch werden? Finden das die Kids ernsthaft noch cool und wollen so sein?“. Deshalb denke ich nicht, dass Bands wie HAVE HEART zurückkommen werden. Irgendwann wurde es cool, ignorant zu werden und ich sehe daran keine Veränderung.

Ich kann für Europa nicht sprechen, aber in den USA gabe es definitiv eine Post-Slam / -Beatdown etc. Zeit. Es gab eine Menge junge Bands, die bewusst oder unbewusst von THE ACACIA STRAIN beeinflusst waren. Keine Ahnung, ob sie wussten, von wem sie sich da bedienen. Das ist aber größtenteils auch wieder rum, auch wenn es sicher noch irgendwie existiert. Gerade gibt es aber in den USA keinen bestimmten Trend, aber es wird sicher bald einen geben. Und ich denke nicht, dass der ignorant sein wird. Zumindest nicht, was den Sound angeht. Vielleicht schon, was die Message angeht.

 

Es gibt wieder eine Menge Youthcrew-Bands. HAVE HEART sind da irgendwie auf der Grenze. Ich bin kein großer Fan von Youthcrew, mir ist das auf musikalischer Ebene zu simpel. HAVE HEART bewegen sich aber genau zwischen Youthcrew und Melodic Hardcore, wie ich ihn liebe. Es hat also ein Element von Bands wie LIFE LONG TRAGEDY oder MODERN LIFE IS WAR. Und momentan sehe ich, wie das Youthcrew-Ding sicherlich wiederkommt. Aber die Melodien fehlen irgendwie.

Ich denke, die Melodien werden zurückkommen. Aber in einem anderen Format. Es gibt beispielsweise diese Band RULE THEM ALL aus Long Island. Die sind eher an einen Style wie SILENT MAJORITY angelehnt als an den Early-2000er-Hardcore-Kram. Es ist eine frühere Version davon. Das könnte vielleicht was Größeres werden. Aber ich denke definitiv, dass sowas zurückkommt.

 

Ich hoffe, dass ich das noch erlebe. Als Support-Band hattet ihr diesmal ja SINGLE MOTHERS dabei. Ein bisschen hat mich das überrascht, als ich eure beiden Facebook-Seiten mal gecheckt habe. Die haben nämlich ungefähr 4 Mal so viele Likes wie ihr.

Echt?

 

Ja, nicht dass es wirklich viel zählt, aber ich schau mal nach. Ihr habt 13.000 und sie haben 71.000. Eigentlich finde ich das ziemlich cool. Vor ein paar Jahren hat mich es ziemlich angepisst, dass einige Promoter die Reihenfolge ihres Lineups scheinbar an die Facebook-Likes angeglichen haben.

SINGLE MOTHERS sind ja schon was länger dabei und auch eine sehr gute Band. Natürlich hätten sie auch headlinen können. Viele Leute denken nach wie vor, dass die Likes ein guter Indikator für die Größe einer Band ist. Ich könnte aber entgegnen, dass die Fans von DRUG CHURCH in einem Alter sind, in dem ihnen Facebook nicht viel bedeutet. In den Vereinigten Staaten ist Facebook eigentlich ein Ding für die Generation 30+.

 

Das meintet ihr ja im Axetogrind-Podcast auch gesagt.

Ja, Facebook ist definitiv Großvater-Material.

 

Es stirbt hier auch aus. Kommt einem vor, als wäre es nur noch Werbung.

Ich checke meine Band nicht auf Spotify, aber ich würde wahrscheinlich eher nach den Plays dort gehen als nach Facebook-Likes als Indikator für die Größe einer Band. Ein weiterer Anhaltspunkt ist sicherlich die Tourmenge. Und in Europa hatten wir da nicht viel vorzuweisen, deswegen hätten SINGLE MOTHERS sicherlich auch headlinen können. Für die Promoter ist das ein immer schwererer Job, die Größe einer Band einzuschätzen. Nicht, dass man sie über oder unter Wert verkauft. Es gibt nicht wirklich etwas Handfestes außer Tourzahlen. Und wenn eine Band die nicht hat, kann es sehr schwierig werden. Ich war jedenfalls froh, dass SINGLE MOTHERS bereit waren, für uns zu eröffnen.

 

Was die Reaktion der Leute in Köln anging, hättet ihr aber nicht wirklich tauschen können.

Vielleicht nicht. Aber ich muss dazu sagen, dass manchmal das Format einer Show für die Reaktion genau so wichtig ist wie die Musik selbst. Manchmal hilft es also, jemanden als Headliner aufzubauen, um auch eine Headliner-Response zu bekommen. Es stimmt vielleicht, dass wir in Köln besser weggekommen sind. Das kann aber wirklich daran gelegen haben, dass es als Headliner „dein“ Event wird.

 

Letztens habe ich eine Diskussion mit einem Freund darüber gehabt. BOYSETSFIRE sind beispielsweise in Europa riesig, sie verkaufen in Köln ein paar der größten Venues aus. EVERY TIME I DIE wäre dafür auch ein gutes Beispiel. In den Staaten kann dieselbe Band den Leuten aber total am Arsch vorbei gehen. Ich war auch total überrascht, als ich vor einiger Zeit auf einem Tourflyer KNOCKED LOOSE als Headliner über TERROR gesehen habe. In Europa wäre das wohl nie so.

EVERY TIME I DIE und TERROR geht es in den Staaten zwar gut, aber sie haben ihren Zenit überschritten. Das sind Bands, die langlebig sind und nach wie vor eine große Menge Fans haben. Aber wenn etwas Energie ausstrahlt und wie die nächste Generation aussieht, werden Leute eben eher das auschecken. Demografie zählt hier auch. Wenn du ein Fan von TERROR bist, kannst du zwar 17 sein, aber die Chancen stehen auch gut, dass du über 30 bist. Und wenn du über 30 bist, ist es für dich viel schwerer, noch auf Shows zu gehen. Vielleicht hast du nicht einmal davon gehört. Bands wie KNOCKED LOOSE, die eine Menge Momentum haben, werden definitiv über solchen Bands headlinen. In Europa kommen „legendäre“ oder diese langlebigen Acts jedes Jahr rüber, aber es wird anders wertgeschätzt. Das wird nicht so als selbstverständlich angesehen. Ihr supportet Bands noch, wenn sie älter werden. SICK OF IT ALL ist ein gutes Beispiel.

 

Ja, die ganzen klassischen NYHC-Bands. Eines meiner ersten Hardcore-Konzerte war die Persistence Tour 2006 mit SOIA, MADBALL, COMEBACK KID, WALLS OF JERICHO, TERROR und noch ein paar anderen Bands. Ich kannte damals nur COMEBACK KID und war total geflasht und dachte mir „Was geht denn hier ab?“. Aber nach vier Jahren hatte ich die NYHC-Bands schon fünf Mal gesehen und dachte mir, dass mich das nicht mehr interessiert. Auf der Persistence Tour spielen auch alle zwei Jahre rotierend dieselben Headliner. Das ist immer entweder AGNOSTIC FRONT, HATEBREED, SOIA oder SUICIDAL TENDENCIES.

Verstehe ich. Aber man kann es auch so sehen: Sagen wir mal du bist ein riesiger Fan von SLAPSHOT, so wie ich. Du kannst hoffen, dass die zwei Mal im Jahr in deine Nähe kommen. Und einmal kannst du vielleicht nicht, weil du was anderes zu tun hast. Also kannst du sie einmal im Jahr sehen. Und SLAPSHOT ist nicht die jüngste Band. Also nimmst du das wahr, weil es auch das letzte Mal sein könnte. Ich denke deshalb läuft es für diese Bands immer wieder gut in Europa. Ich sehe natürlich auch gerne einen Mix aus neuen und älteren Bands. Aber in Europa gibt es noch eine Menge Respekt für diese älteren Bands, es wird nicht angesehen wie eine Veranstaltung für ältere Leute. In den Staaten ist es etwas anders. Ich würde mir nach wie vor SLAPSHOT ansehen.

 

Lass uns über das Album reden. Standardfrage: Warum heißt es „Cheer“?

Wir haben da ständig vor- und zurückgerudert. Wir mögen kurze Sachen, die etwas evozieren, aber auch nicht zu viel preisgeben. Man will den Leuten es auch nicht zu sehr unter die Nase reiben. Es soll eher wie ein Hinweis sein. „Cheer“ ist natürlich sarkastisch, weil das Album nicht gerade ein fröhliches ist. Es ist eigentlich die sarkastische Version davon, wenn HATEBREED ein Album „Perseverance“ nennen und es in dem Album genau darum geht. Indem wir dir also sagen, worum es nicht geht, sagen wir dir, worum es geht. Falls das Sinn macht.

 

Ich habe vor dem MTC in Köln auch ein Plakat von der Show gesehen. Da ist mir erst aufgefallen, das auf dem Album-Artwork drei Penisse zu sehen sind, in blauer Farbe. Kannst du mir was über das Artwork erzählen?

Das war ziemlich Last Minute. Wir hatten ein Gemälde gefunden, das wir aber dann doch nicht genommen haben. Der Plan ist in letzter Sekunde geplatzt. Mitchel, der bisher unsere ganzen Artworks gemacht hat, hat dann das letztendliche Artwork geliefert. Dafür hat er mit Ann, die die meisten unserer Designs macht, zusammengearbeitet. Wir haben beiden nur sehr minimal eine Richtung gegeben und die Platte übersendet. Sie sollten schauen, wie es sich für sie anfühlt und dann schauen, was dabei rauskommt. Letztendlich bin ich sehr zufrieden damit, es ist eines der besten Artworks des Jahres. Und ja, es sind Penisse drauf. Aber ich habe es auch sehr spät bemerkt. Nicht mal, bevor das Vinyl fertig war. Aber man sieht sie ja kaum. Leute sollten auch nicht so viel Angst vor blauen Penissen haben.

 

Ich schaue es mir gerade an. Ich finde cool daran, dass man nicht wirklich anhand des Covers erraten kann, um welche Musik es sich handelt.

Da stimme ich dir zu. Es gibt viele Bands, die in ihren Designs genau durchscheinen lassen, welche Art von Musik gemacht. Youthcrew ist dafür auch ein gutes Beispiel. Ich liebe gute Liveshots, aber manchmal kann es auch langweilig und enttäuschend werden.

 

Ja, da stimme ich zu. Sobald man eine Band nicht mehr von der anderen unterscheiden kann, turnt mich das eigentlich ziemlich ab. Manche Bands wollen ja auch genau eine Kopie von etwas sein und wissen das. Aber das widerspricht meinem Kunstverständnis. Das ist ja nur eine Dienstleistung.

Ja, das ist ziemlich faul. Wenn du neunzehn bist und es dein erstes Album ist und du es einfach nur rausbringen willst, ist das okay. Wenn du aber schon ein paar Alben draußen hast, ist das Artwork Teil der Kunst und du solltest dir darum mehr Gedanken machen.

 

Was hast du den Leuten denn eigentlich gesagt, worum es in dem Album geht?

Ich denke nicht, dass es weit weg von unseren anderen Platten ist. Es klingt besser, deswegen denken die Leute das. Und auch lyrisch ist es nicht wirklich was Neues. Relativ universelle Themen werden in superspezifischen Details wiedergegeben. Wenn ich also über sehr kleine Dinge sprechen, wird dabei normalerweise das größere Thema enthüllt. Es gibt so eine okkulte Gruppe, ich habe vergessen welche. Die haben das Motto „In small things all things“. Das heißt also, dass die Details die größeren Dinge zusammensetzen. Eine „Gestalt“ quasi.

 

Was ist denn die Gestalt eures Albums? Geht es darum, dass man nicht zu viel Ficks geben sollte?

Kennst du den serenity prayer der Anonymen Alkohliker? "Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden." Man kann bezüglich Dinge außerhalb seiner Kontrolle entweder eine Menge Wut und Frustration fühlen oder man kann eben Abstand davon nehmen und sich wie ein Erwachsener verhalten. Ich persönlich denke, dass es keine einzige Sache auf der Welt gibt, über die man sich nicht lustig machen könnte. Und ich hoffe, das scheint auf der Platte durch. Da wird ja oft drüber diskutiert. Aber ich will nicht, dass mir jemand erzählt, wie ich leben sollte. Und ich finde potenziell alles witzig.

 

Wenn der Kontext stimmt und jeder weiß, dass du gerade einen Witz machst, sehe ich das genau so. Ich bin mir da aber nicht ganz sicher, ob man über alles Witze machen kann.

Physisch auf jeden Fall schon. Da kann dich niemand aufhalten. Die Frage ist, ob die Leute lachen sollten. Und nein, das müssen sie natürlich nicht. Ich erwarte nicht, dass irgendjemand dieselben Dinge lustig findet wie ich. Aber ich lasse mir von niemandem sagen, dass ich über etwas nicht lachen sollte. Die Vorstellung, dass etwas verboten ist, wenn es um die intellektuelle Untersuchung einer Sache geht (denn das ist Comedy), ist ziemlich abscheulich. Wenn wir beispielsweise über Rasse, sexuelle Übergriffigkeit und so weiter diskutieren, dann ist es wichtig, dass wir das mit Rücksicht auf die Perspektiven anderer Personen tun. Aber Comedy ist Kunst. Und das ist letztendlich Untersuchen von Ideen. Die Einstellung, dass man keine ekelhaften Fragen stellen und Ideen haben kann, ist für mich faschistisch.

 

100% freedom of speech, also?

Ja. Ich nutze keine politisch aufgeladenen Termini, aber vertrete diese Ansicht.

 

Darüber habe ich auch immer wieder Diskussionen. Mir kommt es manchmal so vor, als hätten Leute Angst, dass es ansteckend auf Leute wirken könnte, wenn man etwas ausspricht oder sie etwas hören. Aber jeder kann ja immer noch selbst denken. Eine Freundin von mir meinte dazu allerdings, dass man für eine differenzierte Meinung natürlich auch Bildung braucht und dass es durchaus Leute gibt, die alles für bare Münze nehmen und Meinungen schnell von anderen übernehmen.

Da hat sie auch absolut Recht. Es wird immer Leute geben, die dich missverstehen. Aber dazu würde ich sagen: Nichts von Qualität wird je erreicht, wenn man sich danach ausrichtet, es der dümmsten Person recht zu machen. Weder Kunst noch ein Dialog oder sonst was. Das ist eine rückschrittliche Idee. Weil sich manche Leute dumm verhalten, müssen wir uns alle dumm verhalten. Alles wörtlich meinen. Und das wird für mich nie funktionieren. Ich schreibe ja auch Comics. Einige meiner Arbeiten werden in andere Sprachen übersetzt. Da kommt es auch zu vielen Missverständnissen oder Übersetzungsfehlern. Aber auch in unserer Konversation wollte ich manchmal einfachere und allgemeinere Worte nutzen, wegen der Sprachbarriere. Allerdings nutze ich diese komplizierteren Worte ja, um spezifisch zu sein. Wenn ich es das total runterfahre, was sage ich dann überhaupt noch aus? Kunst hat nach einer solchen Reduktion auch keinen Wert mehr. Ich sehe diesbezüglich auch das Kosten-Nutzen-Verhältnis nicht. Ich halte ehrliche Intellektualität für hochwertiger als die Angst, von jemandem falsch verstanden zu werden. Als eine Figur des öffentlichen Raumes wird man immer falsch verstanden werden. Nicht nur das, manche Leute werden dich vorsätzlich falsch darstellen und Lügen über dich verbreiten. Das muss man akzeptieren. Leute, die das nicht akzeptieren, haben wahrscheinlich Selbstmordgedanken. Denn das ist angsteinflößend. Ich spiele ja schon etwas länger in Bands und mir passiert das drei Mal pro Woche. Man muss dazu allerdings auch sagen, dass ich ständig auf Bühnen stehe und die ganze Zeit rede. Die Wahrscheinlichkeit, dass da auch mal was sehr Dummes dabei ist, ist sehr hoch. Wegen Social Media sind wir inzwischen vielleicht in einer Zeit angekommen, in der wir uns alle unter Beschuss sehen. Denn es gibt Leute, die das schlechteste für uns wollen. Man sieht das ja auf Twitter, Youtube und so weiter in den Kommentarspalten. Manche Leute mögen diesen Konflikt. Aber wenn du ein normaler Mensch bist, magst du das nicht wirklich. Du willst nur eine Konversation führen. Es ist allerdings nur die ersten 500 Male eine große Sache. Mir ist das aber schon 7000 Mal passiert.  Jemand wird dich immer falsch verstehen, das ist ein Gesetz.

 

Diese Einstellung ist glaube ich nicht sehr weit verbreitet. Mir kommt es allerdings auch vor, dass du sehr ausgeprägt die Fähigkeit hast, Distanz herzustellen und das nicht an dich rankommen zu lassen. Und das scheint mir nicht so einfach. Vielleicht ist das angeboren.

Ich bin schon ein sensibler Mensch, aber wie oft kann dieselbe Sache passieren, bis du verstehst, dass sie dich nicht umbringt? Es ist nicht gefährlich, sondern nur ein bisschen enttäuschend. Es gibt diese ganze Forschung über unser Reptilien-Gehirn und so weiter. Das ist sehr eng verbunden mit deinem Kampf-oder-Flucht-System. Wir denken dabei nur an körperliche Gefahr und tödliche Gefahr. Aber neuere Befunde deuten darauf hin, dass sich diese Reaktion auch auf den sozialen Tod bezieht. Man reagiert, als wenn das Leben bedroht wäre, wenn man mit dem Ausschluss von einer Gruppe konfrontiert ist. Leute lügen dann und tun frustrierte Dinge, um das zu verhindern. Das Ding ist aber: Wenn du wie ich mehrere hundert Tage pro Jahr vor Leuten sprichst, und ich tue das ja ohne Vorbereitung und aus dem Moment heraus, dann wird es dir so oft passieren, dass dein sozialer Status in Gefahr ist, dass du dich einfach dran gewöhnen musst. Genau wie sich ein Soldat im Weltkrieg daran gewöhnen musste, dass Bomben um ihn herum explodieren und ihn vielleicht mal eine erwischen wird. Und natürlich rege ich mich auf, wenn ich jemandem im Internet beobachte, dessen ausgesprochenes Ziel es ist, mich schlecht zu machen. Aber mir ist das inzwischen auch 35 Mal passiert. Von daher denke ich mir inzwischen: „Nur zu“. Dazu gibt es auch noch was von den Anonymen Alkoholikern: „Was die Leute von mir denken, geht mich nichts an“ – und so sehe ich das auch. Schon immer hatten viele Leute Angst, missinterpretiert zu werden. Und diese Fake Communities, die durch Social Media entstanden sind, machen das nochmal komplizierter. Man muss sich selbst eingestehen, dass man darüber keine Kontrolle hat. Deshalb macht es keinen Sinn, seinen Gehirnschmalz dafür aufzuwenden. Darüber hast du genau so wenig Kontrolle wie über ein riesiges Hagelkorn, das dir auf die Windscheibe fällt und dich umbringt. Ich beschäftige mich mit meinem Verständnis von mir selbst, andere Leute beschäftigen sich mit ihrem Verständnis von mir, und das ist ihre Sache.

 

 

Darüber könnten wir sicherlich noch ewig reden. Lass uns mal auf die Lyrics zurückkommen. Ich habe gestern den Text zu „Tillary“, dem letzten Song der Platte gelesen, und ihn nicht wirklich verstanden. Ich bin gerade auf genius.com, wo jemand eine Erklärung zu dem Text geschrieben hat. Kennst du das?

Nein.

 

Okay, dann lese ich dir das mal vor. Im ersten Teil des Songs geht es um einen Scheisstypen, der im Chorus seine Bedürfnisse offenbart. Er hat eine ungesunde Beziehung zu Macht. Diese Probleme sind allen bewusst, weil er oft darüber redet. Im zweiten Vers geht es um sein scheiss Leben: Kein Glück, kein Spaß, scheiss Arbeit, keine Freunde. Auf der Suche nach Bedeutung und einem Weg, um seinen Hunger nach Macht zu stillen, meldet er sich an der Polizeischule an. Das Outro ist aus der Sicht eines Bürgers geschrieben, der mit diesem Scheisstyp als Officer zu tun hat. Er traut dem Polizisten nicht, der sich um die Situation kümmert. Es fühlt sich an, als würde das Zusammentreffen hitzig werden.

Die lassen da auch jeden alles schreiben, was (lacht)? Das ist nicht wirklich akkurat, aber manchmal muss man es einfach so laufen lassen. Als wir zuletzt in den Staaten auf Tour waren, zeigten mir die Leute ihre DRUG CHURCH Tattoos. Und zwei von den vielleicht vier Leuten, die insgesamt zu mir kamen, hatten da falsche Lyrics stehen. Anstatt sie aber zu korrigieren, fand ich das voll in Ordnung so. Sie können das so interpretieren, wie sie wollen (lacht). Die Arbeit ist mir wichtig, wenn ich schreibe und sie ist einem Zuhörer wichtig, wenn er sie hört. Aber wir müssen uns da nicht inhaltlich einig sein. Ich bin keine besonders mysteriöse Person. Das hilft mir, schadet mir aber auch. Es hilft, wenn ich etwas Dummes sage. Die Leute haben hunderte von Stunden von mir in Podcasts, Interviews oder Musikvideos um einen Eindruck davon zu kriegen, wie ich generell so drauf bin. Und deshalb denken sie vielleicht „Diese eine dumme Sache, die er gesagt hat, repräsentiert ihn nicht.“. Es ist aber natürlich schlecht in der Hinsicht, dass die Leute denken, sie wüssten alles über mich. Das kann natürlich nicht stimmen. Und wenn es dann um meine Texte geht, denke ich mir immer: Wenn du das für dich da raus ziehst, ist das super. Ein Beispiel dafür ist „It’s My Life“ von TALK TALK. Ich habe Stunden mit diesem Song verbracht, weil mich das Thema so interessiert. Niemand weiß, worum es in dem Song genau geht. Die Lyrics sind aber großartig und springen dir quasi direkt ins Auge. Du kannst aber alles daraus machen, was du willst. Es gibt keinerlei Hinweis für eine bestimmte Interpretation. Jemand in einem Forum schrieb dazu: „Es geht definitiv darum, ein Hund zu sein. Der Song ist aus der Perspektive eines Hundes geschrieben, der sein Herrchen liebt.“. Und das habe ich so angenommen. Selbst wenn TALK TALK jetzt sagen würden, dass es um was anderes geht, dann würde ich das immer noch so interpretieren. Keine Ahnung also, was die Person auf genius.com meinte, aber ich bin definitiv cool damit.

 

Die Reaktionen auf die Platte waren ja sehr gut, so wie ich das sehe.

Ja, stimmt. Ich habe zwar erwartet, dass die Leute es mögen, aber ich hätte nicht erwartet, dass es so viele Leute erreichen würde.

 

Deshalb ja z.B. auch die Frage mit SINGLE MOTHERS und so weiter. Ich glaube, Köln war nicht ganz ausverkauft, aber fast. Ich glaube, dass es deutlich leerer gewesen wäre, wenn ihr „Cheer“ nicht kurz vorher herausgebracht hättet. Zwar finde ich euer älteres Material nicht schlecht, aber die neuen Songs doch definitiv besser.

Ich denke viele Leute sehen das so. Es gab ein bisschen Getuschel, dass es zu poliert klingt oder sowas. Ein paar der älteren Fans mögen es wohl nicht so. Aber ich denke, die meisten haben dann doch noch irgendwie reingefunden. Und die meisten bevorzugen die neue Platte. Meiner Meinung nach ist es nicht sehr weit entfernt von unserem bisherigen Zeug. Aber das heißt nicht zwangsläufig, dass man nicht auch den alten Kram besser finden kann. Vielleicht spricht das alte Material die Leute auch inhaltlich mehr an, obwohl es soundmäßig schlechter ist. Wenn wir rein über die Qualität sprechen, denke ich das auch. Dann ist die neue Platte wohl besser.

 

Mit SELF DEFENSE FAMILY habe ich mich noch nicht so sehr auseinandergesetzt. Mit diesem Hintergrund: Was sind die Hauptunterschiede zwischen den beiden Projekten? Dein Gesangsstil ist natürlich ziemlich einzigartig, daran erkennt man beide sehr gut. Die Lyrics sind auch in beiden Projekten einigermaßen vergleichbar. Für mich liegt das auch nicht Welten weit auseinander. Was denkst du?

Manche Leute denken, dass der Unterschied sehr groß ist. Andere wiederrum finden, dass es kaum einen gibt. Ich sehe beide Projekte sehr unterschiedlich. Das Ziel ist ein anderes. Mit DRUG CHURCH ist für mich live und im Studio das Ziel, präzise zu spielen. Ich denke, das kann großen Spaß machen. Wenn man als Einheit arbeitet und alles funktioniert. Und man dann einfach gute Arbeit leistet. Bei SELF DEFENSE FAMILY ist normalerweise das Ziel, locker zu lassen. Mehr Kontrolle zu haben, um weniger Kontrolle zu erlauben. So ähnlich wie manche Jazz-Künstler vielleicht ihre Musik sehen könnten. Und das gilt auch für die Lyrics. Bei DRUG CHURCH versuche ich stark, die Songs korrekt zu singen. Bei SELF DEFENSE FAMILY könnte das bei jeder Show irgendwie anders aussehen. Für mein Gehirn sind das also zwei unterschiedliche Übungen. Beide Projekte sind persönlich, aber DRUG CHURCH lässt die Leute mehr an sich heran. Dem Zuhörer werden hier mehr Möglichkeiten gegeben, eine Beziehung aufzubauen. Bei SELF DEFENSE FAMILY sind die Lyrics eher exklusiv dafür, dass ich Spaß daran habe (lacht). Ich achte nie besonders darauf, auf Singalongs hinzuschreiben. Aber DRUG CHURCH bietet sich dafür mehr an.

 

Auf der Seite eines anderen deutschen Internetzines (Stageload) ist euer letztes Release mit SELF DEFENSE FAMILY richtig mies weggekommen. „Have you considered punk rock music?“ hieß die Platte, die Autorin meinte sie würde gerne „Have you considered anything interesting or special?” darauf entgegnen. Sie hat dem ganzen dann 2 von 8 Sternen gegeben, während die Leser 8 von 8 vergeben haben. Ich habe dann auch gesehen, dass sie zwei Jahre vorher „Superior“ mit vier Sternen bewertet hat. Dann habe ich mich gefragt, warum sie sich entschieden hat, nochmal eine SELF DEFENSE FAMILY Platte zu reviewen.

Ich weiß nicht, wer das ist, aber ich kann die Frage glaube ich beantworten. Die Musikpresse nimmt sich selbst nicht so ernst, wie sie es tun sollte (lacht).

 

Ja, aber auf der anderen Seite tut sie das auch zu sehr, finde ich. Ich hasse es, ein Kritiker zu sein. Ich mag es beispielsweise auch mehr, Interviews zu machen. Die geben den Lesern mehr Informationen und sind objektiver.

Klar.

 

Ich hasse es wirklich, wenn Freunde mich fragen, ob ich ihre neue Platte rezensieren kann. Da komme ich oft in einen Loyalitätskonflikt.

Klar, aber du kannst es auch anders sehen. Ich war schockiert, wie viele Leute absichtlich meinen Kram rezensieren, obwohl ich weiß, dass sie es nicht mögen. Nur, damit sie es öffentlich schlecht machen können. Das ist aber kein Loyalitätskonflikt, sondern ein Konflikt des Intellektes (lacht). Ich denke, in der Musikpresse geht es ganz viel darum, zu signalisieren, wo man steht. Und für die Kritiker geht es darum zu signalisieren, wer man ist, dass man wichtig ist und dass ihre Meinung viel zählt.  

 

Was ein Bullshit.

Ein Riesenbullshit. Ich denke nicht, dass Kritik schlimm ist. Ich denke sogar, dass es auch eine Art Ehre ist. Paul Schrader hat viele gute Filme geschrieben. Er hat aber auch viele schlechte geschrieben. Angefangen hat er aber als Filmkritiker gearbeitet. Letztendlich hat er sich dann selbst auch dort herein begeben, in die Filmwelt. Weil seine Liebe für das Medium so groß war, dass er auf diesem Wege mehr beisteuern konnte. Ich kann nicht nur an der Seitenlinie stehen und keine Rolle im Geschehen spielen. Eine der größten Tragödie in der Musik ist diese Scham im Umgang mit Kritik an anderen Künstlern. Man weiß, dass man zusammen auf Tour gehen wird, Shows spielen wird und so weiter. Was Novels angeht, sind einige der Kritiker selbst die besten Autoren. Wenn du dich für ein neues Buch interessiert hast, hast du oft auf die Kritik eines anderen Autors gewartet, dessen Arbeit du respektierst. Das passiert in diesem Bereich auch immer noch. Aber da musst du natürlich auch nicht miteinander auf Tour gehen. Es ist individueller, du brauchst die Gemeinschaft nicht. Deshalb kann man da ehrlich miteinander umgehen. Ich weiß nicht, ob die Autorin des Reviews, das du erwähnt hast, Musiker ist. Aber ich finde es tragisch, dass nicht mehr Kritiker selbst Musiker sind. Das soll keine Anschuldigung sein, dass sie dazu nicht in der Lage wären. Ich finde aber, dass es einen Unterschied macht. Wenn du Musik machst und ich mir die anhören, mich in Beziehung dazu setzen kann und du dann über andere Musik sprichst, weiß ich, was dir gefällt. Ich kann die Dinge in Referenz setzen. Einige Kritiker werden sich daran vielleicht stoßen, weil sie das, was sie tun, als Kunst empfehlen. Und irgendwie ist es das ja auch.

 

Irgendwie ist das für mich auch selbsterklärend. In jeder anderen Richtung ist es doch auch so, dass Novizen nicht wirklich über etwas urteilen können. Egal, ob das ein Handwerk ist oder dein Auto über den TÜV muss. Derjenige sollte ja wenigstens wissen, wie ein Auto überhaupt funktioniert.

Ich stimme dir da zu. Aber die Leute verwechseln da was. Ich sage nicht, dass die Leute keine Meinung bezüglich meiner Musik oder anderer Musik haben können. Natürlich können sie das. Ich verstehe nur nicht, warum angenommen wird, dass diese Meinung validiert wird, wenn derjenige nichts an Referenzen vorzuweisen hat. Egal ob es Film, Literatur oder Musik ist – es sollte einen Grund geben, warum deine Meinung wichtiger sein sollte als die von einem Typen an der Kneipentheke. In der heutigen Zeit ist Musikkritik ja auch nicht mehr notwendig, denn du kannst einfach auf Spotify online gehen und es dir selbst anhören.

 

Es kann unterhaltsam sein. Ich habe vor einigen Tagen den Schreiber getroffen, den ich bei Allschools bisher am besten fand. Der schreibt aber schon seit Jahren nicht mehr für uns. Und selbst wenn er Bands zerrissen hat, war das sehr gut zu lesen. Anthony Fantano (theneedledrop) kann man auch als Beispiel nehmen. Selbst wenn ich nicht seiner Meinung bin, was sehr oft vorkommt, kann ich verstehen, warum er manche Dinge nicht leiden kann. Ihr habt da auch im AXETOGRIND-Podcast drüber gesprochen: Es ist eine Qualität, wenn ein Kritiker herausarbeiten kann, warum er etwas nicht mag.

Ich denke, es ist auch erwähnenswert, dass Kritiker, die einen so hohen Stand haben wie er, manchmal eine blinde Anhängerschaft haben und diese ihm alles glaubt, was er sagt. Das Klima um die Veröffentlichung einer Platte verändert sich auch dadurch. Kennst du den Film „The Thing“ von John Carpenter?

 

Nein.

Er hat viele Filme gemacht. Aber ich denke, viele Leute sind sich einig, dass das sein bestes Werk ist. Es gab vor kurzem ein Remake, das nicht so gut war. Aber der Film aus den Achtzigern ist wirklich in jeder Hinsicht ein perfekter Horrorfilm. Es ist unglaublich effizient. Aber als der Film herauskam, wurde es komplett durch den Kakao gezogen. Die Leute haben das total in den Müll geworfen. „E.T.“ kam etwa zur gleichen Zeit raus. Das wurde total abgefeiert damals und wurde als Meisterwerk gesehen. Jetzt wird das als schmalziger Nonsens angesehen. Und auch das sollte man bedenken. Die Perspektive auf Kunst ändert sich, weil wir alle naiv sind. Wir wiederholen nur dass, was andere Leute sagen, bis wir uns eine eigene Meinung von den Dingen machen muss. Ein gutes Beispiel dafür ist auch die letzte Platte von CEREMONY.

 

„The L-Shaped Man“?

Genau. Viele haben da im Vorfeld richtig drauf hin gefiebert. Dann ist das Pitchfork-Review sehr schlecht ausgefallen und hat die Platte dumm und unehrlich aussehen lassen. Die Leute hatten danach Angst, sie gut zu finden. Sicherlich gab es auch einige richtige Punkte in dem Review, und vielleicht ist es auch tatsächlich nicht die beste Platte von CEREMONY. Das ist aber eigentlich egal. Fünf Jahre später hat das Album einige Fans gewonnen und viele Leute mögen es inzwischen. Die Leute haben einfach Angst davor, anderer Meinung zu sein als die Masse. Daraus resultiert dann so eine Kaskade aus Reviews, die nicht wirklich über die Qualität eines Kunstwerks sprechen. Manchmal geht es viel eher darum, dass jemand künstlerisch einen zu weiten Sprung gemacht hat. Ich lese nicht viele Reviews zu meinen eigenen Projekten. Meistens überlese ich das einfach. Es gab vor ein paar Monaten auch einen langen Artikel über mich. Ich habe dem Journalisten dafür gedankt, es aber nur überflogen. Ich bin kein Star oder so, aber ich bin einfach schon lange dabei. Es gibt schon verdammt viele Reviews über mich und meinen Kram.

 

Es sollte nicht deine Herangehensweise an die Kunst ändern.

Wie gesagt, kann ich eine schlechte Kritik nicht ernstnehmen, wenn ich den Autor nicht kenne. Aber um ehrlich zu sein ist das bei positiver Kritik genau so. Ich bedanke mich und schüttele den Leuten die Hand, die mein Zeug loben. Aber es bewegt nicht viel in mir.

 

Echt? Auch da finde ich, dass es relativ schwer ist, eine Distanz dazu gewinnen. Ich war jetzt in ein paar Bands, die nicht besonders erfolgreich waren. Aber wenn ich mir vorstelle, dass sie erfolgreich gewesen wären und mir dann viel gutes Feedback entgegengekommen wäre, hätte ich sicher nicht leugnen können, dass mir das ein gutes Gefühl gibt.

Ich gebe dir mal eines von vielen Beispielen dafür, wieso es bei mir dazu gekommen ist. Vor einigen Jahren hat ein Typ eine sehr schlechte Kritik über SELF DEFENSE FAMILY geschrieben. Dann habe ich mir ein paar andere Sachen angeguckt, die er geschrieben hat. Dieser Typ meinte, dass das Album von GNARLS BARKLEY die Platte des Jahres ist. Ist ja klar, dass so jemand meine Musik nicht mag. Aber wenn dann jemand sagt „Ich liebe deine Band“ oder „Ich habe so lange auf neues Material gewartet“ reagiere ich darauf normalerweise auch nicht gerade sehr überschwänglich. Wenn ich nicht abschätzen kann, ob wir musikalisch irgendwelche Gemeinsamkeiten haben, fühle ich mich durch deine Meinung nicht bestätigt.

 

Hast du denn Beispiele dafür, wann dir die Meinung von jemandem mal wirklich wichtig war?

Wie gesagt kann das manchmal ein gutes Gefühl sein. Eugene Robinson, der Sänger Band OXBOW, wäre dafür ein Beispiel. Er hat bei so einer Q&A-Session gesagt, dass er uns gut fände. Für eine Sekunde hat sich das also gut angefühlt, weil ich ihn als Künstler respektiere.

 

Und dann war das gute Gefühl schon wieder weg?

Ich kann auch nicht sagen, dass es mich verletzt hätte, wenn er uns total zerrissen hätte. Und deshalb kann eine Anerkennung von ihm in mir auch nicht so viel auslösen. Du kannst nicht das eine haben wollen, aber das andere nicht. Um ehrlich zu sein, glaube ich auch nicht, dass die Meinung der Leute nach deiner dritten Platte noch was zählt. Ich habe viele Künstler getroffen, bei denen es mich schockiert hat, wie viel sie sich darum scheren, wie ihre Sachen ankommen.

 

Meinst du drei Platte mit einem Projekt oder insgesamt drei?

Drei Platten in deinem Leben (lacht). Hast du den Film „Roadhouse“ gesehen? Es ist ein schlechter Action-Film. Ich weiß nicht mal, ob diese Beschreibung passt. Ende der Achtziger. Der Hauptcharakter ist ein Türsteher einer Bar. Man kann sich natürlich vorstellen, dass die Leute nicht gerade begeistert sein werden, wenn sie zum Gehen aufgefordert werden. Und seine Entgegnung darauf ist dann immer „Meinungen unterscheiden sich voneinander“. Da hat er Recht. Ich habe Comics herausgebracht, die meiner Meinung nach unterbewertet sind. Egal, wie du es siehst. Aber was zur Hölle kann ich machen? Soll ich in eine Zeitmaschine steigen? Es ist vorbei. Die Leute hatten eine Möglichkeit, es besser zu finden. Und vielleicht passiert es noch in der Zukunft. Aber traurig oder wütend sein, wegen einer Sache über die man Kontrolle hat, macht keinen Sinn. Es gab ja beispielsweise auch mal eine Zeit, in der Millionen Menschen Alben von LIMP BIZKIT gekauft haben. Was soll man dazu sagen? Heutzutage sieht das jeder als Schwachsinn an, der nicht gerade musikalisch ist. Aber damals hatten Millionen Spaß daran.

 

Okay. Lass uns ein bisschen über den AXETOGRIND-Podcast reden. Wie hat das überhaupt angefangen? Ich habe mir bisher nur die neusten sechs oder sieben Folgen angehört.

In einem Gruppenchat. Tom und ich hatten für jemand anderen einen Podcast zusammen gemacht und wir fanden das gut. Wir dachten dann, wir sollten sowas nochmal machen. Bob war dann irgendwann auch im Gruppenchat. Wir fragten ihn irgendwann, ob er dabei sein will. Und weil er viel organisierter ist als wir, hat sich daraus etwas entwickelt. Am Anfang wollten wir nur über unsere Alben des Jahres sprechen und über unsere Erwartungen für das nächste Jahr. Am Anfang war die Soundqualität echt beschissen. Aber wir haben bemerkt, dass es eine Menge Leute gibt, die früher mal ähnliche Unterhaltungen mit ihren Freunden hatten und das jetzt nicht mehr haben können. Vielleicht gibt es dafür nicht mehr genug Messageboards oder vielleicht sind sie älter geworden und haben dafür keine Zeit mehr. Oder sie sind jung und die einzige Person in ihrem Freundeskreis, die diese Art von Musik mag. Es hat sich herausgestellt, dass viele Leute so etwas vermisst haben. Und bisher gab es echt gutes Feedback dazu.

 

Es sind ja auch gute Konzepte dabei. Live-Recordings, das Mosh-Madness-Turnier,…

Danke dir. Mosh-Madness war etwas, wo wir zwischen den Stühlen standen. Steve Ditko, ein amerikanischer Comiczeichner hat mal einen Award gewonnen. Sein Partner hat dann den Preis entgegengenommen und er war unglaublich sauer auf ihn. Er meinte: „Wenn ich da gewesen wäre, hätte ich den Award weggeschmissen. Weil du Künstler nicht miteinander vergleichen kannst.“. Größtenteils sehe ich das auch so. Deshalb haben wir lange damit überlegt. Aber es ging uns einfach darum, das als Werkzeug zu nutzen, um über Musik zu reden.

 

Ihr habt ja auch in jeder Folge erklärt, dass es darum geht, Platten (wieder) zu entdecken und tiefer einzutauchen. Für mich waren 8 Platten pro Folge allerdings zu viel dafür.

Ne, das ist natürlich eine Menge. Jemand, der mit Spotify in Verbindung steht, hat uns ein paar Zahlen geschickt. Und daher wissen wir, dass wir die Klickzahlen von einer Menge Bands ganz schön in die Höhe getrieben haben. Das ist ein gutes Gefühl, denn manche dieser Bands bekommen nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Bei manchen verstehe ich auch nicht, was gut daran sein soll. Aber andere Leute werden das. Das wird dann vielleicht deren Lieblingsplatte, von der sie vorher nicht wussten, dass sie existierte.

 

Ich denke, dass die Mischung aus euch drei auch eine sehr gute Grundlage für einen Podcast ist. Bob von Revelation Records erscheint mir sehr belesen, was Hardcore angeht. Wie ein Lexikon.

Er hat eine schnelle Auffassungsgabe und ein sehr gutes Gedächtnis. Er hat auch an der NYU (New York University) als Co-Professor einen Kurs über amerikanische Hardcore-Geschichte gehalten. Das soll wohl eine sehr gute Erfahrung gewesen sein. Einige Gäste wurden eingeladen, Ian McKaye war wohl auch mal dort. Er ist als Lehrer wirklich gut geeignet.

 

Du bist mit deinem Humor ein guter Gegensatz zu ihm. Häufig wirfst du etwas in den Raum und er kann es dann relativieren und in einen Kontext bringen, ohne dass es sich wie eine Diskussion anfühlt.

Es ist ein wirklich gutes Team dafür. Tom war eine sehr lange Zeit als Sänger von INDECISION in der Hardcore-Szene involviert. Er hat auch auf der ersten Platte von MOST PRECIOUS BLOOD gesungen. Er hat Erfahrungen aus erster Hand, die mir und Bob fehlen. Und ja, ich bin normalerweise der Typ für gewagte Ansagen. Was seltsam ist, weil ich derjenige auf Tour bin und Gefahr laufe, von dem Zwanzigjährigen auf die Fresse zu bekommen, dessen Platte ich zerrissen habe (lacht).

 

Auch dass ihr viele der Bands im Privaten kennt, macht es sehr interessant. Wenn ich mir vorstelle, wie das jemand in Deutschland macht, stelle ich mir das eher kompliziert vor. Es wäre schwer, nicht ständig Leuten auf die Füße zu treten.

Es ist nicht so schwierig, wie es scheint. Der Gang-Kram kann manchmal etwas komplizierter sein. Du bist ja normalerweise nicht in einer Gang, weil du ein vernünftiger Mensch bist. Und ich brauche niemanden, der mir den Arm bricht. Wir kennen allerdings, wie du sagst, viele dieser Leute und können daher mit den Situationen meist umgehen. Über die Musik selbst zu reden ist aber normalerweise kein so großes Ding. Ich denke, dass die Leute verstehen, dass wir eigentlich supporten wollen und es Bands gönnen, wenn sie Erfolg haben. Nur weil wir etwas nicht mögen, heißt das nicht, dass wir es weghaben wollen oder den Erfolg nicht gönnen. Und wenn es doch so wäre: „Come at me“, das ist mir egal (lacht). Normalerweise will ich sowas aber auch nur, wenn es ein persönliches Problem gibt. Ansonsten möchte ich, dass Leute Spaß an ihrer Sache haben und damit erfolgreich sind. Das bringen wir glaube ich gut rüber. Es wird immer jemanden geben, der nicht glücklich mit den dort gemachten Aussagen sein wird. Aber meistens passt es. Vielleicht, weil wir etwas vorzuweisen haben. Genau das, was ich eben meinte. Wenn ich die Musik von jemandem kritisiere, kann er sich SELF DEFENSE FAMILY anhören. Vielleicht stellt er dann fest: „Das finde ich scheisse, der Typ wird meine Youth-Crew-Band nie verstehen können“ und gibt nichts auf meine Meinung. Und das ist dann okay.

 

Bist du denn eigentlich schonmal in Probleme gekommen wegen der Dinge, die du gesagt hast?

Nein, das passiert dann doch eher wegen privater Dinge. Auf der Bühne sind schon mal Leute los gegangen, aber das war dann wegen Sachen, die ich dort gesagt habe. Ich hatte lange Zeit keine Auseinandersetzung mehr in solch einer Hinsicht.

 

Aber du würdest dich gegebenenfalls auch deswegen mit Leuten prügeln? Du scheinst was das angeht nicht gerade wie ein Pazifist.

Ich bin ein Pazifist, weil ich 65kg wiege. Ich bin ziemlich dünn. Ich werde mich also mit niemandem prügeln (lacht). Aber ich bin auch nur ein menschliches Wesen und wenn du mich über eine gewisse Grenze hinausdrängst, überlege ich mir das vielleicht doch. Meine Meinung in Bezug auf Gewalt ist vielschichtig. Ich habe mal gesehen, wie jemand in einer Schlägerei gestorben ist. Das kann also passieren. Und wegen einer Lappalie ist das echt dumm. Ich vermeide Konflikte um jeden Preis, aber wenn dich jemand lange genug provoziert und sich mit dir prügeln will, wird er das wohl irgendwie schaffen. Im Moment habe ich nicht einmal eine Krankenversicherung. Wenn mir also jemand die Zähne ausschlägt, wird das einen ganzen Haufen Geld kosten. Nicht mal aus dieser Perspektive könnte ich es mir leisten (lacht).

 

In einem anderen Podcast habe ich Jeremy Bolm über dich reden hören. So kam ich auch an den AXETOGRIND-Podcast. Er hat dich dort „ein offenes Buch“ genannt. Das stimmt mit meinem Eindruck überein. Warst du schon immer so oder war das irgendwann eine bewusste Entscheidung?

Ich habe ja vorhin schon darüber gesprochen, dass es je nach Situation hilfreich oder gefährlich sein kann, wenn die Leute denken, sie wüssten, wer du bist. Du kannst das wie Wes von AMERICAN NIGHTMARE machen. Er demonstriert, wer er ist, indem er nicht redet. Er gibt keine Interviews, ist nicht viel auf Social Media. Indem er also kein offenes Buch ist, legt er etwas über sich offen. Und manche Leute lieben das, diese Mystik um ihn. Für mich selbst funktioniert das aber so nicht. Wenn du ein bisschen in der Öffentlichkeit stehst über Liveshows, Podcasts und so weiter, dann gibt dir das auch die Möglichkeit, total ehrlich mit allem zu sein. Viele Leute haben sicherlich Dinge, über die sie nicht reden wollen. Glücklicherweise habe ich nie etwas getan, das man nicht mit einer Entschuldigung wieder gut machen könnte. Es gibt nicht so viel, das ich zu verstecken hätte. Karl Lagerfeld ist ja vor ein paar Tagen gestorben. Ich habe keine Ahnung von Fashion, habe aber eine Menge Leute gesehen, die ihn geehrt haben. Dann aber auch Leute, die etwas von vor 10 Jahren herausgekramt haben, das Ihnen nicht gefallen hat. Und das hat mich irgendwie angeekelt. Die Leute wollen das feiern, was sie am Lebenswerk gut fanden und das sie inspiriert hat. Sie müssen nicht alles, was er in seinem Leben getan oder nicht getan hat, rechtfertigen. Das ist für mich das Verhalten eines Inquisitors, eines Bürokraten, eines Regierungsangestellten. Und nicht das Verhalten von jemandem, der das Beste für andere Leute will und die Arbeit anderer Leute würdigt. Das ist Stasi-Scheisse. Auch in meinem Lebenslauf können Leute Dinge finden, die ihnen nicht gefallen. Ich habe aber nie jemanden missbraucht oder körperlich verletzt. Ich lebe im Reich der Entschuldigungen, wo nichts so schlimm ist, dass ich es nicht irgendwie wieder gut machen könnte. Ich bin mir aber sicher, dass ich schon Dinge gesagt oder getan habe, die aus der Perspektive eines anderen Menschen nicht in Ordnung und beleidigend waren. Wenn ich dann in 25 Jahren sterbe, könnte man sowas auch herauskramen.

 

Ich habe bezüglich Karl Lagerfeld fast zu 100% negative Kommentare gesehen. Man solle ihn nicht feiern, weil er misogyn war und dafür verantwortlich ist, dass Frauen Essstörungen entwickelt haben und so weiter. Ich glaube nicht, dass es da um bestimmte Dinge ging, die er gesagt hat, sondern eher um das Gesamtbild. Auf der anderen Seite habe ich natürlich auch eine linke Punk-Bubble auf den sozialen Medien.

Wie gesagt feiern die Leute sein künstlerisches Werk. Sie müssen nicht mit seinen Meinungen übereinstimmen. Ich finde Punks ganz schön enttäuschend. Sie verhalten sich wie eine Moralpolizei. Ich bin nicht in die Punk-Szene gekommen, um Leute zu beurteilen. Um ihren Wert am Ende ihres Lebens zu bestimmen. Wenn jemand versuchen würde, meinen Wert und meinen Beitrag in der Welt wegzunehmen, weil ich etwas gesagt habe, dann ist das ein verdammter Loser. Solche Leute hassen nicht mich, sondern sie hassen sich selbst. Ich habe keine Ahnung, wie die Designs von Karl Lagerfeld aussahen. Aber wenn ich ein Fan davon wäre, müsste ich nicht mit allem d’accord gehen, was er getan hat. Das ist eine peinliche Idee. Das ist die Mentalität eines kleinen Kindes. Dass jemand anders deinen Segen braucht, um wertgeschätzt zu werden. Und meiner Meinung nach ist das auch alles andere als Punk. Das ist eher wie die Polizei.

 

In vielen Interviews habe ich in der letzten Zeit auch gelesen, dass Rapper die neuen Punks sind, weil sie sich Dinge trauen, provozieren und noch gewagte Statements machen. Weil sie nicht so viel Angst davor haben, wie sie ankommen könnten.

Ja, das ist ein bisschen verrückt. Dass Typen mit Gesichts-Tattoos, Vampirzähnen und Grillz vernünftiger sind als Punks. Das ist enttäuschend.

 

Es kommt drauf an. Ich glaube nicht, dass es eine Sache der Vernunft ist. Vielleicht eher eine Sache von Sicherheit und Kontrolle. Punks scheinen mir heute sehr kontrolliert. Um NOFX zu zitieren: „When did punkrock become so safe?“ – und NOFX wurden dann komplett in Amerika gecancelt, als sie einen Witz über den Amoklauf in Las Vegas gemacht haben.

NOFX sind seit 35 Jahren dabei. Und von Anfang an haben sie diese Masche durchgezogen, als provokative Entertainer. Es ist unehrlich, sich NOFX anzuschauen und dann zu sagen: „Oh Gott, diese Typen meinen alles ernst, was sie auf der Bühne sagen und machen.“. Da macht man sich doch selbst was vor. Man muss diese Masche ja nicht mal mögen. Ich finde NOFX scheisse. Wenn Leute einen Film sehen, müssen sie auch nicht mit allem übereinstimmen, was sie sehen. Dann wären sie Psychotiker. Aber wenn sie NOFX sehen, müssen sie auf einmal mit jedem Element dieses Entertainments übereinstimmen? Das ist krank. Das wäre, wie wenn man DAVID BOWIE ansieht und sagt: „Ich bin keine Spinne vom Mars, ich kann keine Connection zu diesem Mann aufbauen“. Das ist so dumm. Was meine Bands angeht, habe ich mir eben ausgesucht, dass es eine 1:1-Übereinstimmung zwischen mir als Person und dem Act gibt. Du musst da nichts interpretieren. Bei DAVID BOWIE ist das aber beispielsweise anders. Er hat alle diese unterschiedlichen Persönlichkeiten angenommen. Vielleicht fiel es ihm schwer, in seiner Musik ehrlich zu sein und es hilft ihm, Meinungen und Themen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu bearbeiten. Trotzdem kriegt man noch eine bestimmte Idee davon, wer er ist. Ich will NOFX nicht mit DAVID BOWIE vergleichen, weil er viel talentierter ist, aber beides sind einfach Inszenierungen. Man geht doch auch nicht zu einer Comedy-Show und beschwert sich, dass er einen deplatzierten Witz über Las Vegas gemacht hat. Er macht da seinen Job. Da kannst du auch in eine Seifenfabrik gehen und dich beschweren, dass diese Typen Seife machen. Und diese Idee, dass wir allem zustimmen müssen, das wir antreffen, ist einfach Faschismus. Das ist ekelhaft. Das ist kein vernünftiges Gedankenmuster. Das ist kindisch, das ist wie ein Polizist, der die anderen kontrollieren will. Und ich lehne das strikt ab.

 

Ich denke auch, dass es einen sehr feinen Unterschied zwischen Ästhetik und Inauthentizität bei Musikern gibt. Wir haben ja eben über Wes Eisold gesprochen, der auch eine bestimmte Ästhetik bedient. Ich beschäftige mich in den letzten Jahren viel mit NINE INCH NAILS. Bist du Fan von denen?

Kein ausgesprochener. Die ersten beiden Platten finde ich aber ganz gut.

 

Ja, das sind auch meine Favoriten. Aber mir gefällt auch das andere Zeug. Ich denke, auch er will auf eine Ästhetik hinaus. Genau wie COLD CAVE. Und deshalb bringen Wes Eisold und Trent Reznor da vielleicht keinen persönlichen Kram mit rein. Andererseits wird es auch sehr künstlich und lächerlich, wenn man es mit einer Ästhetik übertreibt. Zum Beispiel diese ganzen Metalcore-Bands, die sich selbst viel zu ernst nehmen. Darüber würde ich gerne mit dir sprechen, weil du für mich sehr authentisch wirkst. Vielleicht leidet darunter aber die Ästhetik deiner Bands, denn ihr könntet sowas wie die genannten Bands nicht tun.

Ich hatte mal deutlich größere Probleme mit solchen Künstlern als ich es jetzt habe. Meiner Meinung nach müssen Dinge nicht super direkt sein. Es kann obskur sein. Man muss nicht direkt das repräsentieren, was man ist. Andererseits kann man, wie du sagst, auch an einen Punkt kommen, der für die Leute nicht mehr ansprechend ist. Ich kann da inzwischen aber besser mitfühlen. Ich kann vor allem verstehen, warum jemand nicht zu viel über sich selbst preisgeben willst. Das hat nämlich seinen Preis, wenn man einen Raum betritt, und die Leute denken alle, dass sie wissen wer du bist.

 

Es gibt auch mehrere Interviews mit Trent Reznor aus der Zeit, in der er „The Downward Spiral“ herausgebracht hat. Für ihn war das sehr furchteinflößend, weil es ihm vorkam, als sei er jede Nacht quasi psychisch nackt vor zehntausenden von Leuten.

Gegenüber Fremden offen zu bleiben, während man gleichzeitig von ihnen verurteilt wird, ist nicht einfach. Ich denke, dass eine Menge Musiker Narzissten sind. Und manche auch Psychopathen. Das kann gefährlich sein, weil diese Leute gefährliche Dinge tun können. Keinen lässt es kalt, wenn man von anderen Leuten persönlich hart verurteilt wird. Das kann aus jedem die schlechteste Seite rausholen. Ich will aber nicht das Verhalten anderer Leute entschuldigen, denn manche tun echt verrückte Sachen. Aber ich verstehe die Grobheit, die manche Leute an den Tag legen. In England ist mal auf einer unserer Shows eine Frau in den Backstagebereich gekommen. Ich hatte keine Ahnung, wer sie ist. Ich dachte, sie gehört zu der anderen Band. Sie hat sich in meine Nähe gesetzt und angefangen, mich zu beobachten. Später habe ich herausgefunden, dass diese Person zur Show und in den Backstage gekommen ist, um herauszufinden, ob ich und meine Band in Ordnung ist oder nicht. Ob wir die richtigen Dinge denken oder abgefuckte Dinge sagen. Das ist ein scheiss Undercover-Polizist für mich. Das ist jemand, der seine ganze Nacht damit verbringt, einen Fremden zu untersuchen. Solche Leute existieren, und dann überlegt man eben, ob man gegenüber jedem noch so offen sein will. Denn manche Leute gucken wirklich nach dem schlimmsten in dir. Und das ist scheisse.

 

Wir nähern uns dem Ende meiner Frage. Was sind klassische Einflüsse, die ein DRUG CHURCH-Fan kennen sollte? In eurem Audiotree-Video wurdet ihr das auch gefragt. Du meintest, du könntest nicht verstehen, wieso manche euch als Pop-Punk Band sehen. Andere hätten aber bemerkt, dass die PIXIES zum Beispiel ein Einfluss sind. Kannst du da noch mehr nennen?

Ich würde sagen, dass wir eine Menge Liebe für die LEMONHEADS haben. Die LEMONHEADS werden als Einfluss aber ganz schön gemolken in den letzten Jahren. Viele Leute kupfern da einfach sehr viel ab. Wir tun das zu einem bestimmten Grad. Wir mögen die ersten drei Alben, den Rest sehe ich nicht so sehr. „It’s A Shame About Ray“ wird viel kopiert. Davor gab es viele Punkbands, die sich an HÜSKER DÜ und so weiter angelehnt haben. „Creator“, das zweite Album der LEMONHEADS, sollte man mal auschecken. Diese Songs sind aggressiv, ohne heavy oder hart zu sein.

 

Jeremy Bolm von TOUCHE AMORE hatte diesen „Ask me my top 3”-Kram in seiner Instagram-Story vor einiger Zeit. Und mir ist aufgefallen, dass er eine Menge Bands aus eher wenig beachteten Ländern weiß, zum Beispiel Japan und so weiter. Ich habe diese Fragen schon vielen amerikanischen oder australischen Bands gestellt und mir kam es so vor, als ob sie sich meistens nicht wirklich mit europäischen oder englischen Bands beschäftigen. Nicht, dass man das müsste. Aber ich würde es glaube ich machen, wenn ich in diesen Ländern unterwegs bin. Wie ist das bei dir? Hast du da die Zeit für? Und hast du da irgendwelche Favoriten? Kann auch älterer Kram sein.

Ohje, ich weiß tatsächlich nicht, ob ich da irgendwas benennen kann. Klassiker.. mal sehen. Es gibt doch diese Deutschpunk-Sparte!? DIE TOTEN HOSEN und so weiter. Das höre ich nicht, aber ich kenne es. Was habt ihr noch? ATARI TEENAGE RIOT.

 

Die sind deutsch?

Ich meine schon. Ja, die sind aus Berlin. Ich habe es gerade mal nachgeguckt.

 

Ich dachte eher an Bands aus euren Gefilden. Mit denen ihr gespielt oder getourt habt. Du kannst natürlich auch größere Sachen nennen, aber wie gesagt war ich von Jeremy’s Wissen um kleinere Bands sehr beeindruckt.

Er ist wirklich ein Musikliebhaber im traditionellen Sinne. Er hat immer Bock, neue Sachen kennenzulernen. Ich versuche mal, mich zu erinnern. Vielleicht gibt es deutsche Crust-Acts, die mir noch einfallen.

 

Da gibt es bestimmt einiges, aber das verfolge ich nicht so. Bist du ein Crust-Fan?

Ich bin ein riesiger AMEBIX-Fan. Aber ich denke, dieses komplette Riesengenre kommt da nicht ran.

 

Die kenne ich nicht.

AMEBIX sind für mich, was Crust sein sollte. Und alle Anstrengungen, wie AMEBIX zu sein, sind einfach scheisse.

 

Ist TRAGEDY nicht die größte Crust-Band?

Sie waren sicherlich die größte ihrer Ära, ja.

 

Es gab eine deutsche Crust-Band, die recht groß war. ALPINIST.

Jap!

 

Die haben eine neue Band namens JUNGBLUTH gegründet. Die waren ziemlich gut.

Ich habe mal weiter überlegt und geschaut. CALIBAN mag ich nicht wirklich. Ich denke, dass der Beatdown Hardwear Kram für mich interessant ist.

 

Wirklich? Meine zweite Band war auf diesem Label.

Kein Scheiss (lacht)? Ich habe Respekt vor diesem Label, weil es nicht einfach ist, diese Größe zu erreichen in solchen musikalischen Gefilden. Vieles von der Musik macht allerdings nicht so viel Sinn für mich. NASTY sind an sich ganz interessant, aber das Drumming ist mir ein bisschen zu mechanisch.

 

NASTY sind die größte Band von BDHW, würde ich sagen.

Diese Band schafft es scheinbar wirklich, über eine längere Zeit ein großes Ding in Europa zu sein. Die gibt es doch auch schon ein Jahrzehnt, oder? TRAINWRECK waren auch ein größeres Ding, als wir mit SELF DEFENSE FAMILY zum ersten Mal rübergekommen sind. Um ehrlich zu sein, hat mich aber aus Deutschland nicht besonders viel vom Hocker gehauen. RED TAPE PARADE fand ich ganz gut. Ansonsten sind es aber eher die klassischen Sachen. ACME zum Beispiel, wobei ich die auch ein bisschen überbewertet finde. Aber mir fällt wirklich nicht viel ein.

 

Muss ja nicht. Tourt ihr denn meistens in Amerika, Europa, UK oder auch in „abgelegeneren“ Gegenden?

Wir haben Pläne für Südamerika und Südostasien und werden wohl beide auch in den nächsten beiden Jahren machen. Das kann finanziell aber immer etwas schwieriger werden. Man ist ein bisschen inmitten von nichts. Wenn man es nicht mit Australien oder Japan verbindet, kann das sehr schwer sein. Normalerweise fügt man das in eine größere Tour ein. Wenn wir dabei nicht pleite gehen, würden wir das jederzeit machen.

 

Das Jahr ist ja nun schon mehr als einen Monat alt. Auf was freust du dich im Jahr 2019, musikalisch und auch davon abgesehen?

SELF DEFENSE FAMILY wird wahrscheinlich etwas Neues rausbringen. DRUG CHURCH wird etwas aufnehmen, aber wahrscheinlich erst nächstes Jahr veröffentlichen. Darauf freue ich mich. Was die Musik anderer Leute angeht: EKULU aus New York bringen etwas raus, das könnte gut werden. Ich mag ihren Stil. Ansonsten weiß ich es ehrlich gesagt nicht. Wir haben das auch mal in einem Podcast besprochen.

 

Im AXETOGRIND-Podcast?

Da bin ich mir nicht sicher. Vielleicht haben wir das gemacht, vielleicht kommt es auch noch.

 

Es muss wie gesagt nichts Musikalisches sein.

In persönlicher Hinsicht freue ich mich auf neue Comics, die ich rausbringen werde. Aber was die Arbeit anderer Leute angeht, ist es für mich echt schwierig, mir das alles zu behalten. Was wann raus kommt.

 

Weil du zu sehr mit deinen eigenen Sachen beschäftigt bist?

Das könnte stimmen. Wir könnten es auch „selbstbezogen“ nennen.

 

Ich fand die neue Platte von WICCA PHASE SPRINGS ETERNAL ganz spannend. Und davon war ich überrascht, weil ich vorher immer nur dachte, dass er ständig einfach nur schief über irgendwelche Beats singt.

Echt, ist die gut? Ich kenne Adam und diese Band ziemlich gut. Ich hab ihm von Anfang an den Erfolg gewünscht, aber für mich macht diese Art von Musik nicht besonders viel Sinn. Aber das neue Album habe ich noch nicht angehört. Ich müsste jedenfalls lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte dieses Genre verstanden.

 

Das ist bei mir auch so. Ist neues Terrain.

Ja, aber das macht es ja so spannend. Es ist neues Terrain für sehr sehr viele Leute.

 

Okay, das war’s. Vielen Dank für deine Zeit und deine ausgiebigen Antworten!

Ich danke dir.