Interview mit Polar Bear Club

17.10.2012
 

 

Allschools: Hallo Jimmy. Danke, dass du dir Zeit nimmst.
Jimmy: Gern. Natürlich!

Allschools: Wie läuft die Tour bisher?
Jimmy: Die ersten zwei Tage waren wirklich schlimm. Erst kam unser Fahrer vier Stunden zu spät zum Flughafen und dann ist sein Van auch noch nach kurzer Zeit liegen geblieben und wir haben es nur so grade eben noch zum Area 4 Festival geschafft. Aber davon mal abgesehen, ist die Tour bisher super verlaufen.

Allschools: Gewöhnt man sich mit der Zeit an solche Schwierigkeiten?
Jimmy: Irgendwie schon, irgendwas ist immer. Ich verfalle bei solchen Situationen immer in eine Art Survival-Modus. Aber wie sagt man so schön: „The Show Must Go On!“

Allschools: Ihr seid nicht zum ersten Mal in Köln unterwegs. Und ihr habt mit KMPFSPRT, damals noch unter anderen Namen, sogar denselben Supportact wie damals im Blue Shell. Ist zwischen euch eine Freundschaft entstanden?
Jimmy: Um ehrlich zu sein, war das nicht wirklich geplant. Ich glaube, das haben wir unserem Promoter zu verdanken. Aber es sind gute Jungs und wir sind definitiv auf dieser Tour Freunde geworden. Das nächste Mal, wenn wir rüber kommen, wird eine eventuelle erneute Zusammenkunft also nicht mehr zufällig sein. Da fällt mir ein, in diesem Club fand unsere aller erste Deutschland-Show statt. Damals mit The Gaslight Anthem. Und seitdem sind wir bestimmt schon zehn Mal in Europa gewesen.

Allschools: Ihr hab kürzlich ein paar größere Festivals gespielt, darunter die Warped-Tour in den USA und einige deutsche Festivals. Jetzt spielt ihr kleinere Clubsshows. Stellt das einen Unterschied für euch dar?
Jimmy: Vor einigen Tagen haben wir in Berlin gespielt. Das war unser erster Gig innerhalb eines Gebäudes in den letzten drei Monaten. Es hat schon einen Moment gedauert, sich wieder daran zu gewöhnen. Es ist schon ein großer Unterschied. Wenn du Open Air spielst, fühlt es sich anders an. Du schreist z.B. Dinge wie „Und jetzt nehmt alle die Hände hoch!“. Es ist einfach ein anderes Feeling. Aber, um ehrlich zu sein, sind Shows wie diese eher unser Element. Es ist dunkler, dreckiger und heißer. Viel persönlicher. So wie wir es mögen und da kommen wir her. Wir mussten erst mal lernen, solche Shows wie auf der Warped-Tour zu spielen. Zurück in unserem Element ist es wie Fahrradfahren, das müssen wir nicht erst neu lernen, das haben wir stets im Hinterkopf gehabt.

Allschools: Werdet ihr auf Grund eures Namens oft gefragt, ob ihr für die Rechte der Tiere kämpft?
Jimmy: Eher selten. Wir sind jetzt nicht die großen Tierrechtskämpfer, auch wenn wir ihre Ideale vollkommen unterstützen und ich als einziger in der Band auch Vegetarier bin. Das war nicht unser Plan für die Band. Der Name kommt von einem Song, von einer Band namens Silent Majority und die haben den Namen aus einer Serie. In der geht es um eine Gruppe von Leuten, die außerhalb von New York wohnen und in den Wintermonaten in eiskalten Seen schwimmen gehen.

Allschools: Würdest du sagen, dass sich das Publikum in Deutschland von dem in den USA unterscheidet?
Jimmy: Nicht sehr. Wobei ich glaube, dass in den USA viel mehr junge Leute sich unsere Shows anschauen. Touren mit Bands wie The Wonder Years ziehen dort eher die Kids an, die gerade anfangen, in unser Musikgenre reinzukommen. Hier sind die Leute etwas älter und reifer. Aber sie lieben und leben alle das gleiche Ding. Wir sind sehr dankbar, dass wir hier eine ähnliche Resonanz haben wie in den USA. Dort gibt es so viele Bands, die vor Ort wahnsinnig berühmt sind und danach schmachten, in Deutschland zu spielen. Aber es funktionier nicht. Die Tatsache sagen zu können, dass wir wissen, was uns erwartet, dass uns in Europa unsere Fans und Freunde erwarten, macht uns sehr stolz.

Allschools: Ihr habt soeben eine Akustik-Platte herausgebracht. Erzähl uns etwas darüber.
Jimmy: Es gab viele Gründe dafür, dass wir diese Platte aufgenommen haben. Zum einen wollten wir das Pre-Order-Paket für unsere aktuelle Platte aufpeppen. Viele Bands nehmen eine 7'Platte als Extra auf mit lauter Dingen, die schon mal da waren - aber als Akustikversion. Wir wollten etwas Ähnliches machen, aber nicht mit einfach im Studio aufgenommen Tracks. Daher haben wir uns für Liveaufnahmen entschieden. Wir wollten, dass es lebendig und energiegeladen klingt genau wie unsere Band. Wir haben uns gesagt, dass wir drei Songs davon für die 7' nehmen und das ganze Konzert später als eigenständige Platte herausbringen. Und zum anderen werden wir mehr und mehr nach Akustiksongs gefragt - gerade hier in Europa. Wir hatten immer Angst davor. Also haben wir uns irgendwann gesagt, lasst uns das machen, was wir am meisten fürchten und eben diese Platte in einem Club in unserer Nachbarschaft aufnehmen. Seit dem kann uns nichts mehr ängstigen.

Allschools: Man kann also damit rechnen, dass die Resonanz recht positiv ausgefallen ist?
Jimmy: Auf jeden Fall. Ich will ehrlich sein. Es ist keine Platte, für jemanden der sich noch gar nicht mit unserer Musik beschäftigt hat. Natürlich kann auch diese Person seine Freude daran finden. Aber in erster Linie ist es doch unwahrscheinlich, dass jemand über genau diese Platte unser Fan wird. Wer uns aber schon mag, dem gefällt auch diese neue andere Aufmachung von Polar Bear Club.

Allschools: Gibt es eine besondere Verbindung zwischen euch und Hamburg? Immerhin heißt eine ganze Platte danach.
Jimmy: Definitiv. Nicht nur die Platte heißt so, sondern auch der letzte Song auf der Selbigen. Ein paar Tage nach unserer ersten Show hier im Underground, spielten wir in Hamburg. Es war eine von diesen Nächten, wo einfach alles schief ging. Der Sänger von TGA war krank, Frank Turner musste länger spielen... es war eine komische Energie in der Luft. Wir mussten alle so kämpfen, damit die Show zustande kam und alles war recht spontan. Und als wir auf die Bühne traten, war uns auf einmal klar, dass alles, was wir machen, richtig ist und wir genau das machen wollen, denn die Show war großartig. Wir haben gefeiert, zusammen mit Frank Coversongs gesungen, ein bisschen getrunken und einfach eine gute Zeit gehabt. Es war eine dieser unvergesslichen Nächte, die dich einfach packt. Eine grade Linie, die dir zeigt, dass all der Aufwand, den du betreibst, es wert ist - trotz aller Schwierigkeiten, denen du dich stellen musst.

Allschools: Wie denkst du, hat sich Post-Hardcore oder Punk verändert seit dem ihr angefangen habt, Musik zu machen?
Jimmy: Es hat sich viel verändert. Als wir angefangen haben, wurden Band wie Refused, Strike Anywhere und At The Drive, die uns stark beeinflusst haben, als Post-Hardcore bezeichnet. Die heutigen Bands dieser Musikrichtung sind viel mehr vom Emo der 90er Jahre beeinflusst, bzw. den frühen Sachen von boysetsfire, Touche Amore oder La Dispute zum Beispiel, die ich, nebenbei bemerkt, sehr mag. Aber sie machen nun mal „modernen“ Post-Hardcore - nicht das, was es für uns mal war. Ich glaube auch, dass wir unter den aktuellen Ansichten heute eher als Punk-Rock Band gelten.

Allschools: Findest du das okay so?
Jimmy: Ich kann damit leben. Es gehört ja schon irgendwie alles zusammen. Punk an sich ist eine Rebellion durch Musik. Wir wollten Musik machen, die wir hören wollten und die es zu dem Zeitpunkt nicht wirklich gab. Heute sagen sich die Bands etwas Ähnliches, nämlich dass sie die Musik, die sie gern hören würden, so gar nicht mehr finden und deswegen genau das machen und sich dabei von frühen Bands mehr beeinflussen lassen. Ohne sich darum zu kümmern, wie die Allgemeinheit ihre Musik bezeichnet. Ich finde das großartig. Ich frage mich, wie der Sound der Kids klingt, die sich in zehn Jahren von Touche Amore inspirieren lassen...

Allschools: Oder wenn sich jemand euch als großes Vorbild nimmt.
Jimmy: Ganz genau. Das würd ich nur zu gern hören. Das wird bestimmt sehr strange.

Allschools: Ihr habt euer letztes Album mit dem ehemaligen Battery-Sänger Brian McTernan aufgenommen. Erzähl mal bitte etwas über die Zusammenarbeit.
Jimmy: Wir haben ihn immer nur mit den „großen“ Bands, die wir so lieben, arbeiten sehen und plötzlich arbeitete er mit uns. Brian ist ein großartiger Produzent und selbst Songwriter. Man kann ins Studio gehen und all diesen „normalen“ Abläufen folgen, um einen Song gut klingen zu lassen. Technische Mittel, spezielle Mikrophone, großartige Drums und so weiter. Aber Brian ist das am Anfang relativ egal. Für ihn zählt viel mehr der Song an sich. Wenn man ein gutes Lied hat, kommt es nicht so sehr darauf an, wie es klingt. Es kann auch ein guter Song sein mit nur einer Stimme und einer Akustikgitarre, ohne viel Hall auf die Stimme zu legen oder irgendwelche großen Effekte einzubauen. Wir haben ganze zwei Wochen mit ihm Preproduction betrieben und uns über die Songs, die wir aufnehmen wollen, unterhalten. Er wurde zum sechsten Bandmitglied, zum sechsten Songwriter. Er ist genau so ein Typ, wie wir sind. Leute, die in der Hardcore-Szene großgeworden sind, aber trotzdem frühen Emo lieben. Es war eine perfekte Zusammenarbeit.

Allschools: Welchen Beruf würdet ihr ausüben, wenn ihr nicht pausenlos auf Tour wärt?
Jimmy: Ich habe keine Ahnung. Ich glaube, wenn ich es wüsste, würde ich es tun. Denn die meisten Leute heutzutage können nicht davon leben, nur Musiker zu sein. Ich habe einen Job, wenn ich zu Hause bin. Es ist aber nicht meine Karriere oder ein Beruf auf Lebenszeit. Meinem Vater gehört eine Nudelfabrik. Da arbeite ich manchmal, um die finanziellen Lücken zu füllen. Hauptsache kein langweiliger Bürojob.

Allschools: Würdet ihr heute alles noch genauso machen? Rein auf die Musik bezogen.
Jimmy: Das ist eine schwierige Frage. Wenn du‘s getan hast, hast du‘s getan und du kannst es nie wieder rückgängig machen. Egal, wie sehr du es versuchst. Ich möchte diese Box nicht aufmachen und damit beginnen, darüber nachzudenken, was ich heute anders machen würde. Weil, wenn man einmal damit angefangen hat, hört man nicht mehr damit auf. Es wäre keine gute Idee, etwas zu verändern, weil die Dinge auch mit oder vielleicht gerade durch ihre Fehler so gut sind. Manche Leute mögen die Songs gerade wegen der Gründe, wegen denen ich sie ändern würde. Es ist nicht fair zu sagen „Oh, nach so vielen Jahren ist mir nun aufgefallen, dass ich bei dem Song schief singe oder mein Bandkollege aus dem Tackt ist...“. Es ist, was es ist. Auch wenn mir 1.000 Dinge einfallen, die man im Prinzip ändern könnte.

Allschools: Man sagt, ein Song wird größer als ein Musiker selbst.
Jimmy: Ganz genau. Trotz oder gerade durch seine „Fehler“.

Allschools: Bands verkaufen ihren Merch für 25 Euro pro Shirt. Ist es nicht traurig, dass sich das Musikbusiness heutzutage sehr viel um Geld dreht?
Jimmy: Musik sollte eine Kein-Profit-Organisation sein. Es geht immer nur ums Geld, weil nun mal kein Geld da ist. Es geht nicht nur um Geld, um solches zu machen und reich zu werden, es geht nur um das Geld, was man braucht, um zu überleben. Nur um den Sprit zur nächsten Show zu zahlen. Wir selbst würden unsere Shirts nicht so teuer verkaufen. Wenn andere dies tun, ist es deren Sache. Und man mag vielleicht denken, dass sie von Profitgier getrieben sind. Aber manche wollen einfach nur nach Hause kommen und was zu essen haben.

Allschools: Da stimme ich dir absolut zu. Aber eben das sind meistens nicht die Leute, die so viel Kohle für ein Shirt verlangen. Es sind die großen und bekannten Künstler, die den Kids mit solchen Preisen das Geld aus der Tasche ziehen.
Jimmy: Fair ist das nicht. Aber das ist ein Beispiel für - sie tun es, weil sie es können und die Kids die Sachen trotzdem kaufen. Ich weiß nicht, wen ich dafür mehr in Verantwortung ziehen würde. All die Lady Gagas oder ihre Fans. Denn, wenn man die Sachen für einen solchen Preis kauft, bestätigt man den Künstler darin, dass er so weiter machen kann. Also wird sich auch nichts ändern. Warum sollte sie also nicht so viel dafür verlangen? Wer weiß, was in 25 Jahren aus ihr wird.

Allschools: Aber es geht auch anders.
Jimmy: Klar. Die wenigsten Künstler können dermaßen gut von ihrer Karriere leben. Ich habe vor kurzem z.B. The Gaslight Anthem vor 10.000 Leuten spielen sehen. Sie sind auf ihre Art berühmt und können davon leben, aber sie sind nicht superreich. Sie investieren ihren Verdienst in neue Aufnahmen, Projekte oder die nächste Tour. Oder nehmen wir Title Fight. Die haben in ihrer Heimatstadt einen Club aufgemacht. Das finde ich sehr cool, für das Shirt zahle ich gern 25 Euro. Aber das Wichtigste an der Sache ist, es testet dich als Band und als Menschen. Denn, wenn du eben keine Unsummen mit deiner Musik verdienst, musst du wirklich lieben, was du tust. Das ist die Passion, die für viele dahinter steht. Es muss hier in deinem Herzen sein.

Allschools: Das sind ein paar schöne abschließende Worte. Eine letzte Frage: Was würdet ihr machen, wenn euch ein echter Polar Bär begegnet.
Jimmy: Ich hätte richtig Panik. Die sind sooo riesengroß. Bären sind beängstigend. Aber was ich tun würde, ich würde mir einen Berg suchen und diesen hinunter rennen. Denn das Ding ist, Bären können nicht schnell bergab rennen, weil ihr Körperschwerpunkt dies nicht zulässt. Kennst du den Film „Grizzly Man“?

Allschools: Wo der Mann mit den Bären lebt?
Jimmy: Genau. Bis sie ihn fressen. Es ist eine tolle Dokumentation, aber daher weiß ich, was zu tun ist, wenn mir einer begegnet. Ich hoffe, das passiert nie.

Allschools: Vielen Dank für das Interview. Möchtest du noch was loswerden?
Jimmy: Ich danke dir. Und ja, wir werden wohl, wenn wir zu Hause sind und nicht touren, ein paar neue Songs schreiben. Denn das fällt uns, während wir unterwegs sind, nicht so leicht wie manch anderen.
Allschools: Wir freuen uns darauf!