Interview mit Undertow

18.12.2013
 

 

Zunächst einmal möchte ich mich erneut bei euch für ein herausragendes Album bedanken! Ohne „In Deepest Silence“ wären die letzten Wochen für mich nicht so angenehm gewesen. Im Grunde kann das Album kurz unter „Emotionen pur“ zusammengefasst werden. Mehr noch: Meiner Meinung nach lasst ihr mit den Songs die Hosen runter und zeigt euch von einer unglaublich verwundbaren Seite.

UnderTOM: Na, das hört man doch gerne. Dass mit dem Hosen runter lassen, machen wir mittlerweile nicht mehr so oft bei Shows, das lenkt dann doch etwas von der Musik ab… Aber das mit Emotionen pur trifft den Nagel doch ganz gut auf den Kopf. Und wer Gefühle zeigt, macht die Deckung auf und sich somit auch verwundbar.

Was genau ist seit dem vorherigen Überalbum „Don’t PrayTo Ashes“ passiert? Wie genau habt ihr euch auf „In Deepest Silence“ vorbereitet? Hattet ihr eine Strategie oder einen Plan, wie das Album klingen sollte?

UnderTOM: Nein. Bei uns ist das ein fließender Prozess. „In Deepest Silence“ steht jetzt seit ein paar Tagen in den Läden und wir haben schon wieder Ideen für neue Songs auf denen wir gemeinsam rumkauen. Es gab also auch nicht diesen Punkt, an dem wir einen Masterplan aufgestellt und uns überlegt haben, was mit und auf dem nächsten Album passieren soll. Das ist also alles organisch, die Parts wuchern so vor sich hin und wir formen dann Songs und irgendwann wird aus mehreren Songs dann ein Album.

Im Vergleich zu euren anderen Alben davor klingt euer neues Werk trauriger, melancholischer und einfühlsamer. Gerade die vielen Klimax-Refrains, die beispielsweise „Canvas Ghosts“ nach hinten raus erblühen lassen, zeugen von großen songwriterischen Finessen, da sie niemals aufgesetzt oder kitschig klingen, sondern den Dolch noch einen Stück tiefer in die Intensität (der Titel des Albums spricht m.E. in dieser Hinsicht Bände!“) bohrt. Neben aller Heaviness ging es euch doch auch in erster Linie um musikalische Tiefe, oder?

UnderTOM: Da sind wir wieder bei der ersten Frage, den Emotionen und dem (Nicht-)Planen. Wenn wir einen Song anpacken, dann trägt der eben automatisch unsere Handschrift. Selbst ein erst mal nur derber Song wie „Everember“ hat hinten raus, dann eben noch einen Klimax und in dem Fall kommt auch Emotionalität von der Textebene. Der Song ist nämlich unsere Ode an die Heavy Musik an sich, sowohl aktiv in ner Band als auch passiv als Fan vor der Bühne.

Was euch auch mal wieder gelungen ist, ist der Spagat zwischen Zugänglichkeit und Sperrigkeit. Einige Tracks erschließen sich relativ schnell, andere hingegen müssen erst auf Dauerrotation gestellt werden. Aber gleich ist ihnen die Langlebigkeit. Wie geht ihr generell vor, wenn ihr einen Song ins UNDERTOW’schen Gewand kleidet?

UnderTOM: Das Allermeiste entsteht erst mal auf Joschis heimischer Akustikgitarre. Da entstehen Riffs, erste Strukturen und auch schon roughe Gesangslinien. Diese „Brocken“ schmeißt uns Joschi in der Probe dann hin und wir kauen gemeinsam drauf rum, diskutieren auch mal und probieren verschiedene Varianten aus. Oft wird auch an mehreren Songs parallel gearbeitet. Wenn wir dann ca. fünf, sechs Songs zusammen haben, checken wir für ein Wochenende bei unserem Produzenten im Studio ein und klopfen die Tracks live auf die Festplatte und setzen dann den skizzierten Gesang obenauf. Auf diesen Roughversionen kauen dann sowohl wir als auch der Produzent rum. Da kann man dann gut sehen, was funktioniert, was vielleicht auch zu lang oder monoton geraten ist usw.. Monate später gehen wir dann für die Albumaufnahmen erneut ins Studio, dann mit ca. fünf Songs mehr in der Hinterhand. Und bei den Aufnahmen hören wir uns auch gerne Input von unserem Produzenten an, bleiben aber auch immer wieder stur beim ursprünglichen Plan, weils halt genau SO sein muss – auch wenn das nicht immer jeder verstehen mag!

Wer ist für das treffende Coverartwork verantwortlich? Der Betrachter sieht unten rechts einen Schatten, der nach in einen quadratischen, hell beleuchteten Tunnel geht umgeben vom Nichts. Was genau ist der tiefere Sinn hinter diesem Bild und wie kann er ein Einklang mit dem Albumtitel gebracht werden?

UnderTOM: Das ursprüngliche Foto ist in einer Industrieruine bei St. Petersburg entstanden. Den Fotografen Frank Schillinger kennen wir seit Jahren, seine Arbeiten aber noch nicht so lange und wir haben uns ein Loch in den Bauch gefreut, dass wir seine Arbeiten fürs Cover- und Bookletartwork verwenden durften. Unbedingt mal www.frank-schillinger.com checken! Seine Bilder haben uns mit ihrer besonderen Atmosphäre zwischen Melancholie, Geheimnis und Dunkelheit sofort gepackt. Und der Albumtitel passt sich da sehr gut ins dieses Umfeld ein. Da geht’s ja um so einen Ohnmachtsmoment, wo der „Film des Lebens“ plötzlich in extreme Zeitlupe geht und man keine Chance hat zu agieren, während einem alles entgleitet.

Gibt es eigentlich einen thematischen Unterschied im Rahmen der Texte zu euren Vorgängeralben? Was genau meint „Canvas Ghosts“ oder „Slatesoul“ und kann ein roter Faden gesponnen werden, der sich durch das Album schlängelt?

UnderTOM: Die Songtitel arbeiten oft mit Bildern. Bei „Canvas Ghosts“ ists eben die (Lebens-)Leinwand auf der schemenhaft, wie Geister, Leute auftauchen, vielleicht auch im Verborgenen bleiben, aber mitmischen. Genaueres kann ich zu dem Text aber nicht sagen, weil nur der Titel aus meiner Feder ist, der Text an sich ist von Joschi. „Slatesoul“ dreht sich um Leute, die immer nur Rücksicht und Aufmerksamkeit erwarten, selbst aber agieren wie die Axt im Walde und einfach davon ausgehen, dass ihr Gegenüber endlos belastbar ist.

Was mich auch berührte (ich weiß, dass das etwas kitschig klingt, aber meine Mama sagte immer, ich solle nicht lügen!) war der Gesang von Joschi. Ich empfinde ihn hart am Limit und er strahlt damit eine gewisse Zerbrechlichkeit aus. Meiner Meinung nach singt er auch mehr als je zuvor und ist unter tausenden von Sängern sofort mit seiner markanten Stimme herauszuhören. Da seine Stimmbänder immer kurz vorm Reißen sind, wird auch eine Energie freigesetzt, die auf den vorherigen Alben noch in den Kinderschuhen steckte.

UnderTOM: Also erst mal ist das ein Hammer-Lob, danke! …und ich bin ganz Deiner Meinung. Ich weiß nicht, mit welchem Anspruch an sich selbst Joschi ins Studio gegangen ist, aber ich finde, so perfekt auf den Punkt und so vielfältig hat er vorher noch nie abgeliefert. Diese Zerbrechlichkeit und diese am Limit fahren unterstütz aber eben auch perfekt diesen Seelenstrip und die – ja, nennen wir das Kind doch beim Namen – Leidenschaft.

Ihr habt mittlerweile 2 Dekaden als Band auf dem Buckel und einige sehr geile Alben im Gepäck. Was treibt euch nach wie vor an, als UNDERTOW herumzureisen und was genau muss passieren, damit ihr endlich in aller Metalmunde seid?

UnderTOM: Dieses mit Undertow weitermachen ist zu großen Teilen auch Egoismus. Weil wir das Ganze nämlich noch nie für andere gemacht haben! Das war schon immer das Produkt aus unserer Musik-Leidenschaft und dem Spaß am Miteinander zu „klicken“ – das ist auch zu viert im Proberaum schon geil, kann sich aber bei ner Show sogar noch potenzieren. Und hey, wenn ich wüsste, was passieren muss um den „Durchbruch“ zu erreichen, hätten wir da auch längst ein Häkchen dahinter gemacht. An sich dachte ich, dass da die Höchstnote im Allschools oder das Album des Monats im Rock Hard ein übriges tun. Vielleicht sollten wir aber mal einen satanischen Kult gründen, Porno-Sonnenbrillen und Schneetarn auf der Bühne tragen oder einer nationalen Partei in Italien beitreten um die Albumcharts zu toppen oder die ganz großen Festivals zu headlinen? Ich denke: NEIN!

Ich habe gelegentlich Kontakt mit UnderTOM und muss sagen, wenn alle Jungs von euch so sind, dann seid ihr bodenständig, freundlich und einfach nette Typen. Ist es das, was euch bisher daran hinderte, die Charts zu stürmen? Ich meine an der Musik kann es ja nicht liegen, denn jeder, der sich bisher nur ansatzweise mit Metal beschäftigte, müsste glühender Verehrer eure Mucke sein. Wie seht ihr generell das Musikgeschäft, wie ist eure Meinung zu den mittlerweile immer stärker werdenden Streamingdiensten (ja, auch ich bin Spotify-Fan!) und wohin geht die Reise in der Musiklandschaft?

UnderTOM: Also dieser UnderTOM muss ja echt ein dufter Typ sein, ich seh den ab und an morgens beim Rasieren, da macht er meist nen ganz netten Eindruck. Ich hab manchmal auch so den leisen Verdacht, dass wir einfach zu umgänglich sind und wir mit gesteigertem Arschlochfaktor vielleicht schon weiter wären. So sind wir aber nun mal nicht. Wir kümmern uns ja auch nicht um Trends oder Image, wir gehen so auf die Bühne, wie wir uns auch abseits von ihr bewegen. Das Musikgeschäft ist eben nur zum kleineren Teil Musik und zu nem größeren Teil Geschäft. Bei Streamingdiensten ging mir das genauso wie mit iTunes- und MP3-Playern. Ich hab das ne Zeit lang intensiv ausprobiert und mittlerweile bin ich wieder bei CDs, Oldschool eben. Die Reise in der Musiklandschaft wir auch weiterhin eine Berg- und Talfahrt bleiben. Mit Tonträgerverkäufen alleine kann heute nur noch die absolute High Society gut leben, Geld wird bei Konzerten und bei Merch verdient. Eigene Ideen, eigener Style und Charakter haben aber zumindest in Nischen noch gute Chancen – man sieht das ja an den stark steigenden Vinylverkäufen der letzten Jahre. Das Crowdfunding-Modell hat sich für viele (bekanntere) Bands auch als sehr gutes Vehikel der (Selbst-)Finanzierung ohne den Zwischenhändler Plattenfirma erwiesen. Nicht zu vergessen die (Promo)Chancen des Internets und von Plattformen wie Facebook, das ist heute alles nicht mehr wegzudenken.

Im nachhinein: Würdet ihr als UNDERTOW alles noch einmal so machen bzw. was würdet ihr grundlegend anders machen?

UnderTOM: Ich denke unterm Strich dürfen wir kaum mit unserem seitherigen Schicksal hadern. Wir haben total viel erreicht, gesehen und erlebt, das nimmt uns keiner mehr. Mit dem Wissen des letzten Jahres würden wir wohl keine 18 Jahre mehr warten um einen zweiten Gitarristen ins Bandgefüge zu integrieren.

Habt ihr schon Tourpläne geschmiedet? Wenn ihr euch ein Package aus 5 Bands zusammenstellen könntet mit UNDERTOW als vorletzte Band im Billing, wer wäre mit dabei?

UnderTOM: Zum ersten Teil der Frage: Ja, wir haben uns schon ein paar Gedanken gemacht. Wir werden mit The Very End immer wieder ein paar Shows an Wochenenden spielen. Auch bei der Abschiedstour von Harmful sind wir bei ein paar Shows dabei. Ansonsten ist der Plan beim ein oder anderen Festival aufzuschlagen.
Zum zweiten Teil der Frage: Puuuuh, als vorletzte Band, also quasi Co-Headliner? Da spielt jetzt natürlich sofort wieder unser umgängliches Wesen rein, denn mit ruhigem Gewissen könnte ich ja an sich keine größere Band vor uns spielen lassen… OK, Headliner wären dann wohl Machine Head. Vor uns würde Corrosion Of Conformity spielen (in Deutschland haben dies ja auch nix richtig geschafft. Allerdings nicht in der Variante, die zurzeit live spielt, sondern zumindest mit Pepper Keenan, optimaler weise auch noch mit Karl Agell an Bord). Als zweites würden Motorjesus auf die Bühne gehen. Und als Opener würd ich mir mal Pigeon Toe wünschen.

Habt ihr noch musikalische Tipps für unsere Leser? Welche Bands laufen im Tourbus?

UnderTOM: Schon wieder zwei Fragen auf einmal. 1. Also unter Tipps verstehe ich Bands, die noch nicht jeder kennt. Da fallen mir zuerst Mantar aus Hamburg, Port Noir aus Schweden und Illusion Of Strength, Giant Sleep und Blackpuzzle aus Süddeutschland ein. Auf die neue The Intersphere bin ich auch schon sehr gespannt, die Band könnte richtig riesig werden. 2. Im Tourbus laufen natürlich die üblichen Verdächtigen: die aktuellen Alben von Carcass, Katatonia, Pro-Pain und End Of Green z.B.. Auf der Heimfahrt von der Show in Aschaffenburg kürzlich hab ich mit Brandy ganz viel olle Kamellen gehört, also uralte Anthrax, Megadeth und Death Angel-Alben. Wir hören aber auch oft Sachen, die wohl kein Mensch bei uns im Bus erwarten würde, Philipp Poisel, Clueso, Jupiter Jones, Susanne Sundfor, Anna Ternheim, Tina Dico, Maybeshewill- also gerne Sachen mit nem Pfund Melancholie aber auch massig Melodie.

Ich danke euch und verdientermaßen gebühren euch die Schlussworte:

UnderTOM: Wir danken Dir! Ich hab mich sehr verstanden gefühlt hier, Du hast Dich definitiv richtig ins Album reingekniet und Dich nicht bloß kurz und oberflächlich damit beschäftigt. Und am Schluss von meiner Seite auch noch ein paar Blumen ans Allschools an sich. Das ist ein Mag nach meinem Geschmack, weil ich selbst eben auch nicht bloß einer „Schule“ folge. „There’s so much music for you to choose, so don’t just be a metal-dude, it’s cool, fool!“