Plattenkritik

Büsser/ Engelmann/Rüdiger (Hg.) - Emo. Porträt einer Szene (Buch)

Redaktions-Rating

Info

Release Date: 15.09.2009
Datum Review: 05.01.2010

Büsser/ Engelmann/Rüdiger (Hg.) - Emo. Porträt einer Szene (Buch)

 

 

Emo? Emo ist doch das neue Schwul! So oder so ähnlich denken doch die meisten Menschen, sobald sie das „E- Wort“ auch nur von Weitem hören. Vielleicht ist es deshalb umso wichtiger, an dieser Stelle mal ein Buch zu erwähnen, welches sich frei, jeglicher Vorurteile aber nicht unkritisch mit der Szene auseinandersetzt. Doch welche Szene ist hier eigentlich gemeint? Angeblich ist sie überall zu finden. Unzählige Bands werden im Netz und auf Flyern unter dem Pseudonym „Emo“ angekündigt. Das Buch beginnt an einer anderen Stelle. Die Autoren setzen sich in sozialwissenschaftlichen Ansätzen mit der Szene auseinander, welche sich primär in der Altersklasse der 13-20jährigen verorten lässt. Es wird der Blick auf die Zusammensetzung und Entstehungsgeschichte geworfen. Als Anhänger des „alten Emo“ wird man erstmal enttäuscht. Zwar fallen Namen der Bands RITES OF SPRING, FUGAZI und Konsorten, kleinere Anekdoten der ersten Geschehnisse in Washington DC werden erwähnt, eingegangen wird aber auf diese Zusammenhänge nur am Rande. Die ersten Beiträge drehen sich primär um den offensichtlichen Stil und den Teil der Szene, wie man sie in städtischen Räumen, gerne an zentralen Plätzen antrifft. Die “Fashionvictims” der Emoszene bedienen sich der Stilelemente anderer bereits bestehender Subkulturen. Die Zusammenhänge zu Goth, Rockabilly, Punk und Hardcore werden aufgezeigt, allerdings begrenzt auf den Kleidungsstil der neuen jugendlichen Subkultur, die eigentlich keine sein will. Kreation einer modischen Bricolage, welche sich auch in die Musik fortträgt. Und genau dort liegt der Ansicht der Autoren nach das Problem der Szene: Sie bedient sich der Stilelemente im Bereich des Stylings und der Musik, vergisst dabei aber jegliche Formulierung dessen, was sie überhaupt sein will, bzw. im Grunde genommen auch in der konkreten Ablehnung der Bezeichnung “Emo”. Politische Statements vermisst man vollkommen. Emo lediglich als Ablehnung gesellschaftlicher Grundvorstellungen? Und das ohne formulierte Basis?

Emohass ebenfalls ein neuer Trend, welcher sich in sämtlichen anderen Subkulturen wiederfinden lässt. Doch woraus resultiert dieser? Die Autoren des Buches geben dem Auftreten der männlichen Akteure der Szene dafür die Schuld. Sie lehnen das vorherrschende Männerbild ab, produzieren mit ihrem offensiv weiblich gezeichneten Verhalten und Kleidungsstil eine neue Form der “Männlichkeit”. Offene Homophobie ist das Resultat, welches ihnen um die Ohren geballert wird und das aus Ecken der Hopper, aber auch der Punk- und Hardcoreszene, welchen man ja im Grunde genommen ein gewisses Maß an Toleranz zubilligt. Dies ist ein Phänomen, welches sich nicht nur in Deutschland beobachten lässt. Die Autoren schwenken den Blick auch in andere Kulturkreise. In Mexiko wird öffentlich Hatz auf Emos betrieben, in Ägypten und der Türkei trauen sich die Emos nicht auf die Straße. In Russland sind die Verhältnisse dann wieder so verquer, dass die Regierung ein Progamm zum Verbot bestimmter Subkulturen entwirft und die Betroffenen sich dagegen zusammenschließen und öffentlich wehren. Emo verquer? Verqueer?

Eben doch nicht so ganz. Denn eines hat die Emoszene mit all ihren Gegnern aus anderen Subkulturen wie dem Punk und Hardcore gemeinsam: Homosozialiät. Auch der Emo versäumt es abermals, sich um ein anständiges Frauenbild zu bemühen. Die Emojungs bedienen sich der Stilelemente von Frauen, auf der Bühne, dort wo die Musik spielt, die auch für diese Gruppe von enormer Wichtigkeit ist und als Teil ihrer Lebensphilosophie angesehen wird, stehen wieder „nur“ Männer. Bereits der Punk und der Hardcore versäumten es, Frauen sowohl in der Musik als auch in anderen Bereichen zu integrieren, ohne sie dabei ihrer Weiblichkeit zu berauben.

Der interessante Teil der Buches ist der letzte. Endlich bekommt dann auch der „alte Emo“ sein Fett weg. Fast schon eine offene Abrechnung mit Emo, Punk und Hardcore. Hier begegnen sie sich wieder. In der Abwesenheit der Frauen, bzw. dort, wo Frauen abermals lediglich als schmückendes Beiwerk angesehen werden. Hervorzuheben sei Hoppers Beitrag, in welcher sie der Emoszene vorwirft, das Frauenbild auf Herzensbrecherinnen und Lebenszerstörerinnen zu beschränken. Dieser Vorwurf gilt vor allem dem Emo, denn der Hardcoreszene kann man immer noch die Riot Grrrls Bewegung und die Etablierung der Ladyfeste anrechnen. Emo also ein Rückschritt? Vielleicht. Vielleicht auch einmal mehr das Aufrütteln der Gesellschaft. Ablegen heteronormativer Grundvorstellungen, erzeugen neuer Möglichkeiten. Dort ist der Emo auf einem guten Weg für die Männer, deren Orientierung einer Neuordnung unterworfen wird. Vielleicht ist es Zeit für eine Männerbewegung und Emo die Subkultur, welche das vorherrschende Männerbild in Frage stellt, so wie der Punk und der Hardcore vor Jahren schon einige andere Dinge der gesellschaftlichen Grundstruktur in Frage stellten. Doch manch eine Frau die daneben steht, greift sich abermals an den Kopf und weiß, dass sie ihre Subkultur nur selbst erzeugen kann und nicht auf männliche Unterstützung hoffen kann. Traurig aber war. Gewisse Dinge vermögen auch die rebellischsten jugendlichen Subkulturen nicht aus der Welt zu schaffen. Weder die neuen noch die alten. Wer aber hat in jungen Jahren bei der Orientierung in einer Szene schon gesellschaftskritische Literatur angeeignet um sich das notwendige Hintergrundwissen anzueigenen? Warten wir es mal ab, was passiert, wenn die Emokids groß geworden sind. Einen gewissen Bildungsstand schreiben ihnen die meisten Autoren des Buches zu.

Dieses Buch sei allen ans Herz gelegt, welche sich für die Hintergründe des Punk, Hardcore und Emo interessieren und bereit sind, sich auch mit den Vorgängern der Emoszene kritisch auseinander zu setzen. Aber auch für Leute die meinen, Emo sei das neue Schwul und Punk ein grandioser Fortschritt für die feministische Bewegung. Oder die nach wie vor der Ansicht sind, Punk und Hardcore seien die echteren Szenen.

Autor

Bild Autor

Jule

Autoren Bio

wäre gern teil einer postfeministischen emopunkband/ verbalprimatin/ kuchenveganerin/ ich kann mir keine songtitel merken, selbst die meiner lieblingssongs vergesse ich.../ ich bin nicht betrunken, ich bin immer so/ fraujule.blogspot.de