Plattenkritik

DIIV - Deceiver

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Info

Release Date: 04.10.2019
Datum Review: 10.12.2019
Format: CD Vinyl Digital

Tracklist

 

1. Horsehead
2. Like Before You Were Born
3. Skin Game
4. Between Tides
5. Taker
6. For the Guilty
7. The Spark
8. Lorelei
9. Blankenship
10. Archeron

Band Mitglieder

 

Zachary Cole Smith - git, voc
Andrew Bailey - bass
Colin Caulfield - git, voc
Ben Newman - drums

DIIV - Deceiver

 

 

„Deceiver“. Album Nummer 3 von DIIV. Es ist für mich unmöglich, diese Rezension unbefangen zu schreiben, denn ich bekenne mich: Ich bin ein absoluter Fanboy. Ich würde sogar sagen, es handelt sich seit 2016 bei der Gruppe aus Brooklyn um meine aktuellste Lieblingsband. Dementsprechend intensiv war das Daraufhinfiebern, dementsprechend hoch die Erwartungen. Aber das ist ja sowieso immer so eine Sache, mit den Reviews und der Subjektivität..

Viele Assoziationen kommen mir in den Kopf, wenn ich an DIIV denke. Die bisherige Biographie von Frontmann Zachary Cole Smith, die sich angesichts seines jungen Alters schon jetzt liest wie die eines Rockstars aus vergangenen Jahrzehnten, die eskapistische Atmosphäre in den Songs, die unglaubliche Vielseitigkeit der Einflüsse. Die großartigsten Bands sind immer die, die einem Türen in neue Genres öffnen. Auf dem Zweitlingswerk „Is the Is Are“ führt die Spurensuche hin zu deutschem Krautrock in den 70ern, zu malischem Gitarrenspiel und quer durch das bunte Genre des aktuell so inflationären „Dream Pop“. Und bei all der Horizonterweiterung hatte ich stets das Gefühl, sehr nah an den Künstlern hinter der Musik, allen voran natürlich an Cole selbst, dran zu sein. Wie er seine Heroinsucht und die dazugehörigen Schuldgefühle in Texten und Musik aufarbeitet, wie introspektiv und vielschichtig beides dabei anmutet. Hier wurde keine Show gespielt. Ein Fehler, den viele junge Bands auf ihrem Weg machen.

Doch wie ist das auf „Deceiver“? Nach ihren zwei bisherigen Alben hatten DIIV viele Türen offen. Trotz der gemeinsamen Elemente, der Melodiösität, der Leichtigkeit und der Quirligkeit, waren „Oshin“ und „Is the Is Are“ retrospektiv betrachtet zwei völlig eigenständige Entitäten. Die Wahrheit ist: In erster Linie können die Fans sich glücklich schätzen, dass Album Nummer drei überhaupt erschienen ist. Smith wurde nach „Is the Is Are“ rückfällig und musste sich erneut in die Rehabilitation begeben. Nach eigener Aussage habe er teilweise Angst um sein eigenes Überleben gehabt, womit logischerweise auch das Fortbestehen von DIIV auf der Kippe stand. In der Band war er nicht der Einzige, der mit sich und den Drogen zu kämpfen hatte. Alle Bandmitglieder befanden sich auf chaotischen Wegen. Dass die Band gereift und daran erheblich gewachsen ist, das ist auf „Deceiver“ deutlich zu spüren.  

Es ist das erste Album, auf dem kollaborativ zusammengearbeitet wurde und nicht mehr nur Smith das Szepter in der Hand hatte. Material wurde auf Herz und Nieren überprüft, die Band ging ehrlicher mit sich ins Gericht und stimmte sich mit gemeinsamem Musikhören pointierter auf ihr Vorhaben ein. Im Gegensatz zu den bisherigen Veröffentlichungen führt das Endprodukt diesmal in für mich eher gewohnte Gefilde: In die grungige Schwermut von SOUNDGARDEN oder in die entrückte Ekstase von MY BLOODY VALENTINE, wobei diese Vergleiche nur einen sehr vagen Eindruck vom musikalischen Geschehen geben und angenehm subtil hinter der Ecke hervorschauen. Die bunten Federn und der „Beach“-Faktor sind weg. Was bleibt, ist eine effektmässig reduzierte, dafür aber songwriting-technisch ausgefuchstere neue Variante von DIIV. Mehr als schon auf den beiden Vorgängern ist es unglaublich, wie man gleichzeitig so kohärent klingen und doch in jedem einzelnen Song auf der Platte ein anderes Gefühl rüberbringen kann. Die Farbpalette beinhaltet diesmal deutlich dunklere Töne, dafür sind die damit gezeichneten Kunstwerke prägnanter. Das erleichterte Aufatmen des Openers „Horsehead“, die perfekt vertonte Sehnsucht in „Like Before You Were Born“, die verkopfte Verschrobenheit von „Skin Game“, das emotionale Zehren von „Taker“ (der immer ein Stück langsamer bleibt, als man mitwippen will – genau das macht ihn so genial), die hoffnungslose Schwermut des siebenminütigen Finales „Archeron“ - DIIV nehmen den Hörer mit auf Gefühlsachterbahn in ihrem Irrgarten der Melodien. Der einzig offensichtliche Lichtblick ist „The Spark“, das mit einem wirklich wunderschönen Gitarren-Riff startet und endet. In all der Selbstanklage, in all dem Schuldempfinden findet sich eben doch auch ein Funken Verständnis, Akzeptanz und Loslassen. In „Blankenship“, der für mich ganz klar Anwärter auf den Song des Jahres ist, zeigt sich „Deceiver“ dynamisch treibend und sorgenvoll, so wie es zur Thematik der fortschreitenden Umweltzerstörung auf dem Planeten Erde passt. Anstelle von Refrains gibt es hier verstörend-entzückende Gitarrensoli.

„Deceiver“ ist ein erneutes Manifest der Tatsache, dass DIIV komplett in ihrer eigenen Liga spielen. Wären das blutleere "Lorelei" und das schwer zugängliche "Archeron" nicht, würde ich vermutlich die 10 zücken. Dass DIIV die noch knacken, traue ich ihnen zu. Und damit sind sie für mich eine der Hand voll Gruppen, die momentan dazu das Zeug haben.

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Marcel

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