Plattenkritik

Die Kassierer - Physik

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Release Date: 24.09.2010
Datum Review: 12.11.2010

Die Kassierer - Physik

 

 

DIE KASSIERER, was ist das eigentlich? Seit nunmehr 25 Jahren sind sie ein Urgestein des deutschen Punkrocks, ein Denkmal der satirischen Kunst. Denn wegen ihrer anstößigen Texte landeten einige ihrer Alben per Indizierungsantrag vor Gericht. Und das Urteil war immer das selbe: Das ist Kunst, das wird nicht Verboten! Für mich ist es eine Band die mich schon viele Jahre begleitet und mit jedem Jahr mehr begeistert. Klar, anfangs war es eher eine Rebellion gegen bestehende Normen, gegen die Bourgeoisie, eine Verbrüderung mit dem Proletariat. Man hatte bunte Haare und tanzte die Stinkmösenpolka. Hauptsache Dagegen! Irgendwann sah ich aber dann mal ein Tourvideo von ihnen und plötzlich wurde mir die Genialität dieser Truppe klar. Es ist der bewusste Schwachsinn, die Weisheit gealteter Punks und das absichtliche Zerstören von Normen, die diese Band so einzigartig machen. Ich erinnere mich mit Genuss an jedes Konzert auf dem ich war. Wölfi konnte nicht singen und vergas die Texte. Dafür betrank er sich und stand nach wenigen Songs splitterfasernackt auf der Bühne. Im Publikum lagen sich Punks, Bankkaufleute und weißhaarige Uniprofessoren in den Armen und besangen den "Blumenkohl am Pillemann". Ein mehr als seltsames Erlebnis. 7 Jahre nach "Männer, Bomben, Satelliten" steht nun das nächste Kunstwerk namens "Physik" in den Startlöchern und will beweisen, das selbst nach 25 Jahren das Dosenbier immernoch die Welt regiert.

Schon der erste Satz des Intros offenbart was einen hier erwartet: "Die Geheimnisse der Galaxis sind hinter der Tapete versteckt!". Und ab dahin bleiben einem schon die Worte weg um zu beschreiben, was genau hier überhaupt vorgeht. Wie schon auf dem Vorgängeralbum bieten DIE KASSIERER wahnwitzige Ideen, gepaart mit Punkrock, Fäkalhumor und Weltmusik. Ob nun in "Ich fick dich durch die ganze Wohnung" einfach Zimmernamen zu schnellem Niveaupunkrock runtergestöhnt werden oder im "Drillinstructor-Song" in Links-Zwo-Drei-Vier-Manier gewitzelt wird, hier bleibt kein Auge trocken! Ein bisschen bekomme ich das Gefühl, dass DIE KASSIERER so langsam das Level von HELGE SCHNEIDER erreicht haben. Sie sind tatsächlich eine der wenigen Bands die dem Meister in Sachen Wahnsinn das Wasser reichen kann, auch wenn es augenscheinlich das Wasser als der Toilette ist. "Und dann lege ich mich nackt auf's Bett und denke über Radioaktivität nach!" Bezeichnend ist auch, dass DIE KASSIERER wieder und wieder die ausgetretenen Pfade des Punkrock verlassen und sich in anderen musikalischen Gefilden herumtreiben. Sei das nun Elektrobeat und Klavier wie in "Das Lied vom Kot" oder das stilecht mit Weltraumorgel und Mambo Kurt vorgetragene "No Future das war Gestern", musikalisch wird hier definitiv viel geboten. Höhepunkt ist für mich das lyrische Meisterwerk "Zitronenhai", welches allem Anschein nach mit einer Laute vorgetragen wird?

Ich will auch garnicht auf jedes einzelne Lied eingehen, da das absolut den Rahmen eines Reviews sprengen würde. Lobend erwähnen muss man allerdings auf jeden Fall noch "Wirtshausschlägerei", eine lang überfällige Verballhornung von Rolf Zuckowskis "In der Weihnachtsbäckerei", und "Der Mann der Rückwärts spricht", ein Song der gekonnt von einer Gastsängerin vorgetragenen wird und nur im Refrain von Wölfi komplett mit rückwärtsvorgetragenem Gesang daher kommt.

Insgesamt ist "Physik" mit knapp 53 Minuten Spielzeit verteilt auf 22 Songs doch ein sehr langes Stück Musik. Es gibt eine Menge Kassierer-Typische Hits, aber auch ein paar wenige Füller. Der Song mit Mambo Kurt geht für mich zum Beispiel absolut überhaupt nicht. Musikalisch sind DIE KASSIERER definitiv auf dem Höhepunkt ihres Schaffens angekommen. Ich fühle mich fast ein bisschen an DIE ÄRZTE erinnert, die ja ebenfalls kaum noch wirklichen Punkrock fabrizieren. Wölfi kann leider immernoch kein bisschen Singen, aber wer hätte das auch erwartet oder gewollt? Die Kassierer-Typischen Einzeiler wie "Wer von der Quantentheorie nicht schockiert ist, der hat sie nicht verstanden!", die man immer wieder gerne im Alltag loslässt um seine Mitmenschen zu verwirren, sind massig vertreten. Alleine das Outro "Gruß und Dank" ist diesbezüglich eine wahre Fundgrube.

Wie also ein solches Album bewerten? DIE KASSIERER sind definitiv eine der kontroversesten Bands der deutschen Musiklandschaft. Entweder man liebt Sie oder man hasst sie. Ich bin jemand der Sie liebt, da sie genau meinen Humor treffen. Für mich ist "Männer, Bomben, Satelliten" immernoch DAS Meisterwerk und "Physik" kommt da wirklich verdammt nah ran. Man hat allerdings ein bisschen das Gefühl als wären die Songs Stagnation auf gleichem Niveau, von hohem Niveau traue ich mich nicht zu sprechen. Ihre Kollegen von den Ärzten und den Hosen hängen sie hiermit aber locker ab. Vielleicht sollte sich einfach jeder Leser eine Frage stellen: "Niesen sie auch dreisilbig?"

Tracklist:
1. Physikalisches Intro
2. Nieder mit der Arbeit
3. Ich fick dich durch die ganze Wohnung
4. Drillinstructor-Song
5. Ich war ein Spinner
6. Das Lied vom Kot
7. Radioaktiv
8. Schönes Universum
9. Mir ist Alles Piep
10. Quantenphysik
11. Verliebt in Whiskey, Bier und Wein
12. Im Sauerland kann man Teleportieren
13. Ich niese immer Scharlatan
14. Zitronenhai
15. Wirtshausschlägerei
16. Was für ein Ticker ist ein Politiker
17. Sonnenfinsternis in Lissabon
18. Erfindungen
19. No Future das war Gestern
20. Der Song von den brennenden Zeitfragen
21. Der Mann der Rückwärts spricht
22. Grüße und Dank

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Georg

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Jeder verteidigt seine Kohle, seine Interessen und niemand tut etwas für dich.