Plattenkritik

Ion Dissonance - Cursed

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Release Date: 23.08.2010
Datum Review: 24.08.2010

Ion Dissonance - Cursed

 

 

Endlich. Endlich wieder ein Album, von dem man so begeistert ist, dass man es gleich zwei-, vielleicht sogar dreimal hintereinander hören muss. Endlich wieder ein Album, welches gefangen nimmt, fasziniert, unerreichbar wirkt. Und damit endlich wieder ein Album, welches Gefühle, Emotionen in einen weckt, welche man früher mal bei seinen ersten, „großen“ Alben hatte.

Ein Album, welches die längst fällige Antwort auf ein (wenn auch nicht nur) für mich derartig wichtiges Album wie „Solace“ liefert, kann nur sehr persönlich und nicht gerade objektiv besprochen werden. Dafür entschuldige ich mich vorab. Um diese Antwort hatten sich in den letzten 6 Jahren viele bemüht – GAZA vielen mir da beispielsweise gerade in Punkto Atmosphäre positiv auf -, doch letztlich war klar dass die wahre Antwort nur von den Großmeistern selbst kommen konnte. Den unruhigen, zappelnden, gefühlt jede Sekunde seine Richtung wechselnden, psychopatisch angehauchten Wahnsinn galt es wieder einzufangen, und das tun ION DISSONANCE nun mit „Cursed“. Keine andere Band verstand es bis Dato, Chaos und Brutalität so gut zum atmosphärischen Konzept verschmelzen zu lassen. Wo andere Bands einfach vertrackt sind, um in technischer Hinsicht zu beindrucken, gehört bei ION DISSONANCE jede 180 Grad Wendung, jeder noch so absurde Tempowechsel in ein noch so absurdes Frickelriff zum erzeugen einer ganz speziellen, nicht mehr nur düsteren Atmosphäre. ION DISSONANCE vertonten den Terror komplexer, plagender Gefühle auf der Schwelle von Leben und Tod, die im Zuge einer Depression wie Maschinengewehrsalven auf dem Schlachtfeld für Chaos im Kopf sorgen. Mit „Cursed“ tun sie es nun wieder.

Was gab’s dazwischen? Ein stilistisch neue Wege einleitendes „Minus The Herd“ und ein Sängerwechsel, welche beide sehr kontrovers aufgenommen wurden. ION DISSONANCE wollten wohl irgendwo neu anfangen. Wem wirft ein Sängerwechsel schon nicht etwas aus der Bahn?! Also Ordnung schaffen, das Chaos kompensieren, dabei aber auch musikalisch das Chaos alter Tage hinter sich lassen und reduzierter, ja eben geordneter zu Werke gehen. Heraus kam ein Album welches zwar immer noch kleinere Vertracktheiten zulässt, und sich auch atmosphärisch nach wie vor düster gibt. Letztlich klangen ION DISSONANCE jedoch nun weitaus anders: Dick produziert, brachial, ungewohnt nachvollziehbar, reduziert, klinisch. Ein Fehler war dieses Album meiner nach Ansicht nicht, schließlich überzeugte es auf seine ganz eigene Art und Weise und vertonte alte Themen auf ganz neue Art mit ganz neuem Ausdruck. Schade dennoch, dass ION DISSONANCE damit einen völlig einmalig gespielten, absolut faszinierenden Sound hinter sich ließen. Bis jetzt.

„You People Are Messed Up“ beginnt mit einem Riff, welches nicht mehr ION DISSONANCE sein könnte. Oder mehr „Solace“. Davor aber überrascht ein brachiales Intro mit derartig fetten (und übrigens mittlerweile 8-saitigen) Gitarren, dass man direkt weiß: Die kopieren sich nicht selbst, die wollen kein zweites „Solace“ schreiben. Antwort heißt nämlich nicht gleich Plagiat, und im Falle von ION DISSONANCE schon gar nicht Plagiat seiner selbst, was allein schon der atmosphärische Rausschmeißer „They’ll Never Know“ beweißt. „Minus The Herd“ ist zudem nicht spurlos an der Band vorbei gegangen, in einigen (jetzt aber natürlich wieder weitaus kaputteren, zerstreuteren) Breakdowns, in einigen atmosphärischen Arrangements und natürlich auch mit der seit „Minus The Herd“ zum Repertoire gehörenden Stimme von Kevin McCaughey merkt man, dass „Cursed“ nicht der direkte Nachfolger von „Solace“ und „Breathing Is Irrelevant“ (welches übrigens auch großartig ist, bevor irgendwer sich beschwert). Und was den guten McCaughey samt Problemslot Sänger betrifft nochmal: Gabriel McCaughry (das mit dem Namen ist wohl ein großartiger Zufall) war ein herausragender Sänger. Höllisch emotional, fürchterlich kaputt und auf lyrischer Ebene nicht minder faszinierend. Was die Texte betrifft kann ich leider noch nichts über „Cursed“ sagen, da sie mir bei der Promo nicht beiliegen (was sehr schade ist, waren doch gerade die Texte der ersten beiden Alben absolut signifikant). In Punkto Stimme darf aber spätestens mit „Cursed“ McCaughey (also dem neuen) kein Vorwurf mehr gemacht werden: Wo er auf „Minus The Herd“ noch recht kontrolliert und geradlinig shoutete, schreit er sich hier förmlich die Seele aus dem Hals (und das sei nicht bloß als dumme Phrase zu verstehen, sondern darf ernst genommen werden!) und erinnert in einigen, vom Wahnsinn gepeitschten Momenten sogar überraschend stark an seinen Vorgänger – ohne dabei aber an Charakter und eigener Stärke einzubüßen.

Besser als „Solace“? Ich kann diese Frage noch nicht beantworten, nicht jetzt. Denn wie schon damals gilt auch mit „Cursed“: Es gibt so viel mehr zu entdecken als man mit ein paarmal Hören finden könnte, und nicht zuletzt die lyrische Komponente dürfte noch einiges entscheiden, wenn ich das Teil auch irgendwann mal (hoffentlich bald) im Original in meinen Händen halten werde. Doch selbst wenn „Cursed“ das nicht tun wird (was beim emotionalen Wert in Sachen Erinnerungen und verbundenen Momenten auch sehr denkbar ist ): „Cursed“ ist beindruckender geworden als ich es mir als Fan der Band (und auch als Fan des Vorgängers) je hätte ausmalen können. Ein Album, welches zumindest bei mir alte Faszinationen wieder auferstehen lässt – so wie früher eben, bei „Solace“. Oder meinen ersten, „großen" Alben.

Tracklist:

01. Cursed
02. You People Are Messed Up
03. The More Things Change The More They Stay The Same
04. This is The Last Time I Repeat Myself
05. No Care Ever
06. After Everything That’s Happened, What Did You Expect
07. We Like to Call This One... Fuck Off
08. Can Someone Please Explain This to Me?
09. Disaster In Sight
10. This Is Considered Mere Formality
11. This Feels Like The End…
12. They’ll Never Know

Autor

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Olivier H.

Autoren Bio

"They said, Do you believe in life after death? I said I believe in life after birth" - Cursed