Plattenkritik

Suicide Silence - The Mitch Lucker Memorial Show (Ending Is The Beginning)

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Release Date: 17.03.2014
Datum Review: 22.02.2014

Suicide Silence - The Mitch Lucker Memorial Show (Ending Is The Beginning)

 

 

Am 1. November 2012 verstarb abermals eine Ikone der schweren Gitarrenmusik, als SUICIDE SILENCE Frontmann Mitch Lucker bei einem Motorradunfall ums Leben kam. Nicht einmal 30 Jahre alt, hinterließ Mitch eine junge Witwe und eine kleine Tochter, sowie eine globale Fangemeinschaft. Sein Ableben erzeugte große Fußspuren und Leere in den Herzen der Fans, Freunde und Familie. Am 21. Dezember des selben Jahres wurde daraufhin die „Mitch Lucker Memorial Show“ im Fox Theater in Pomona, CA, gespielt und für die Nachwelt aufgenommen. Der Erlös sämtlicher Einnahmen aus Ticket- und Merchverkäufen (etc.) wird in den „Kenadee Lucker Education“ Fond fließen, der die schulische Ausbildung des kleinen Mädchen sichern soll. Da U.S. Colleges ungemein teuer sind, und kein Vergleich sind zu dem was deutsche Unis oder FHs kosten, wollen wir alle hoffen, dass die Umsätze entsprechend hoch sein werden! Die Show wird ab dem 17. März als CD und DVD erhältlich sein – und es lohnt sich, diese in den Warenkorb zu packen!

Es ist ein Stelldichein des 'who is who' der Szene. Doch nicht nur 'Core'-Größen nahmen das Mikro in die Hand um Lucker ihren Tribut zu zollen. Auch solche, die man mit SUICIDE SILENCE vielleicht nicht zwingend in Verbindung gebracht hätte. Wie Rob Flynn von MACHINE HEAD, Max Cavalera (SEPULTURA / SOULFLY / CAVALERA CONSPIRACY) oder Chad von HELLYEAH. Ein weiteres Zeichen dafür, dass SS über Genre-Grenzen hinaus Befürworter fanden, wie kaum eine andere 'Deathcore' Band. Vielleicht war es ihr natürlicher Umgang mit Musik und die damit einhergehende Offenheit. Sich Jonathan Davis von KORN als Gastsänger auf die Platte zu holen, wäre noch vor ein paar Jahren mit Exkommunikation bestraft worden. Als auch Aussagen, dass SLIPKNOT ein wichtiger Einflussfaktor gewesen sei. Mitch Lucker und seine Mannen konnten den Die - Hard – DM – Fan vor die Bühne kriegen, wie auch die Menschen mit bunten T-Shirts und Scheitelfrisuren. Im Pit von SS machte es eben einfach keinen Unterschied wie man aussah, noch wer man war. Man war da. Das reichte um dazu zu gehören. Zumindest war das meine Wahrnehmung bei Konzerten.

Am 21.12.2012 ehrten nun die Sänger von LAMB OF GOD, WHITECHAPEL, ASKING ALEXANDRIA, MACHINE HEAD, ALL SHALL PERISH, HELLYEAH, SOULFLY / SEPULTURA („Roots Bloody Roots“ Cover), JOB FOR A COWBOY, WINDS OF PLAGUE, THE DEVASTATED, IMEPNDING DOOM, SUFFOKATE, AS I LAY DYING, BURY YOUR DEAD, BIG CHOCOLATE, AFTER THE BURIAL, TOO PURE TO DIE, Of MICE & MEN Mitch Lucker und sein musikalisches Erbe. Sie lieferten mit den aktuellen und ehemaligen Bandmitgliedern ein fulminantes Metal-Spektakel der Superlative ab. Viel geredet wird eigentlich nicht. Nahtlos geben sich die verschiedenen Sänger das Mic in die Hand und heizen dem Publikum ordentlich ein. Songs wie „Unasnwered“, „No Pity For A Coward“, „Fuck Everything“ oder „Wake Up“ bekommen durch die (zumindest teilweise) verschiedenen Stimmen einen neuen Ausdruck. Fast jeder Sänger kann sich und seine Stimme hier behaupten, ohne den jeweiligen Song in etwas lapidares zu verwandeln.

Die bewegendsten Momente sind das DEFTONES Cover, dass SUICIDE SILENCE zu dem Vocal-Playback von Mitch spielen, die Übergabe einer Gitarre an dessen Vater, dessen Unterstützung für die Band betont wurde, und Rob Flynns BLACK SABBATH Cover „Die Young“. Nach eineinhalb Stunden ist es genauso „schnell“ vorbei, wie es auch angefangen hat. Ohne große Worte, außer dem üblichen 'God bless' (nach einem Song wie „Unanswered“ irgendwie fadenscheinig) etc.
Alles was gesagt werden musste, kam über die Musik. Das geht tief.

Ich komme nicht umhin mich zu fragen, ob es nicht ein positiver Nebeneffekt dieses Konzertes war, dass auch nach einem potentiellen Nachfolger Ausschau gehalten werden konnte. Wer würde es verübeln, wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass dies die Intention der Band war. Aber ihre letztendliche Wahl, macht nach dieser DVD irgendwie Sinn. Warum jemanden nehmen wie Austin? Der ist zwar toll, aber ist doch eine offensichtliche Nähe zu Mitch gegeben. Nein, da ist Eddie auch gesanglich die bessere Wahl. Man sollte nicht versuchen zu ersetzen, was nicht zu ersetzen geht. Lieber einen Neuanfang wagen, wie es auch schon im Titel der DVD impliziert wird.
Aus subjektiver Sicht, war die beste gesangliche Leistung die von Phil Bozeman, Randy Blythe (mit blonden Rastas) und 'Eddie' Hermida. Die anderen sind keinesfalls schlecht, doch diese drei haben für mich unverwechselbare Stimmen.
Big Chocolate ging irgendwie nach kurzer Zeit die Luft aus, sowie Anthony Notamarso etwas dünn klang und der (verdeckte Ermittler als Ehefrauen-Killer beauftragende) AILD Frontmann Tim Labesis konnte sich vor Steroiden kaum bewegen und brauchte als einziger einen Spickzettel.
Die stärkste Performance geben Randy Blythe, Johnny Plague (wenn auch nicht stimmlich), Myke Terry, Greg Wilburn und Austin Carlile. Mit die spannendste finde ich aber tatsächlich die von Bozeman. Der macht einfach mal so gut wie nichts; und damit mehr als deutlich, dass er (mit Mikro in der Hand) Chef im Ring ist. Auch ein Statement durch Understatement.
Das Akustikcover wirkt etwas dünn in all dem Geballer, verfehlt jedoch nicht seine Wirkung. Sie ist eine willkommene Abwechslung, nach über einer Stunde 'angeschrien werden'.
Der Sound ist mächtig und bedarf keines weiteren Kommentars.
Nachdem ich in den Genuss kam das Debut „The Cleansing“ und „The Black Crown“ rezensieren zu dürfen, bin ich mehr als glücklich, dass ich nun diese CD/DVD mein Eigen nennen kann. Diese Show war eine gute Idee und ist ein Leckerbissen in der heimischen CD-/DVD-Sammlung. Ein absolutes Muss. Auch, um vielleicht ein paar mehr Namen und Bands aus 'der' Szene kennen zu lernen. Auch, dass man hier schön sieht, dass Musik verbindet und nicht spaltet, nur weil man nicht die gleichen modischen Ideale hat. Das sollte manch ein Mensch verinnerlichen.

Doch bei aller nostalgisch verklärten Euphorie stimmt mich doch eine Sache nachdenklich. Diese möchte mit ich euch, liebe Leser und Leserinnen teilen, auch auf die Gefahr hin, dass sich einige nun entsetzt zeigen könnten:
Hier wurde ein großartiger Sänger geehrt. Eine Inspiration und in puncto Musik wohl auch integere Persönlichkeit. Doch sollten wir nicht auch bedenken (bei allem Respekt), dass Lucker sich zu Tode fuhr, weil er betrunken war? Seine eigene Frau sagte in einem Interview kurz nach dessen Tod, er hätte auch in der Nacht des Unfalls getrunken. Sie hätte ihn ferner versucht davon abzuhalten und auch auf die gemeinsame Tochter verwiesen. Er hätte jedoch nur gelächelt und sei gegangen. Was sagt uns das über den Mann, den Menschen Lucker, der hinter dem phänomenalen Sänger steckte? Er ist Opfer seiner eigenen Sucht und Leichtsinnigkeit geworden. Und: Er hat verantwortungslos gehandelt. Das sollte und darf aus meiner Sicht nicht vergessen werden. Das macht ihn nicht zu einem schlechten Menschen, noch schmälert es seine Verdienste. Aber: Vielleicht kann er auch hier ein Zeichen setzen, sodass wir uns alle fragen: Warum sind Drogen (ob legal oder illegal) derart mit Musik verknüpft? Ich bin selber kein Kind von Traurigkeit und mit Sicherheit nicht SXE o.ä., noch will ich mich als Moralapostel aufspielen. Doch wenn wir einmal in die Richtung denken, dass Menschen wie Lucker eine Verantwortung gegenüber ihrer Familie, Bandmitgliedern, der Crew, dem Label (deren Jobs hängen ja auch mit dem Erfolg der Band zusammen) und den Fans haben, kann es dann nicht sein, dass wir auch ihnen gegenüber eine gewisse Verantwortung haben? Warum ist dieses 'Party-Ding' so enorm wichtig? Erwarten wir das? Ist das cool? Lucker ist nicht das einzige Opfer seiner Last gewesen und wird es nicht bleiben. Die Historie des Musikgeschäfts (egal welche musikalische Nische) lieferte bereits unzählige (sinnlose) Beispiele, dass manch ein Mensch unter der Last aus Verantwortung und Leistungsdruck versucht hat sich mit Alkohol etc. Erleichterung zu verschaffen. Die Zukunft wird da nicht anders sein. Es sei denn, wir setzen dem etwas entgegen. Klar, es ist die Entscheidung einzelner, aber man weiß auch um die Stärke von Gruppendynamik. Wenn Label, Fans und Musiker zusammenstehen, auch in Momenten der Schwäche, dann sollte man meinen könnte man doch Berge versetzen oder?
In diesem Zusammenhang stößt es mir daher äußerst bitter auf, dass zu dem Song „Smoke“ das Publikum dazu angehalten wurde Joints zu rauchen – der Aufforderung folgt auch prompt die Tat. Ernsthaft? Lucker stirbt unter Alkoholeinfluss und man feiert ihn in dem man seine Fans zum nächsten Drogenkonsum aufruft? Ich kann nur hoffen, dass die (zum Großteil sehr jung aussehenden) Gäste ihre Bikes und Autos nach dem Konzert haben stehen lassen...
Ich vergebe die Höchstpunktzahl. Auch in der Hoffnung, dass noch viele, viele, viele Euros den Weg in den Bildungsfond von Kenadee Lucker finden werden.

R.I.P. Mitch: Die Musikwelt hat abermals einen großen Verlust erlitten. Und das völlig unnötig...aber nicht sinnlos, würde ein Ruck des Erwachens durch die Menschen gehen.

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Linc

Autoren Bio

Singer-Songwriter (LINC VAN JOHNSON & The Dusters) Singer (SUPERCHARGER) [DK] Vocal Coach seit 2011. Berufssänger/-musiker seit 2008. Studium Musik/Anglistik Bei ALLSCHOOLS seit 2006.