01.10.2010: Ceremony, World Peace, Sabertooth Zombie - Cassiopeia - Berlin

01.10.2010
 

 

Und plötzlich steht im Cassiopeia die Wut und der Hass bis unter die Decke. Die Menschen türmen sich, rennen von Seite zu Seite, fallen hin, werden hochgezogen, machen weiter und warten nur darauf, dass diese Verkörperung von Wut und Hass, namentlich Ross Farrer, endlich weiterbrüllt. Mit ihm öffnet und schließt sich das Ventil, welches heute den Frust des Publikums sammelt und rauslässt, mit ihm steht und fällt heute die Entscheidung, ob CEREMONY anno 2010 noch immer so sehenswert sind wie sie es 2008 nach einer nahezu legendären Show im Essener Cafe Nova (Video: Hier waren.

Aber natürlich spielen am heutigen Abend nicht nur CEREMONY. Als erstes treten die Jungs von WORLD PEACE aufs Programm. Die veröffentlichen Anfang nächsten Jahres eine Platte via Worship Records, spielen heute bereits neues Material und können damit durchaus überzeugen. Etwas ausgefeilter als noch die älteren Sachen klingt das, vor allem aber noch immer bodenständig und hoffnungsvoll. Ein Song wird AYS gewidmet, die vor ein paar Wochen an selbiger Stelle leider nicht so leichtes Spiel wie nun WORLD PEACE haben. Denn mit ihrem „Nervous Breakdown“ Cover gibt es gleich Publikumsresonanz, was gerade dem Sänger zu gefallen scheint. Runder Auftritt, hätte schlimmer ausfallen können.

Als zweites treten die Tour-Kollegen von CEREMONY aufs Programm, die auf Platte nicht so ganz mein Fall sind aber auch live durchaus ihre Längen vorweisen. Besonders unterhaltsam ist ihr Gig allerdings dann, wenn der Sänger ein paar Ansagen macht oder während der Songs mal so zwischendurch auf die Bühne kotzt. Highlight ist eindeutig das Cover von NEIL YOUNG‘s „Rockin‘ in the free World“, bei welchem erstaunlich viele Leute mitgehen. Ansonsten ist der Gig nichts besonderes, höchstens, durch die gekonnte Selbstdarstellung des Sängers, die ihn aussehen lässt, als sei er einer der abgefucktesten Typen seit langer Zeit. Aber solche Exemplare gibt es im Moment ja nur noch. Von daher – Solide und für Fans der Band sicherlich großartig.

Nun also CEREMONY. Bei dieser Truppe beginnt die Wut erst da, wo sie bei anderen aufhört. Hier wird reduziert auf ein Mindestmaß an Punk, dann kann es auch erst losgehen. So bemerkt man den fliegenden Wechsel zwischen Soundcheck und „Sick“ auch erst, als die Gitarre einsetzt und so richtig wild wird es auch erst, als die ersten Zeilen anstacheln. Nach ca. einer Minute ist klar: CEREMONY sind tatsächlich angepisst, das Publikum genauso. Die Leute fliegen hier unkontrolliert durch die Luft, fallen zu Boden, werden wieder nach oben gerissen und machen noch wütender weiter als zuvor. Wie oft schrieb ich jetzt eigentlich schon „Wut“? Entschuldigt das. Aber wenn ein Publikum aus hunderten Kehlen brüllt: „THIS IS MY WAR“ und danach droht, eine komplette Lokalität auseinander zu nehmen, dann kann man von nichts anderem reden. Jedenfalls war das Geschehen nicht zu unterschätzen. CEREMONY mussten des Öfteren Erkundungen anstellen, wem denn nun die kaputte Uhr auf der Bühne oder der verloren gegangene Schuh gehören und ob es noch allen gut ginge, auch wenn gerade 20 Leute übereinander zusammen gebrochen sind. Die Band selbst agiert dabei unbeeindruckt. Der Frontmann verlangt quasi danach, überrannt zu werden, der Gitarrist, der mehr nach einem Mitglied der EDITORS aussieht, scheint den Wahnsinn auf unheimlich lakonische Art und Weise verinnerlicht zu haben und auch sonst wirkt diese Band wie ein zusammengewürfelter Haufen aus Ge- und Verhassten. Dabei reihen sich dann Songs wie „Terminal Addiction“ oder das großartige „Open Head“ perfekt in das Set, welches sich erstaunlicherweise hauptsächlich auf „Violence Violence“ konzentriert. Aber das interessiert eigentlich auch niemanden so recht, da hier alles abgefeiert wird. Jeder schlüpft heute durch erwähntes Ventil, lässt heraus, was raus muss und geht am Ende lächelnd in die Kälte. Denn: Nichts ist befreiender, als 45 Minuten den Krieg in seinem Kopf zu kämpfen, mit ca. 200 gleichgesinnten. Großartig.