18.11.2010: War From A Harlots Mouth, Bleeding Through, Comeback Kid, Parkway Drive, We Came As Romans, Emmure, Your Demise - Backstage - München

18.11.2010
 

 

Dem Menschen in der heutigen Gesellschaft fällt ja mittlerweile gar nicht mehr auf, wie sehr er sich eigentlich schon auf seine technischen Errungenschaften verlässt. Egal ob mobiles Internet oder Navigationssysteme, die einem den Weg durch immer unübersichtlichere Straßenführungen weisen. Ist ja auch toll, wenn man steten Zugriff zu all diesen Hilfsmitteln hat. Problematisch wird es allerdings genau dann, wenn einem diese eben nicht zur Verfügung stehen und zudem noch ein Unfall mitsamt nur ungenügend ausgeschilderter Umleitung dazu kommt. Dann nämlich steht man plötzlich mit seinem Auto irgendwo in München und hat jegliche Orientierung schon lange verloren. Da hilft dann nur der beherzte Griff zum immerhin vorhandenen Old-School-Handy und der Anruf bei Freunden mit Navi, die einen doch bitte aus dieser misslichen Lage befreien mögen. Derlei Ereignisse halten leider den unbarmherzigen Zeitplan eines Trosses wie dem der „Never Say Die“-Tour nicht davon ab, pünktlich anzufangen. Und so verpasse ich an diesem Abend sowohl WE CAME AS ROMANS als auch leider die Briten von YOUR DEMISE, auf die ich mich angesichts der starken neuen Platte ausgesprochen gefreut hatte. Immerhin kommen die Jungs ja bald auch wieder auf eine ausgesprochen ansprechende Clubtour mit STICK TO YOUR GUNS, LET LIVE und BREAK EVEN.

Als ich dann nach ausgesprochen langer Vorlaufzeit also tatsächlich noch die Konzerthalle betrete kündigt WAR FROM A HARLOTS MOUTH-Sänger Nico gerade an, dass sie nun noch zwei Songs spielen und wünscht noch viel Spaß mit den weiteren Bands des Abends. So richtig Freude kommt da bei mir jedoch nicht auf. Zu sehr drückt da noch die völlig verkorkste Anreise aufs Gemüt. Immerhin: Die Berliner wirken agil und bewegungsfreudig wie immer. Ob dies beim Publikum auch der Fall ist kann ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht erkennen. Denn: es ist voll. Also so richtig voll. Man könnte auch sagen: ausverkauft. Offenbar kein Novum auf der diesjährigen Tour, aber für mich doch eine große Überraschung, war doch die letzten Jahre zumindest in München an der Abendkasse stets noch ein Ticket zu ergattern. Heute platzt das Backstage dafür aus allen Nähten und es ist gar nicht mal so einfach, einen guten Blick auf das Treiben vor und natürlich besonders auf der Bühne zu erhaschen. Mir hilft da noch meine Körpergröße von knapp 1,90 Meter, wer jedoch einen Kopf kleiner ist dürfte zuweilen arge Schwierigkeiten gehabt haben.

Nachdem WAR FROM A HARLOTS MOUTH ihr Set, von dem ich wie gesagt leider nahezu nichts mitbekommen habe beenden, liegt es nun an EMMURE, die Stimmung weiter anzuheizen, die an diesem Abend zumindest nach meinem Empfinden erstaunlich friedlich bleibt. Klar, ein paar rücksichtslose Vollidioten gibt es überall, aber die Trottelquote ist doch gefühlt niedriger als die letzten Jahre. Besucher, die sich etwas näher am Moshpit oder vor der Bühne befinden können da aber vielleicht auch andere Geschichten erzählen. Jedenfalls ist es ja seit jeher die Aufgabe von EMMURE mit primitiver Musik Menschen zu primitivem Verhalten zu bewegen. Wenn sich Breakdown an Breakdown reiht, dann sollen dazu gefälligst auch die Arme und Beine kreisen. Dem kommen zwar einige Besucher auch nach, doch insgesamt will sich zumindest bei mir und auch vielen anderen im Raum keine wirkliche Stimmung einstellen. Das liegt zu guten Teilen auch am ausgesprochen bewegungsunfreudigen und fast schon gelangweilt wirkenden Auftreten des Sängers, der zwar die Songs, die sich zu weiten Teilen aus „Goodbye To The Gallows“- und „Felony“-Material rekrutieren stimmlich sauber rüberbringt, aber insgesamt einfach zu unmotiviert rüberkommt, um mitzureißen. Retten kann da auch der Rest der Band nichts mehr, erst recht wenn der Sound vergleichsweise dumpf und undifferenziert daher kommt. Passt andererseits aber natürlich auch zur Musik, die ja positiv ausgedrückt einen recht homogenen Eindruck hinterlässt. Negativer formuliert: die Songs klingen alle gleich. Überraschungen kann man mit der Lupe suchen und die Band bleibt schlichtweg eine fast schon dreiste Kopie der live auch nicht sonderlich überzeugenden THE ACACIA STRAIN. Klar, Die-Hard-EMMURE-Fans mag das alles nicht gestört haben, aber so manche Stimmen sprachen nach diesem kraftlosen Auftritt von einer Frechheit. So weit würde ich zwar nicht gehen, aber für mich bleibt festzuhalten: EMMURE sind einfach eine ziemlich egale, soundtechnisch ausgesprochen gleichförmige Band, die ihre gesamte Reputation einem recht unterhaltsamen ersten Album verdankt und sich live eher schlecht als recht über die Runden rettet.

Eher Wegbereiter denn Kopisten sind dann die darauf folgenden BLEEDING THROUGH. Seit 1999 aktiv haben sie nicht unbeträchtlich dazu beigetragen, dass sich der Stil, der heute unter dem Stichwort „Metalcore“ firmiert dermaßen etablieren konnte. Doch eine Vorreiterrolle allein ist natürlich noch lange kein Qualitätsmerkmal. Die letzten drei Alben der Band waren für mich dann auch größtenteils relativ belanglose Werke, die die Trademarks der Band abseits der obligatorischen Keyboardeinlagen des heute dauer-headbangenden Blickfangs Marta etwas vermissen ließen. Weder die poppige, noch die Black Metal-lastigere Schiene will der Band anno 2010 so richtig stehen. Das hindert die Band allerdings nicht, ziemlich die Sau raus zu lassen. Da ist stets Bewegung auf der Bühne und Sänger Brandon ist ausgesprochen stark bei Stimme, wie die ganze Band natürlich mächtig tight agiert. Wie man es eben von einer dermaßen erfahrenen Band auch erwarten kann. Gänzlich auf das Publikum übertragen lassen will sich die Motivation der Musiker allerdings nicht. Ob es am abermals etwas undifferenzierten Sound liegt? Oder vielleicht doch eher an den zumeist etwas arg unspannend an einem vorbeiziehenden Songs der letzten fünf Jahre? Fakt ist: immer wenn Songs des Durchbruchwerkes „This Is Love, This Is Murderous“ intoniert werden, ist die Stimmung da, kann jedoch nicht gehalten werden. Erstaunlich in dieser Hinsicht, dass auf das ausgesprochen populäre „On Wings Of Lead“ verzichtet wird und die Songs mit Gesang allesamt vom Nachfolger „The Truth“ stammen. Auf die beiden ersten Alben verzichtet die Band gleich komplett. Also auch kein „Rise“. Schade. Wer dem neueren Output der Band etwas abgewinnen kann, der dürfte heute Abend auf jeden Fall seinen Spaß gehabt haben, denn eine gute Liveband sind BLEEDING THROUGH allemal. Ich jedoch hätte mir noch ein wenig mehr Back To The Roots-Mentalität gewünscht. Wirklich verdenken kann ich der Band ihre Setlist aber natürlich nicht. Für mich persönlich bleibt nur festzuhalten, dass mir die einstigen Metalcore-Favorites mittlerweile einfach egal geworden sind. Passiert halt, so was.

Nach zwei eher unbeeindruckend an mir vorbei rauschenden Shows liegt es daraufhin an COMEBACK KID, mein Stimmungs-Ruder rumzureißen. Und siehe da: wie auf Befehl gelingt es den Kanadiern dann auch, mich aus meiner Apathie zu entlasse und diese in blanke Begeisterung umschlagen zu lassen. Wahnsinn, wie gut die Band den zugegebenermaßen mittlerweile ja auch schon einige Zeit zurückliegenden Sängerwechsel überstanden hat und immer noch so viel Energie, Herzblut und Charme versprüht. Songs durch alle Schaffensperioden der Band hindurch und zum ersten Mal ein wirklich rundum gelungener Sound helfen dabei natürlich nicht unerheblich. Dazu noch ein ausgesprochen textsicheres Publikum, das zwar dank Wellenbrechern vor der Bühne eher selten zum Stagediven, dafür aber immerhin zu einem freundlichen Pit und aus hunderten Kehlen mitgebrüllten Sing-Alongs animiert werden kann. Ganz klar, neben PARKWAY DRIVE sind COMEBACK KID heute Abend zum einen die größten Sympathieträger und zum anderen auch schlichtweg die motivierteste und zugleich abgeklärteste Band, die ich miterleben durfte. Schön auch zu sehen, dass das Publikum zwar natürlich erwartungsgemäß am stärksten beim Überhit „Wake The Dead“ mitgeht, aber auch ansonsten Songs aller Alben mit großer Freude abfeiert. Klar, auf einer dermaßen Metal-lastigen Tour sind naturgemäß nicht alle dermaßen angetan vom punkigen Sound der Band, aber insgesamt ist die Resonanz wirklich ausgesprochen beachtlich und dazu auch noch hoch verdient. Es ist schlichtweg der Spaß, den die Band auf der Bühne hat, der sich nahezu nahtlos auf das Publikum überträgt und weit von meinen Befürchtungen, dass diese Band angesichts ihrer langen Existenz und großen Reputation irgendwann nur noch unmotivierte Auftritte hinlegen würde entfernt. Toller Auftritt und hoffentlich bald auch mal wieder im etwas kleineren Rahmen auf Tour.

Das wahre Highlight des Abends folgt allerdings noch. Wobei ich nicht im entferntesten damit gerechnet hätte, wie unglaublich stark PARKWAY DRIVE heute auch mich beeindrucken. Bisher war das nämlich so: dreimal gesehen und stets das selbe Phänomen gehabt, das mich auch befällt, wenn ich ein Album der Band höre: Begeisterung in der ersten, Langeweile in der zweiten Hälfte. Zu sehr wiederholten die Australier da ein Konzept, das ja vor allem aus Hochgeschwindigkeits-Gitarrengefiedel und den obligaten Breakdowns besteht so oft bis es mir schlussendlich aus den Ohren raus hing. Nun meine Vermutung: die Band brauchte zwingend ein Album, das sich zumindest ansatzweise vom Stil der ersten beiden Platten unterscheidet. Vor allem durch etwas langsamere und weniger verspielte, dafür aber Mosh-lastigere Herangehensweise. Genau so ein Album ist „Deep Blue“ ja dann auch geworden und ich vermute fast, dass es diesem Werk geschuldet ist, dass mich PARKWAY DRIVE an diesem Abend so dermaßen aus den Socken hauen. Ich will gar nicht sagen, dass das neueste Werk der fünf Surferjungs sonderlich spannend wäre, aber es gibt der Setlist eine Varianz, die dafür sorgt, dass ich mich erstmals nicht nach 25 Minuten gelangweilt abwende, sondern vielmehr die unglaubliche Spielfreude und technische Präzision genieße, die die Australier da auf die Bühne bringen. Es ist wunderbar zu beobachten, wie viel Spaß und gute Laune die Musiker ausstrahlen und wie bodenständig sie dabei nach wie vor rüberkommen. Das hier scheinen immer noch die netten Freunde zu sein, die sich früher immer am Strand zum Surfen getroffen haben. Und sie haben nun eben schon seit mehreren Jahren die Zeit ihres Lebens. Angesichts der Welle des Erfolges, auf der sich die Band nach wie vor befindet machen sie selbst vor einem Umbau der Bühne nicht halt, die ganz plötzlich mit Palmen geschmückt ist und im angenehm roten Licht eines Sonnenuntergangs am Meer erscheint. Was bei anderen Bands wohl nahezu unweigerlich zu Fremdschamgefühlen im Publikum geführt hätte nimmt man PARKWAY DRIVE einfach ab. Sie wirken regelrecht beflügelt von der neuen Deko und lassen endgültig alle Hemmungen fallen, blödeln auf der Bühne herum wie kleine Kinder und grinsen über beide Ohren, wenn mal wieder einer der mitgebrachten aufblasbaren Wasserbälle den Weg zu ihnen findet. Ganz klar: hier hat es endlich mal haargenau die richtige Band erwischt. Allein schon sympathie-technisch macht der Band an diesem Abend keiner etwas vor. Das ist eine Gute Laune-Show der allerbesten Sorte. Dass dabei auch noch jeder Ton genau da sitzt wo er hingehört ist da fast schon eine Randnotiz. Die unglaubliche Eingespieltheit und die fast schon beiläufig zur Schau getragene technische Perfektion der Musiker sollen natürlich trotzdem nicht unter den Tisch gekehrt werden. Alles in allem ist der Auftritt von PARKWAY DRIVE an diesem Abend tatsächlich das Highlight, das sich viele der anwesenden Besucher wohl schon erhofft hatten, mit dem ich aber beim besten Willen nicht gerechnet hätte. Viel zu voller Laden? Verkorkste Anreise? Alles vergessen. Ich will noch mal.

Auf der nächsten „Never Say Die“-Tour dann eben.