21.03.2019: DEATH TO FALSE METALCORE TOUR - Köln - Essigfabrik

26.03.2019
 

 

Death to False Metalcore. Das ist mal eine Ansage. Und tatsächlich liest sich das heutige Lineup zu 60% so wie ein Metalcore-Lineup aus dem Jahr 2009. Passenderweise waren MISERY SIGNALS vor 10 Jahren das letzte Mal in Europa, während DARKEST HOUR und UNEARTH weiter fleißig Platten releaset und den alten Kontinent betourt haben.

Doch das heutige Line-Up ist nicht nur was für die alten Hasen: Auch zwei frische Bands haben sich eingeschlichen. Darunter LEFT BEHIND, die schon sehr früh in den Abend einleiten – an einem Wochentag kommt das dem Ottonormal-Arbeitnehmer aber natürlich entgegen. Die Band aus West Virginia hinterlässt bei mir viel weniger bleibende Eindrücke als viel mehr eine Frage: Warum ausgerechnet die mit in dieses tolle Paket reinnehmen? Klar, da ist ordentlich Druck dahinter, aber das war’s dann auch. Nen Peavey 5150 oder 6505 anschließen, den Bass verzerren und einen einigermaßen passablen Drummer (hier die Betonung auf einigermaßen passabel) hinters Kit setzen und fertig ist der Lack.

MALEVOLENCE sind da glatt das Gegenteil. Nämlich wahre Meister ihres Handwerks. Aber das weiß man freilich nicht erst seit gestern. Damals noch ein Geheimtipp in ausgewählten Hardcore-Kreisen (ich erinnere mich an einen jawdroppenden Auftritt auf dem mittlerweile längst eingestampften Still Cold Fest in Hannover, bei dem die Band eigentlich erst zwei populäre Songs draußen hatte) ist die Band heutzutage eine feste Größe, die Hardcore-Kids und Metalheads locker unter eine Decke bringt und sicher schon selbst Headliner-Potenzial hat. Häufiger sieht man die Band aus Sheffield jedoch im Vorprogramm der renommiertesten Bands oben genannter Genres. Die beste Strategie, ihre Musik unter viele Leute zu bringen. Und beeindruckt dürften hier wohl vor allem die sein, die MALEVOLENCE vorher nicht auf ihrem Zettel hatten. Schier perfekt trägt die Band ihren eigenständigen Mix aus der Härte (HATEBREED), Verrohung (PANTERA), und technischem Metal (DYING FETUS) auch im Livegewand vor – Drummer und Stage-Right-Gitarrist in allen Ehren. Frontmann Alex hat inzwischen aber auch einiges in Sachen Publikumsinteraktion von Freunden wie Andrew Neufeld (COMEBACK KID) lernen dürfen und kann die müde Kölner Essigfabrik erstmals auf touren bringen. Die Band beginnt ihr Set mit den beiden besten Songs der frühen Schaffensphase („Serpent’s Chokehold“ und „Condemned to Misery“) und lässt dann noch vier von ihrer gerade Mal zweiten Platte „Self Supremacy“ folgen – darunter zum Finale auch den Titeltrack, der stilistisch neben dem ebenfalls eher experimentellen „Slave to Satisfaction“ nochmal deutlich raus sticht.  

Dritte Band, und inzwischen lässt sich klar prognostizieren: Die Essigfabrik wird sich heute nicht mal mehr bis zur Hälfte füllen. Vor der Bühne klafft ein riesiges Loch, das die ungemütlichen und sterilen Fliesen auf dem Boden unverhüllt lässt. Stimmung kommt da irgendwie nicht so richtig auf. Für den Sound ist die Location ja ohnehin weitestgehend verrufen. Ich bin da generell eher anderer Meinung und auch heute kann ich mich nicht sonderlich beklagen – was auch an meinem neu gekauften professionellen Hörschutz liegen mag, durch den sich beispielsweise auch die Becken heute perfekt raushören lassen. Zurück zum eigentlichen Thema: MISERY SIGNALS waren wirklich verdammt lange nicht mehr im Lande. Optisch ist die Band aus Wisconsin zwar leicht gealtert, bezüglich ihrer Performance allerdings sicher nicht – da wirken sie eher wie ein Phönix aus der Asche. Im Oktober 2015 hatten MISERY SIGNALS ihren damals noch über Myspace gecasteten Frontmann Karl Schubach aus der Band geschmissen und ihn durch den ursprünglichen Shouter Jesse Zaraska ersetzt. Und der beherrscht die Bühne von Sekunde eins an wie ein Wirbelwind. Entweder reisst ihm im ersten Song die Hose im Schritt, oder er trägt das so – jedenfalls tut das der Show keinen Abbruch. Sichtlich freuen sich die Fans über die Rückkehr von MISERY SIGNALS, spätestens beim zweiten Song „The Failsafe“, dem vielleicht größten Hit der Band, wird frenetisch mitgesungen. Der Fokus liegt heute sehr stark auf dem Erstlingswerk namens „Of Malice and the Magnum Heart“ aus dem Jahre 2004, dem bisher einzigen Album, auf dem Zaraska anstelle von Schubach gesungen hatte. Auch den Nichtkenner dürften MISERY SIGNALS mit ihren Melodien und ihrer puristischen 2000er-Metalcore-Härte für sich gewinnen, mit der sie damals später gehypte Bands wie For the Fallen Dreams bereits vorwegnahmen. Sollte es tatsächlich Leute geben, die weder MALEVOLENCE noch MISERY SIGNALS vor der Death to False Metalcore Tour auf dem Schirm hatten, müssten diese eigentlich heute Nacht glücklich ins Bett fallen – oder an Geschmacksverirrung erkrankt sein. Scheinbar haben MISERY SIGNALS ein neues Album mit Zaraska angekündigt – man darf gespannt sein. Nach dieser Tour kann die Band jedenfalls getrost auch mal als Headliner rüberkommen, schätze ich.

DARKEST HOUR und UNEARTH rotieren den Headliner-Slot auf dieser Tour. Für mich befinden sich beide Bands in der UEFA Europa League des True Metalcore (musste das als Nicht-Fußballgucker erstmal googlen) des Metalcore – in der Champions League spielen dann As I Lay Dying, Killswitch Engage, Parkway Drive und The Ghost Inside. Dennoch aber deutlich überdurchschnittlich in diesem schier endlos ausgeuferten Genre, in dem ich auch seit mindestens 7 bis 8 Jahren nicht mehr up to date bin – für mich ist das Motto des heutigen Abends also hervorragend passend. Und im Vorfeld habe ich mir dann auch mal die neueren Veröffentlichungen beider Bands zu Gemüte geführt. Bei DARKEST HOUR kam ich zu dem Fazit, dass die Band um den nach wie vor sau coolen Mike Schleibaum scheinbar nicht umhinkam, sich dem größer werdenden Druck, mal Clean Vocals auszuprobieren, hinzugeben. Mir persönlich gefiel das gar nicht. Umso mehr freue ich mich, dass DARKEST HOUR sich mit „Knife in the Safe Room“ in bester Manier in ihr eigenes Set reinprügeln – und es sich dabei um einen Song vom neusten Album handelt. Mit „Convalescence“ setzt dann die Nostalgie ein, eingängig wie eh und je und mit einer für DARKEST HOUR eher untypischen Strophenstruktur. Auch die Songs vom 2011er Album „The Human Romance“ wissen zu überzeugen und bringen die besten Eigenschaften der Band aus Washington D.C. zum Tragen – da darf auch Mal ein Fast-Clean-Part wie bei „Savor the Kill“ drin sein. Die größte Freude bereiten mir jedoch definitiv „Demon(s)“, „With a Thousand Words to Say But One” und “Doomsayer”. Auch mit einem Dead Kennedys Cover (“Nazi Punks Fuck Off”) können DARKEST HOUR punkten und zeigen einmal mehr, dass sie alles andere als eine Meathead-Band sind. „Tranquil“ beendet das Set grandios, so wie es damals auch auf dem meiner Meinung nach zweitbesten Album „Undoing Ruin“ der Fall war.

Und dann sind nur noch UNEARTH an der Reihe. Bei denen habe ich mich in den letzten Tagen noch mehr gefragt, was wohl aus ihnen geworden ist. Schließlich waren sie schon auf der Never Say Die! Tour 2008 nicht mehr die Band der Stunde, wie soll das denn mehr als 10 Jahre später dann aussehen? Zugegebenermaßen klang das nun vermutlich negativer als ich der Band gegenüber eingestellt bin: Fast unmatched sind die Riff-Salven von Ken Susi und Buz McGrath. Schlagzeuger Nick Pierce fällt mir zum ersten Mal extrem positiv auf. Mag daran liegen, dass ich inzwischen selbst Schlagzeuger bin, was damals noch nicht der Fall war. Zwar hält er den Stick in seiner linken Hand meiner Meinung nach extrem unergonomisch (und mutet damit an wie ein Musikschüler), aber das macht sein wahnsinnig technisches Spiel nur noch eindrucksvoller. Eine Wonne für jeden Trommler, dem zuzugucken! Auch UNEARTH eröffnen standesgemäß mit einem Song der neuen Platte, nämlich „Incinerate“. Insgesamt liegt der Schwerpunkt des Sets noch deutlicher als zuvor bei DARKEST HOUR auf dem neuen Material. Relativ bald gibt es dann aber mit „This Lying World“ auch hier eine gehörige Portion Metalcore-Nostalgie, wozu die Essigfabrik nun etwas mehr auftaut. UNEARTH sind zwar an diesem Abend nicht die ersten, die einige Circle-Pits entstehen lassen, aber sicher sind es die größten. Richtig Oldschool wird es dann mit „Endless“. Es mag am fortgeschrittenen Abend liegen und auch daran, dass nun schon die fünfte Band vor mir steht, aber spätestens danach werde ich etwas müde. Und ja, andere Bands hätten es vielleicht geschafft, mich bei der Stange zu halten. Zwar springt Susi nach wie vor beeindruckend oft vom Bühnenequipment, der Drummer ist durchweg ein Augenschmaus für mich, aber der Rest der Band beeindruckt weniger. Außer wenn McGrath gerade eins seiner Soli spielt, die er sich mit Ken Susi einigermaßen gleichmäßig aufteilt. Scherzhaft antwortet er „We’re out of here“, als er vergebens fragt, ob man hier in Deutschland Weed für ihn habe. Mehr hat er zum ersten Tourtag scheinbar nicht zu sagen. „Zombie Autopilot“ und „My Will Be Done“ animieren mich gegen Ende des Sets dann noch einmal zum Luftgitarre-Spielen. Immerhin!

Alles in allem ein lohnenswerter Abend. Unter dem Strich sieht man aber am Durchschnittsalter, der relativ mauen Beteiligung und der dürftigen Besucherzahlt und der Publikumszusammensetzung, dass es sich beim „True Metalcore“ leider eher um einen sterbenden Dinosaurier handelt. Wie sich das Publikum zusammengesetzt hat? Gefühlt mindestens 85% Männer, und zum Großteil nicht nur optisch Marke „Wacken“ bzw. Metal-Ballermann. Ich hatte übrigens vergessen zu erwähnen, dass sich bei Darkest Hour ein besoffener Konzertbesucher erst während eines Songs denkbar unpassend mit fragendem Blick und Bierbecher in der Hand auf der Bühne platziert und von Frontmann John Henry verwiesen werden muss. Es ist glaube ich dann derselbe Mensch, der sich nach dem Set von DARKEST HOUR nochmal auf die Bühne hievt, blankzieht und dem Drummer Travis Orbin, der das komplette Konzert oben ohne gespielt hatte, mehrmals seinen verschwitzten Lappen hin wirft. Dazu muss ich wohl nichts mehr sagen..