Groezrock Festival (29.04.2017 - 30.04.2017) - Meerhout

07.05.2017
 

 

Auch 2017 lädt das Groezrock Ende April auf einen Acker in Meerhout ein, um die Festivalsaison einzuläuten. Seit meinem letzten Besuch 2015 hat sich jedoch einiges getan: Nicht nur wurde im letzten Jahr das komplette Festivalgelände umgebaut (sodass es jetzt eine Art Trennschneise zwischen beiden Platzhälften gibt), auch sind die Bühnen weniger und kleiner geworden. Das fällt insbesondere bei der Main Stage auf, die einige Meter Platz einspart und auch inzwischen auf einen Monitor verzichtet. Nichtsdestotrotz ist das Line-Up über beide Tage gespickt mit internationalen Hochkarätern.

Den Anfang machen dieses Jahr auf der zweiten Bühne allerdings die Lokalmatadoren namens MOMENTS. Unterstützung erhalten die fünf Jungspunde jedoch wie man sehen kann nicht nur von ihren Freunden, sondern auch von Weitangereisten. Das Zelt ist nämlich für die Mittagszeit wirklich sehr gut gefüllt und vor der Bühne klaffen keine riesigen Lücken, sondern es wird mitgesungen. Der melodische Hardcore mit Metalelementen à la The Ghost Inside trifft auch Jahre nach dem großen Hype noch einen Nerv und kommt bei den Groezrock-Besuchern sehr gut an. Man merkt der Band an, dass sie das nicht erst seit vorgestern macht.

Mittlerweise stolze 15 Jahre dabei sind hingegen die FLATLINERS aus Toronto. 2008 waren sie einst meine Groezrock-Entdeckung schlechthin, damals mit ihrer Überplatte „The Great Awake“. 7 Jahre später bespielt die Band nach wie vor einen frühen Slot auf der Mainstage. Was das Groezrock angeht, hat sich die Kapelle also nicht wirklich hochgearbeitet, sondern eher ihren soliden Stand gefestigt. Zur Zeit sind die FLATLINERS als Co-Headliner auf Tour mit den Menzingers und The Dirty Nil, um ihr neues Album „Inviting Light“ zu bewerben. Mir persönlich gefallen die alten Sachen etwas besser, da mir das neue Zeug zu geradlinig und ereignislos erscheint. Hymnencharakter hat die Band jedoch in jedem ihrer Songs, des Weiteren hebt sich Chris Crosswell’s kratzige und markante Stimme doch deutlich vom Standard ab und sorgt so dafür, dass der Auftritt der FLATLINERS kurzweilig und unterhaltsam bleibt. Ein gutes Warmwerden am frühen Samstag also. Fans des älteren Materials werden allerdings enttäuscht gewesen sein.

SKYHARBOR dienen als erste indische Band auf dem Groezrock im direkten Vergleich zu diesen beiden Bands als eine exotischere Erscheinung, und wenn man den 5 per Internet zusammengefundenen Musikern kurz zuschaut, wird einem auch ganz schnell klar wieso diese in Europa doch recht unbekannte Band das Glück hat, die Deftones auf ihrer momentanen Europa-Tour zu supporten. Spielerisch zeigt sich der Fünfer gar so versiert, dass man die Band gar nicht wirklich in eine Schublade packen kann. „Rock“-Musik wäre wohl die sichere Variante, jedoch ist der Sound gespickt mit progressiven Elementen und ebenfalls mit Ambient-Anteilen versehen. Charakteristisch für SKYHARBOR sind insbesondere schnelle, technisch komplizierte Gitarrenmelodien und der sehr klare Gesang. Eine weitere Entdeckung, die nicht nur bei mir gut anzukommen scheint. Nebenbei sei noch erwähnt, dass die Entscheidung für die Back to Basics Stage in diesem Fall nicht sehr schwer fiel, da mit COCAINE PISS auf der Watch Out Stage die wohl schlechteste Band spielt, die ich je auf dem Groezrock ertragen musste. Absolut unterirdische Vocals.

Nach einer kurzen Pause geht es dann mit TRADE WIND weiter, die nach einer gecancelten Europatour im vorherigen Jahr nun ihre erste Show auf unserem Kontinent spielen. Sänger Jesse Barnett, sehr bekannt geworden durch seine Hauptband Stick to Your Guns, zeigt sich hier stimmlich von einer ganz anderen Seite, die allerdings die neueren STYG-Werke schon etwas haben erahnen lassen. Mit ihrem rockigen Alternative-Sound erinnern mich TRADE WIND direkt an Thrice, jedoch gibt es auch sehr ruhige Songs, die fast schon wie Coldplay-Nummern erscheinen. Fest steht: Barnett kann singen, und das Allstar-Quartett um ihn herum hat mit TRADE WIND ein Projekt ins Leben gerufen, das es verdient, ausgecheckt zu werden. Allen voran „I Hope I Don’t Wake Up“ und „Tatiana“ bleiben über den Auftritt hinaus im Gehörgang.

Für MEWITHOUTYOU ist es tatsächlich nicht das erste Mal auf dem Groezrock Festival: Vor zehn Jahren war die Band aus Philadelphia bereits in Belgien zu Gast, woran sich sicherlich nur noch die wenigsten der heutigen Besucher erinnern können. Ich für meinen Teil verfolge die Band erst seit ihrem neuesten Album „Pale Horses“, von dem heute auch einige zum Besten gegeben werden. Fans von Bands wie La Dispute und The Saddest Landscape kommen hier voll auf ihre Kosten, denn MEWITHOUTYOU wissen auch auf der großen Main Stage zu überzeugen. Sänger Aaron Weiss teilt sich dieses Wochenende mit seiner gelben Mütze den ersten Platz für das beste Outfit mit Jeff Rosenstock und verleiht den Songs mit seiner einprägsamen tiefen und weinerlichen Stimme, die eher an Indie-Bands wie Interpol erinnert, den außergewöhnlichen Charme.

Was folgt ist für mich die schwierigste Entscheidung des Wochenendes: Soll ich OATHBREAKER oder Petrol Girls schauen? Ist es nicht ironisch, dass von den 4 Female-fronted Acts an diesem Wochenende jeweils 2 davon zur gleichen Zeit spielen? Sexistisches Timetable (des woar n Witz!). Die Lösung lautet: Beide Bands jeweils zur Hälfte schauen. Für OATHBREAKER habe ich mir die erste Hälfte ausgeguckt, da ich den Übersong „Second Son of R.“ nicht verpassen möchte. Die dunkelste Bühne ist natürlich die passendste für das Metal-Phänomen um Sängerin Caro Tanghe, die einem mit ihrem Gesang ein ums andere Mal einen Schauer über den Rücken jagt. Leider sind die Soundeinstellungen zu Beginn des Sets so suboptimal, dass man mit Einsetzen des Schlagzeugs nur noch Blastbeats vernimmt, dies wird jedoch nach einigen Minuten Verzögerung glücklicherweise angepasst, sodass man auch die Shouts von Caro vernehmen kann. Angesichts der Songlänge ist nach drei Songs das Rüberwatscheln zu Petrol Girls angesagt.

Besagte PETROL GIRLS haben einen ähnlich guten Lauf hingelegt wie Oathbreaker mit ihrer aktuellen Scheibe. Während es letzteren gelang, sich mit ihrem experimentellen Soundgemisch quasi eine ganz eigene Nische in der Metal-Szene zu erspielen, haben sich PETROL GIRLS den Feminismus sehr groß auf die Fahne geschrieben und sich damit in die Herzen gespielt. Nicht, dass der rockige Punksound der Briten und Britinnen nicht auch zu überzeugen wüsste: Ich wage die Prognose, dass die Band den Leuten wegen ihrer Inhalte und der Ansagen mindestens genauso im Gedächtnis bleibt. Auch wenn PETROL GIRLS bei dem typisch besoffenen Festivalvolk natürlich auf viele taube Ohren und auf Hohn stoßen, zeigt sich der Großteil begeistert von den Ansagen der Frontfrau Ren, die sich allerdings nicht nur um Feminismus drehen. So erklärt sie beispielsweise zum Titel des aktuellen Albums „Talk of Violence“, dass es von den Medien als Gewalt angesehen wird, wenn man auf einer Demo mitläuft, während die Gewalt, die von Unternehmen und Staaten hinter den Kulissen ausgeübt wird, nie als solche betitelt wird. Im Rahmen ihres Songtextes zu „Touch Me Again“ hatten die PETROL GIRLS von weiblichen Fans Erfahrungsberichte bezüglich sexueller Übergriffe gesammelt, die nach dem Song abgespielt werden. Darunter befindet sich auch der Bericht einer Frau, die während dem Auftritt von The Offspring auf dem Groezrock im Jahr 2014 von mehreren Männern begrapscht wurde, was erst mit der Drohung „Touch me again and I will fucking kill you“ ein Ende nahm. Nach Tourneen mit den Dead Kennedys und Strike Anywhere scheinen die PETROL GIRLS jedenfalls nun endlich die Aufmerksamkeit zu bekommen, die ihnen zusteht. Das merkt man heute auch anhand der Reaktionen vor der Watch Out Stage.

Im Anschluss eröffnen die MENZINGERS ihr Set mit „Tellin‘ Lies“, dem ersten Song ihres aktuellen Albums. In der folgenden Dreiviertelstunde spielt sich die Band aus Philadelphia quer durch die drei bisher veröffentlichten Alben, für eingefleischte Fans folgt Hit auf Hit. Angesichts der zwei bisherigen Auftritte in den Jahren 2012 und 2014 sind die MENZINGERS keine Neuheit mehr auf dem Groezrock, sondern zählen fast schon zum Inventar. So gelingt es ihnen, das Zelt der Hauptbühne besser zu füllen als die vorherigen Bands. „I Don’t Wanna Be An Asshole Anymore“, aber insbesondere die ganz alten Songs wie „Good Things“ und „The Obituaries“ bringen das halbe Zelt zum Mitsingen, sodass man die MENZINGERS getrost als ein erstes Fan-Highlight am ersten Festivaltag bezeichnen kann. Trotz der niedrigeren Gangart der neuen Platte fügen sich die Songs sehr gut in das Set ein, und mit dem Titelsong „After the Party“ liefert die Band einen Ohrwurm par excellence.

BRUTALITY WILL PREVAIL sind in letzter Minute als Ersatz für die ausgefallenen Turning Point eingesprungen und melden sich nach fast zweijähriger Pause zurück mit einem neuen Album. Im Zuge dessen erfreut sich die Band auch einer wieder steigenden Beliebtheit bei den Fans, von denen einige doch bitterböse auf den Weggang von Original-Sänger Ajay Jones und die erste Platte mit dem neuen Frontmann Louis reagiert hatten. So wundert es wenig, dass von „Suspension of Consciousness“ gar keine Nummer gespielt wird, während die Setlist größtenteils aus Songs vom Album „Scatter the Ashes“ besteht. Leider gleicht die Stimme von Louis nach wie vor der von Ajay gar nicht, aber wahrscheinlich sollte man eine Nachahmung hier gar nicht erst versuchen. Der neue Frontmann growlt eher und wirkt etwas kurzatmig, auch wenn die Stagemoves sitzen. Auch mit dem neuen Material, allen voran dem Song „Forever Restless“ wissen die Waliser jedoch zu überzeugen. Für den Moshpit sicherlich eines der höchsten Gefühle an diesem Wochenende.

STRIKE ANYWHERE haben sich in den letzten Jahren in Europa sehr rar gemacht, umso mehr freut sich das Groezrock, die Punkband um Sänger Thomas Barnett wieder begrüßen zu dürfen. Es ist, als wären sie nie weg gewesen. Auf die Main Stage, die traditionellerweise seit Jahren vor allem für Punkrock-Ikonen aus dem Hause Epitaph und Fat Wreck reserviert ist, passt die Band jedenfalls wie die Faust aufs Auge und so werden Songs wie „Chalkline“, „Refusal“ oder „Infrared“ von vorne bis hinten abgefeiert, obwohl sie schon über ein Jahrzehnt auf dem Buckel haben. Für politischen Punk scheint 2017 als Comeback-Jahr jedenfalls wie gemacht, die Freude über STRIKE ANYWHERE, Anti-Flag und Konsorten ist riesig.

Doch auch lockerere Kollegen wie die BOUNCING SOULS ernten kräftigen Applaus und Chöre aus hunderten von Kehlen. Kein Wunder, wenn Punkrock-Klassiker wie „Hopeless Romantic“, „The Something Special“, „Lean on Sheena“, „Gone“ oder „True Believers“ gespielt werden. Das reisst selbst beim fünften Mal noch mit. Ich fühle mich mit meinen 27 Jahren wieder wie 15, und die Vierzigjährigen fühlen sich wahrscheinlich wieder wie 20. Bleibt nur zu hoffen, dass auch die nachfolgenden Generationen sich noch vom Skatepunk-Sound mitreissen lassen.

Nun ist wieder Hin- und Herlaufen angesagt: Mit und DEAFHEAVEN treten erneut zwei Bands der Stunde zeitgleich auf den kleineren Bühnen auf und schaffen es, eine beträchtliche Menschenmenge zu versammeln. Auf der zweiten Bühne bei DEAFHEAVEN ist jedoch weniger los, als ich das angesichts des Hypes um die (man verzeihe mir die Wortwahl) Hipster-Black-Metal-Band Nummer 1 erwartet hätte. Ich schaue als dem Black Metal abgeneigter Zuhörer aus reiner Neugierde zu, jedoch können mich DEAFHEAVEN auch live nicht von ihren sicherlich vorhandenen Qualitäten überzeugen. Frontmann George Clarkes Rumgehampel und seine theatralische Gestik finde ich jedoch eher seltsam als der Liveshow zuträglich. Dieses Genre werde ich wohl nie verstehen.

Wenige Auftritte wurden dieses Jahr von vielen Groezrock-Besuchern so herbeigesehnt wie der von UNDEROATH, die im Rahmen ihrer Rebirth Tour ihre beiden Alben „They’re Only Chasing Safety“ und „Define the Great Line“ zum Besten geben. Als eine der Emo-Speerspitzen der 2000er Jahre hat die Band aus Tampa, Florida viele Fans durch ihre Jugendjahre begleitet. Dementsprechend fällt auch die Reaktion der Leute aus, insbesondere bei Hits wie „A Boy Brushed Red Living in Black and White“, „Reinventing Your Exit“ und „It’s Dangerous Business Walking Out Your Front Door“. Obwohl der größte Teil in mir das Liveset abfeiert, bin ich durchaus irritiert von dem überambitionierten Keyboarder, der die Beschreibung „etwas drüber“ verdient. Abgesehen von seiner Performance frage ich mich auch, was sein Job in den Songs ist, denn einen Keyboard-Teil vermag ich da kaum rauszuhören. An einer Stelle bin ich mir nicht sicher, ob UNDEROATH nicht vielleicht ein wenig Playback spielen, denn ich kann niemanden am Mikrofon sehen, obwohl Clean-Gesang zu vernehmen ist. Seltsam, seltsam.

Auch THRICE sind nach einer längeren Pause, während derer die Band ebenfalls komplett auf Eis gelegt war, zurück auf dem Groezrock. An den Auftritt im Jahr 2012 kommen THRICE meiner Meinung nach jedoch nicht ganz dran, was auch daran liegen mag, dass ich kein besonders großer Fan der neuen Platte „To Be Everywhere is to Be Nowhere“ bin. Auch wenn sich das schon auf den Vorgängerplatten so abgezeichnet hatte, sind THRICE damit wohl endgültig im relativ belanglosen Alternative-Tümpel angekommen, auch wenn ein paar gute Hits wie „Blood on the Sand“ dabei waren. Am meisten freue ich mich aber natürlich über Nummern wie „Stare at the Sun“, „Deadbolt“ und „Image of the Invisible“. Spätestens jetzt beim Co-Headliner fällt mir auf: Obwohl das Zelt der Mainstage deutlich geschrumpft ist, war es bei Underoath und Thrice nichtmal ansatzweise gefüllt. Die Besucherzahlen des Groezrock sind spürbar zurückgegangen. Eine Entwicklung, die sich hoffentlich nicht in dem Maße fortsetzt, dass sie das Festivalbestehen gefährdet.

Mit den DEFTONES steht dann jedenfalls ein Headliner auf den Brettern, den man wohl so nicht erwartet hätte. Aber auch dafür ist das Groezrock bekannt: Schließlich waren auch schon Billy Talent, Bullet for My Valentine und die Hives in Meerhout zu Gast. Ich als DEFTONES-Fan bin jedoch erfreut. Gleich im ersten Song legt sich Chino Moreno allerdings auf die Fresse, nur um im zweiten Song „Elite“ dann von der Bühne zu fallen und sich dabei (wie man später erfahren konnte) den Fuß zu brechen. Umso löblicher jedenfalls, dass er dann das komplette Set noch durchzieht, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Auch wenn die üppige Lightshow einem Headliner gerecht wird, kann ich DEFTONES ein weiteres Mal nicht als eine sehr gute Live-Band einordnen. Zu kraftlos sind die Schreie von Moreno, zu unsicher stellenweise sein Clean-Gesang und zu nervig sein völlig deplatziertes Rumgequietsche, dass er manchmal zufällig ins Mikro ablässt. Der Rest der Band jedoch tut seinen Dienst, insbesondere die Bassfraktion mit Abe Cunningham und Sergio Vega wummert wie noch was und dominiert das Soundbild der Band. Während die DEFTONES viele ihrer neueren Alben mit lediglich einem Song abfrühstückt („Swerve City“, „Diamond Eyes“), sind mehr als die Hälfte der Songs ältere Nummern, an die sich sicherlich viele Groezrock-Besucher mehr oder weniger klar erinnern können. Unter dem Strich ist der Auftritt ohne eine Zugabe und mit in meinen Augen magerer Songauswahl solide, aber nicht mehr. Dass das Zelt nicht wirklich gefüllt ist, spricht wohl Bände.

 

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SONNTAG

Die erste Band am Sonntag ist für mich BELVEDERE. Sänger Steve Rawles kenne ich bereits durch sein Projekt This Is a Standoff, welches ebenfalls bereits beim Groezrock gastiert hat und mir einen Ticken besser gefällt. BELVEDERE fahren im direkten Vergleich weniger technische Raffinesse auf und bieten eher klassischen Akkord-Punkrock, so wie man ihn in den Neunzigern gespielt hat. Auch hier sammeln sich wieder einige ältere und jüngere Kaliber vor der Bühne, die die Band abfeiern oder für sich entdecken.

Anschließend komme ich einer Empfehlung nach und schaue mir BRUTUS an, nachdem ich mir von Mobina Galore schon als Vorband von Against Me! im Dezember vergangenen Jahres ein Bild hatte machen konnen. BRUTUS hingegen waren bei mir ein komplett unbeschriebenes Blatt und schaffen es, mich mit ihrem sehr eigenen Sound aus den Socken zu hauen. Das belgische Trio vereint größtenteils schleppende und relativ langsame, Post-Rock-artige Musik mit dem hohen Gesang von Frontfrau und Schlagzeugerin Stefanie, sodass sich eine sehr wiedererkennbare Mischung ergibt. Dieses Bild der singenden Drummerin haben sich BRUTUS ein wenig zu Nutze und zum Aushängeschild gemacht, was man beispielsweise am Merch sehen kann. Doch warum auch nicht, schließlich hat sie es sowohl am Mikro als auch am Drumset ziemlich drauf und sticht heraus. Während dem letzten Song, kurz vor dem großen Finale, steht sie auf und erntet einen sehr verdienten tosenden Applaus. Der Heimvorteil mag hier ein bisschen mit hereingespielt haben. BRUTUS werde ich jedenfalls definitiv weiterverfolgen.

Dass CHOKING VICTIM mal auf dem Groezrock spielen würden, das hätten sich wohl die wenigsten mal träumen lassen. Schließlich haben Leftöver Crack, die deutlich größere Nachfolgeband, dies auch nie getan. Bei dem Lebensstil beziehungsweise der Vergangenheit von Stza Crack als Junkie ist es jedenfalls ein Wunder, dass die Band überhaupt noch auf der Bühne stehen kann. Die Platzierung auf der Main Stage ist etwas seltsam, was Stza auch selbst bemerkt, als er mehrfach Monster Energy als Gift bezeichnet und den Hauptsponsoren des Festivals kritisiert. So nimmt man als Zuschauer den ersten Europa-Auftritt von CHOKING VICTIM mit gemischten Gefühlen auf: Einerseits freut man sich, dass man Songs wie „500 Channels“ oder „Fucked Reality“ tatsächlich mal live erleben kann, andererseits passt das Setting wirklich gar nicht. Die Band wirkt kaum motiviert, dennoch nimmt Stza sich Zeit für einige Anekdoten über die Geschichte von CHOKING VICTIM und für ein paar Ansagen. Gekleidet ist er heute in Anzug und mit Krawatte, und inzwischen erscheint er eigentlich wie eine Mischung aus Bela B. (Aussehen) und Lemmy (Stimme und Attitüde), was für eingefleischte Fans sicherlich unterhaltsam ist, für Neugierige jedoch wahrscheinlich eher abstoßend. Bei kaum einer Band ist der Platz vor der Main Stage so spärlich gefüllt – die Fans jedoch feiern das Set komplett ab.

Mit BOSTON MANOR steht ein weiterer Durchstarter der letzten Jahre auf der Watch Out Stage. Im Fahrwasser von Bands wie The Story so Far haben sich die jungen Briten in den letzten zwei bis drei Jahren selbst Headliner-Status erspielt und so verwundert es kaum, dass sich vor der Watch Out Stage mehrere Hundert Leute versammelt haben und von diesen auch sehr viele mitsingen können. Mir persönlich ist schleierhaft, wie sich BOSTON MANOR nun aus der riesigen Welle an ähnlich-klingenden Bands abheben, aber das kann ich wahrscheinlich im Anschluss an das Groezrock am heimischen Laptop erfahren. Jedenfalls liefern die Engländer ein gutes Set ab, auch wenn der Gesang manchmal deutlich zu leise ausfällt.

IGNITE sorgen im Anschluss für eine Überraschung, denn das Zelt der Main Stage ist so gut gefüllt wie bei noch keiner anderen Band bisher. Nicht mal bei den Deftones kam es mir vor der Bühne so eng vor, und das obwohl IGNITE erst 2014 auf dem Groezrock waren und auch in den letzten Jahren durchaus nicht selten in Europa unterwegs. Allerdings hat die Band um Zoli Teglas nach endlos langer Zeit endlich ein neues Album („A War Against You“) herausgebracht, welches die Qualitäten der Hardcore-Band aus Orange County ein weiteres Mal unterstreicht. Neben den einprägsamen Gitarren-Melodien ist natürlich die betont hohe Stimme von Teglas das Aushängeschild der Band. Das mehr als zehn Jahre alte „Our Darkest Days“ wird fast komplett runtergespielt, und bei jedem Song ist das ganze Zelt mit tatkräftiger Unterstützung zur Stelle. Teglas findet außerdem deutliche Worte gegen Präsident Trump und überlässt einer jungen Sprecherin die Bühne, um ihr Projekt vorzustellen. Leider spricht sie relativ undeutlich, sodass ich nicht verstehe, um welches Projekt es letztendlich geht.

INCENDIARY sind dann die nächste Band auf der dritten Bühne und sind zum Ärger der Fans exklusiv für das Groezrock-Festival nach Europa geflogen. Die Band ist bekannt dafür, lediglich Weekender oder kurze Tourneen zu spielen, da sie berufstechnisch stark eingebunden ist. Ob der Groezrock-Auftritt jetzt die Reisekosten wert war, vermag ich nicht zu sagen, für mich jedoch steht eines der Highlights des Wochenendes auf der Bühne. Im Gepäck haben die Amerikaner außerdem ihr ganz neues Album „Thousand Mile Stare“, was in Kürze auf Closed Casket Activities erscheinen wird. Daher spielen INCENDIARY auch einige ganz neue Songs, die bisher niemand wirklich kennt. Doch auch bei den älteren Songs ist der Mitsing-Faktor überschaubar und die Interaktion zwischen Band und Publikum beschränkt sich größtenteils auf den Moshpit. Ausnahmen und Höhepunkte des Sets sind sicherlich „Force of Neglect“ sowie die Split-Songs „God’s Country“, „Survival“ und „Victory in Defeat“. Sehr sympathisch sind außerdem die Ansagen von Frontmann Brendan, der einen zunehmenden Trend zur Entpolitisierung von Hardcore-Bands vernommen hat und dieser Entwicklung mit INCENDIARY entschlossen entgegensteht. Die Band beteuert außerdem, dass sie Europa viel zu lange vernachlässigt hat und dass sie diesen Fehler nicht nochmal machen wird. Daher kann man INCENDIARY wahrscheinlich schon bald wieder in heimischen Gefilden zu sehen bekommen.

Danach gönne ich mir eine kurze Pause und einen Gang durch den Festival Market, um ein paar billige CDs abzugreifen. Die seltenen Gäste in COCK SPARRER will ich mir aber natürlich nicht vollends entgehen lassen. Das Oi-Urgestein ist natürlich sichtlich in die Jahre gekommen, genau wie viele Fans vor der Bühne. Umso schöner ist es mit anzusehen, dass der Auftritt sehr gut ankommt und die Herren noch sichtlich ihren Spaß an der Sache finden. Bei den letzten beiden Songs „Where Are They Now“ und „England Belongs To Me“ singt gefühlt das ganze Zelt der Mainstage mit.

Daran können PENNYWISE gut anknüpfen, schließlich handelt es sich um eine der legendärsten Punk-Bands aller Zeiten, und ein paar Songs der Band kann wohl so gut wie jeder mitbrüllen. Da ich PENNYWISE bisher nur mit Ersatzsänger Zoli Teglas gesehen habe und davon enttäuscht war, freue ich mich natürlich außerordentlich. Allerdings wird heute besonderes Augenmerk auf das Album „About Time“ gelegt, welches 1995 veröffentlicht und zu einem sehr großen Teil vom verstorbenen Bassisten Jason Thirsk geschrieben wurde. Die Platte wird komplett runtergespielt, mir gefällt sie allerdings bis auf wenige Aufnahmen („Perfect People“) leider nicht so sehr. Aber in der Stunde Spielzeit können PENNYWISE natürlich auch noch ein paar andere Klassiker unterbringen, allen voran „Fuck Society“ und selbstverständlich auch die „Bro Hymn“, quasi gleichzeitig auch die Nationalhymne der besoffenen Festivalcamper (neben „Gotta Go“). Außerdem geben Jim Lindberg, Fletcher und Co. ein Bad Religion Cover („Do What You Want“) zum Besten. Guter Auftritt, aber vom Hocker gehauen bin ich definitiv nicht.

Wenn sich eine Band in den letzten Jahren den Arsch aufgerissen und sich bis ins Unermessliche hochgearbeitet hat, dann sind es PARKWAY DRIVE. Anfänglich mussten die Australier noch Geld von all ihren Eltern leihen, um zum ersten Mal nach Europa zu kommen und dort spontan auf bereits gebuchte Shows aufzuspringen. Inzwischen machen sie jeden Abend die Tausenderhallen voll und haben sich vom Spätnachmittags-Geheimtipp zum Headliner des Groezrock gemausert. Und in 12 Jahren Konzertbesuchen habe ich bisher keine Band gesehen, die eine dermaßen dicke Produktion aufgefahren hat: Unglaublich detailverliebte Lightshow, höhenverstellbare Podeste für jeden Musiker, Feuergeschosse, Böller und last but not least ein sich drehendes Schlagzeug. Hier werden also keine Kosten und Mühen gescheut, um die Leute zu unterhalten. Ob das notwendig ist, um gerade die jüngeren Konzertbesucher bei Laune zu halten, steht auf einem anderen Blatt. Ich für meinen Teil bin auf der einen Seite geflasht über die Entwicklung der Band, vergleiche jedoch im Hinterkopf permanent mit den Jahren 2008 und 2010, an denen sehr schöne Erinnerungen hängen. PARKWAY DRIVE auf der zweiten Bühne am späten Mittag, das Zelt bis zum Anschlag gefüllt, die Band hatte gerade mit „Horizons“ und davor „Killing With a Smile“ ihre besten Platten herausgebracht und mit „Deep Blue“ einen weiteren Knaller auf dem Weg. Zum damaligen Zeitpunkt war es meine Lieblingsband, man konnte damals noch die Stützpfeiler hochklettern, sodass ich und meine Freunde jeweils 50 Mal stagedivten, sich herausziehen ließen und das Spiel wieder von vorne losging. Allerdings lässt man sich mit 18 natürlich auch anders mitreissen und begeistern als mit 27. Mir ist es jedenfalls zu viel, dass man sich in 2-3 Liedern regelrecht erschreckt, weil zusätzlich zur ohnehin viel zu lauten Musik noch irgendwelche Feuerwerkskörper losgehen und die Flammenwerfer das Zelt bis zu den Wellenbrechern hin aufheizen. Zugegeben, das Gimmick mit dem drehenden Schlagzeug ist echt ganz cool und mit einem Schlagzeugsolo auch gut in Szene gesetzt. Ist es aber nicht irgendwie ironisch, dass es in den Texten der Band häufig um den Klimawandel, Ressourcenknappheit, „die letzte Chance“ der Menschheit geht, aber gleichzeitig so viel Kohle in die Produktion der Liveshow gesteckt und regelrecht in die Luft geschossen wird? Naja, Gemecker auf hohem Niveau. Leider machen PARKWAY DRIVE wirklich einen großen Bogen um ihr altes Material – nicht mal „Romance Is Dead“ wird gespielt, was ich wirklich kaum glauben kann. Da trifft es sich gut, dass auch das neueste Album „Ire“ noch eine sehr gute Platte geworden ist – bis auf den Bon Jovi Coversong („Vice Grip“). Die neuen Songs kommen sehr gut beim Publikum an, doch am allerbesten anscheinend das etwas ältere „Idols & Anchors“. Das Anfangsriff dieses Lied wird in den Pausen mehrmals von den Fans gegröhlt, sodass PARKWAY DRIVE es extra noch einmal zum Besten geben. Keine Ahnung, ob das zu einem Running Gag bei PARKWAY DRIVE Konzerten geworden ist, aber damals war das jedenfalls nicht so. Ein weiteres Schmankerl ist das Rage Against the Machine Cover („Bulls on Parade“). Unter dem Strich gewinnen PARKWAY DRIVE locker den Wettbewerb um den Platz des besseren Headliners und sind eine würdige letzte Band auf dem Groezrock 2017. Da bleibt nur zu hoffen, dass es im nächsten Jahr mit den Besucherzahlen wieder nach oben geht.