ALLSCHOOLS - Jahresrückblick 2012

13.01.2013
 

 

Nur falls in ferner Zukunft irgendwer mal fragen sollte. 2012? Das war das Jahr der soliden alten Säcke. Jahr des SOUNDGARDEN-Comebacks. Jahr der ersten formvollendet guten DEFTONES-Platte seit Äonen. Jahr der grauen Eminenzen: DINOSAUR JR. veröffentlichen ihr zehntes Album, das so klingt wie viele DINOSAUR JR. Alben davor, nur die Soli werden immer länger. Lee Ranaldo (SONIC YOUTH) veröffentlicht ein Soloalbum, das zu Teilen nach dem alten Mann klingt, der er inzwischen ist, was jedoch nicht zwingend stört. Michael Gira und seine SWANS arbeiten weiter fieberhaft am Soundtrack für die Apokalypse, die, falls Sie das hier lesen können, nicht termingerecht eingetreten ist. Keine alte-Säcke-Band aber von den getätigten (und mehr denn je zerpflückten) Aussagen und ihrer Ästhetik her betrachtet doch wesentlich älter wirkend als sie tatsächlich sind: THE GASLIGHT ANTHEM. Auf der einen Seite die beliebteste Zielscheibe für vermeintlich aufgeklärten Spott wirkt Brian Fallon in Interviews bisweilen überreizt, angespannt und sauertöpfisch. Der andere Teil der Fanbase hält einer Band die Stange, die mittlerweile ihrem langfristigen Ziel immer näher zu kommen scheint. Ab in die Arenen dieser Welt. Das kann man ihnen nicht vorhalten. Das wollten sie immer schon. Bleibt die Frage nach einer nicht ketzerisch sich gerierenden Diskussionskultur auf beiden Seiten. Schön wäre das wohl.

2012 war auch das Jahr des Ikonensterbens: Adam Yauch aka MCA von den eigentlich unzerstörbaren BEASTIE BOYS erliegt im Alter von 47 Jahren am 4. Mai seinem Krebsleiden. Mit ihm stirbt ein fantastischer, misionärer stets durch Humor und Tatendrang befeuerter Typ des urbanen, eklektischen Künstlers, der in dieser Form heutzutage nicht mehr hergestellt wird. Der Mensch Adam Yauch hinterlässt eine Frau und eine Tochter. Die Kunstfigur MCA Fans sowohl aus dem HipHop, Punk- und Metallager. Das Kondolenzbuch Internet spuckt noch Tage nach seinem Tod Beileidsbekundungen und an sein Werk gekoppelte Jugenderinnerungen aus. Völlig überraschend kommt der Tod von Tony Sly (NO USE FOR A NAME) am 31. Juli. Jeder in den Achtzigern Geborene, noch so dilettantisch Skateboard fahrende, Dosenbier trinkende, sich gerne an Melodien und Geschwindigkeit ergötzende Mittelstandspunk mit der Sonne im Herzen hat mindestens eine NUFAN-Platte im Schrank stehen. Sly bleibt in Erinnerung als der überdurchschnittlich gute Songwriter, der er war. Als bodenständiger Familienvater, der der Sache treu blieb, ohne überkommene Klischees zu inhalieren. Bezeichnenderweise spielt Tony Sly seine letzte Show gemeinsam mit Buddy Joey Cape. Leben auf der Überholspur? Mitch Lucker (SUICIDE SILENCE) verstirbt im Alter von gerade einmal 28 Jahren an den Folgen eines Motorradunfalls. Er hinterlässt eine Frau und eine Tochter. Vor allem jüngere Extremmusikfans auf der ganzen Welt trauern um den charismatischen Frontmann.

Was war da los an der Hardcore- respektive Punkfront? Der Dreck ist wieder da. Und die unterschwelligen Emotionen. BIRDS IN ROW veröffentlichen eine wahre Tour-de-force unaussprechlicher Gefühle, die sich einem nicht sofort dafür aber nachhaltig erschließt. Ähnliches tun LOMA PRIETA, die mit ihrem Borderlinescreamo ebenjenen auf eine neue, äußerst vitale und verstörende Ästhetikstufe hieven. CONVERGE bleiben die Alleskönner und eine der einzigen beständigen an Hardcore, Punk und Metal gereiften Ausnahmeerscheinungen, die bereits im Vorfeld einer neuen Veröffentlichung Internetforen zum implodieren bringen. CONVERGE sind weiterhin unangreifbar und strahlen exakt das aus. Europa bleibt neben bereits erwähnten BIRDS IN ROW interessanter, sich stetig entwickelnder Hardcorestandpunkt. Auf einen Nenner bringen lassen sich die Bands schon lange nicht mehr: RISE AND FALL bleiben ihren okkulten, unbeugsamen Abrissbirnen treu. Härter und blickdichter klangen die Belgier selten. Die GOODTIME BOYS orientieren sich an US-amerikanischen Emotionsdienstleistern wie TOUCHE AMORE und LA DISPUTE. Auch in hiesigen Gefilden brodelt es. Typen, die mal in anderen bekannten Bands gespielt haben, beweisen, dass jahrelange Erfahrung und eine große, bunt durchmischte Plattensammlung in kürzester Zeit zu durchschlagenden musikalischen Ergebnissen führen kann. Wir richten unseren Blick nach Münster. This Charming Man-Records empfiehlt sich mit Bands wie NOTHING und vor allem THE TIDAL SLEEP und ORBIT THE EARTH als Auffangbecken sogenannter Ex-Band-Musiker, die sich ganz bestimmt nicht vor der Zukunft zu verstecken braucht. Mit dem MESSER-Debüt gibt es gar eine schlaue, mit ihrer spröde-schneidenden Ästhetik in die deutschen Feuilletons funkende Punkplatte. Zwar sind die Wellen nicht ganz so ausladend wie im Falle des dritten CAPTAIN PLANET Albums, aber immerhin. Letztere verdichten ihren Alltagsstresspunk, der sein Überlebenspathos immer exakt so weit zu dämpfen imstande ist, dass es nicht klebrig wird, zu ihrer bisher stärksten Platte. 'Pyro', 'Nest' und vor allem 'Spielplatz' sind urbane Hymnen der Rastlosigkeit, des niemals-still-stehen-Könnens, die diesen Dauerexzess immer wieder mit der Wahrheit ausbremsen: eigentlich wird alles gut. Oder zumindest nicht schlimmer. VERSE waren dann auch auf einmal wieder da. Einige fanden das gut, viele haben es gar nicht erst mitbekommen. REFUSED konnten diese Koordinaten im Rahmen ihres Reunion-Exzesses deutlich verschieben: jeder wusste es, jeder hatte eine Meinung, die meisten, die sie dann tatsächlich live gesehen haben, waren zumindest nicht grundenttäuscht. Dennoch bleiben Auftritt und Abgang irgendwie fragwürdig. Wer im Dreck spielt, wird dreckig. Alte Mc Nulty-Weisheit aus der vierten The Wire-Staffel. AT THE DRIVE-IN dämpften ihren Reunion-Wahnsinn zumindest auf ein erträgliches Mindestmaß. Ob die Menschen auf deren Shows sich bewegen durften? Bewegung erwünscht ist mit Sicherheit auf den Shows von STRIFE, die mit "Witness A Rebirth" tatsächlich ein Album aufnehmen, das den Geist ihrer alten Victory-Alben mit der Dringlichkeit der halbprolligen alten TERROR verbindet. Deren Drummer Nick Jett hat die Comebackplatte produziert, Igor Cavalera hat das Schlagzeug eingespielt. Wir merken uns: Freunde bleiben selbst nach Edgebreak und spontanem Bartwuchs. Ordentlich Dreck unter den Nägeln hatten im diesem Jahr vor allem Southern
Lord Records. Mit Alben von BURNING LOVE, BLACK BREATH, WOLFBRIGADE, ALL PIGS MUST DIE, THE SECRET und einem neuen Lebenszeichen der ehemaligen Furorgarde von FROM ASHES RISE gab es hier streng getakteten Subgenrewahnsinn: Punk, D-Beat, dreckigster Rock, Black Metal, Hardcore. Alles dabei. Und wie geht’s weiter? Die großen Grobmotoriker des Hardcore, TERROR und HATEBREED beehren uns im kommenden Jahr mit neuen Alben. Auch DOWN TO NOTHING werden im nächsten Jahr wieder aktiv. Freuen dürfen wir uns überdies auf neue Alben von TURBOSTAAT, COMADRE, BAPTISTS, TRAP THEM sowie den Comic- und Apokalypse Nerds SHAI HULUD. Insgesamt war 2012 wohl nicht unbedingt das Jahr der überlebensgroßen Hardcore- und Punkplatten und der Genreverschiebungen. Dennoch gab es grundsolide bis großartige Veröffentlichungen. Immer einhergehend mit dem Gefühl, irgendetwas im Untergrund Brodelndes verpasst zu haben. Eigentlich egal, das wird im nächsten Jahr einfach nachgeholt.

Euch allen jedenfalls einen guten Start ins kommende Jahr. Besten Dank für die Unterstützung, für inflationäre Kot-Kommentare, für den Treppenwitz des Plattenrezensionkommentars, für Tipps und konstruktive Kritik. Wenn die ollen Mayas daneben lagen, machen wir einfach weiter. Es ist 10:53 und wir leben noch.

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