Plattenkritik

Noisia - Split The Atom

Redaktions-Rating

Info

Release Date: 30.04.2010
Datum Review: 25.05.2010

Noisia - Split The Atom

 

 

Dumpf schallt es aus den einschlägigen Clubs rund um den Globus: Drum & Bass ist tot. Und das nicht erst seit gestern. Das heftig schnelle und verflucht unbarmherzig stampfende Geballer, das sich einst anschickte, die Tanzmusik zu revolutionieren und dabei teilweise sogar Erfolge vorweisen konnte hat sich abgenutzt. Zwischen den beiden Polen soulful und unbarmherzig nach vorne gehend lag eine viel zu große Freifläche einfach ungenutzt da und niemand wollte sich kümmern. Mögliche Synergien mit anderen Genres wurden selten ausgeschöpft und beschränkten sich, wenn es denn schon einmal so weit kam auf das naheliegendste, zugleich aber auch das Überflüssigste und kamen im Fall der australischen PENDULUM auch zu spät, um Inspiration auf der einen und Kredibilität innerhalb der Szene auf der anderen Seite zu vermitteln.

In Zeiten wie diesen, in denen 140 statt 180 Beats per Minute der name of the game sind und die Kreativität in der einstmals pfeilschnellen Musik scheinbar nur noch in der Entdeckung der Langsamkeit ihren Ausdruck finden kann schicken also die Holländer von NOISIA ihre Version des lahmenden Gaules Drum & Bass auf Albumlänge ins Rennen. Der Zeitpunkt mag verwundern, doch nach dem Hören von „Split The Atom“ könnte er einem richtiger kaum erscheinen. Zum einen, weil das Trio auf seinem Debüt das zwingendste Album des Genres seit mindestens der letzten BLACK SUN EMPIRE abliefert. Viel wichtiger jedoch: weil es tatsächlich Impulse liefern könnte.

Ganz ablassen können auch NOISIA nicht vom aktuellen Dubstep-Trend und überhaupt ist „Split The Atom“ stilistisch äußerst weit aufgestellt. Trotzdem ist ein Großteil des Albums klar der Trommel- und Bassmusik zuzuordnen. Dabei allerdings so smart, nicht einfach die Kopie der Kopie der Kopie zu sein, sondern vielmehr stets detailverliebt und zuweilen auch regelrecht verschroben. Nie jedoch verliert man sie aus den Augen, die Tanzfläche, um die es hier ja am Ende doch zuvordererst gehen soll. Da wummern die Bässe mit einer Deepness, wie man sie schon viel zu lange nicht mehr vernommen hat, pressen die synthetischen Drums auf allen Kanälen mit letzten Kräften einen Bastard aus sich heraus, der sowohl wie ein Best-Of als auch wie ein Fingerzeig in Richtung der Zukunft dieses vor sich hindarbenden Genres klingt. Die Referenzen, sie sind stets offensichtlich, zuweilen wird durchaus recht deutlich beispielsweise RONIS SIZE zitiert („Shellshock“). Doch im Gesamtpaket überrascht „Split The Atom“ immer wieder, wenn plötzlich Platz gemacht wird für tiefbassige House-D'n'B-Attacken wie dem unglaublich drückenden Titeltrack oder New Rave-Gebratze Einzug hält wie in „Red Heat“. Die recht eigentümlich vor sich hinholpernden Dubstep-Entwürfe Marke „Leakage“ werden hier eher skizziert, als wirklich zu Ende gedacht, erfüllen ihren Sinn als Zwischenspiele aber ganz hervorragend und entwickeln auch in gerade einmal eineinhalb Minuten eine beachtliche Sogwirkung.

Dass sich NOISIA mit ihrem Debütalbum nicht verhoben haben ist vor allem ihrer Cleverness zu verdanken. Nie geben sie sich nur Oberflächenreizen hin, unterhalb der Oberfläche passiert hier das meiste und vor allem das interessanteste. Tanzbare, durchaus sehr brachiale Musik mit Köpfchen also. Damit ragt man nicht nur aus dem nichtssagenden Gros der einstigen Drum & Bass-Größen heraus, sondern dürfte auch so manchen Hörer auf seiner Seite haben, der ansonsten der elektronischen Musik eher weniger zugewandt ist. Wenn dann gegen Ende mit „Stigma“ noch der definitive Schulterschluss mit der Rockmusik und ihren Songstrukturen stattfindet, atmet das nicht den prolligen Geist der oben schon angesprochenen PENDULUM, sondern wirkt wie ein Fingerzeig in eine zwar ungewisse, aber nicht mehr gar so trostlos erscheinende Zukunft. Möglicherweise ist „Split The Atom“ also ein Requiem auf eine einstmals überlebensgroß erscheinende Musikrichtung, möglicherweise aber auch der Beweis, dass eben doch noch nicht alles gesagt ist und man gespannt sein kann, ob der Dinge, die da noch kommen mögen. Quo Vadis, Drum & Bass.


Tracklist:

1. „Machine Gun“
2. „My World“ ft. Giovanca
3. „Shitbox“
4. „Split the Atom“
5. „Thursday“
6. „Leakage“
7. „Hand Gestures“ ft. Joe Seven
8. „Headknot“
9. „Red Heat“
10. „Shellshock“ ft. Foreign Beggars
11. „Whiskers“
12. „Alpha Centauri“
13. „Soul Purge“ ft. Foreign Beggars
14. „Diplodocus“
15. „Paper Doll“
16. „Dystopia“
17. „Sunhammer“ ft. Amon Tobin
18. „Stigma“
19. „Square Feet“

Autor

Bild Autor

Manuel F.

Autoren Bio

Eher so der Kumpeltyp.