Plattenkritik

The Hirsch Effekt - Holon: Anamnesis

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Release Date: 31.08.2012
Datum Review: 30.09.2012

The Hirsch Effekt - Holon: Anamnesis

 

 

"Nicht mal du bist es wert, mir zu wünschen, ich wäre nicht ich."

Zugegeben, ein Zitat ist jetzt nicht gerade der inspirierteste Beginn für eine Rezension. Erst recht nicht nicht zu diesem Mammutalbum. Warum ich mich dennoch dafür entschieden habe? Weil dieser Satz stellvertretend für ein Album voller solcher Sätze steht. Für ein Album, welches man, auch völlig ohne Gefrickel, wirklich als Herausforderung bezeichnen kann. Für ein Album, dass den Begriff "Artcore" auch wirklich verdient. Für ein Album, welches eigentlich nur scheitern konnte, es aber dennoch nicht tut. Für ein Meisterwerk? Für ein Meisterwerk.

"Holon: Anamnesis" fordert Durchhaltevermögen. Mehr noch als das Debüt. Innerhalb von 66 Minuten sticht der Zweitling des Trios mehrfach ins Herz, ins Gehirn, nur um abschließend im Bauch zu landen. Es wühlt nervös in den Organen herum, um ein emotionales wie physisches Chaos zu hinterlassen. Doch was heißt hier eigentlich Trio? Mehr als 30 Gastmusiker haben sich auf "Holon: Anamnesis" verewigt. Das Album als ambitioniert zu beschreiben, wäre die Untertreibung des Jahres, nein, des Jahrzents. "Holon: Anamnesis" will alles. Konzeptalbum, Mammutwerk, Gedichtzitate, Streicher, Bläser, Alternative, Prog und Hardcore. Das Besondere: es meistert alles mit Bravour.

Häufig, oder eigentlich immer, wirken solche Alben bemüht, angestrengt und unspontan. Zu häufig verliert sich die Seele inmitten des Gefühlsoverkills. Nils Wittrock, Ilja Lappin und Philipp Wende gelingt das Kunststück nachwievor nach sich selbst zu klingen. "Holon: Anamesis" klingt unverfälscht, echt und authentisch. Die Platte beruhigt sich immer genau dann, wenn sie Gefahr läuft in den Größenwahn abzudriften. Gut so, denn schließlich thematisiert das Album die wahren Gefühle, die die jeder Mensch kennt, verachtet und liebt. Der bedrohliche Unterton der ersten Minuten von "Ligaphib" erinnert frappierend an den einsamen Heimweg vom, ins Mondlicht getauchten, Hauptbahnhof, wenn man zu viel Zeit zum nachdenken hat. "Mara" wirkt in seinen elf Minuten so aufwühlend und aufpeitschend, wie man es schon lange nicht mehr gehört hat.

Der Star auf "Holon: Anamnesis" ist aber die Sprache. Und wieder kommt die Frage warum nicht viel mehr Musiker es mit unserer Heimatsprache versuchen. So kantig das Deutsche hin und wieder auch ist, es kommt dem Hörer viel näher als das allgegenwärtige, konforme Englisch. Nicht jedes Wort auf "Holon: Anamnesis" stammt von THE HIRSCH EFFEKT, es wurden auch Fragmente aus den Gedichten "Unbehelligt" und "Wir überleben" von Herbert Hindringer herangezogen. Immer stimmig ins Gesamtkonzept eingebettet. Natürlich könnte ich jetzt zahlreiche Zitate einflechten, nur ist die Wirkung mit der zugehörigen Musik noch ungleich packender, aufrüttelnder und emotionaler.

Ebenso erfreulich: THE HIRSCH EFFEKT bleiben nachwievor szenenlos. Der Großteil auf "Holon: Anamnesis" lässt wohl viele Progressive Metal Bands alt aussehen, darin sind aber auch unzählige extreme, chaotische Ausbrüche eingeflochten. Umrandet wird das Ganze von atmosphärischen, hypnotischen, beinahe post-rockigen Passagen. Suchen wir also nicht weiter nach Genrebezeichnungen für dieses Ausnahmealbum, belassen wir es doch einfach bei Musik. Musik, die berührt. Musik, die fordert. Musik, die gibt. Ein erstaunliches, einzigartiges Album, welches sich von jeglichen Vergleichen löst.

Tracklist:

1. Anamnesis
2. Limerent
3. Absenz
4. Agitation
5. Ligaphob
6. Mara
7. Irrath
8. Ira
9. Datorie

Autor

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Enrico

Autoren Bio

Je ne sais pas. Ein Hoch auf meine Standardantwort im Französischunterricht in der Schule.