Plattenkritik

THE DALE COOPER QUARTET & THE DICTAPHONES - Ramsès Redoute

Redaktions-Rating

Info

Release Date: 30.10.2020
Datum Review: 11.11.2020
Format: Digital

Tracklist

 

1. Mia Outarde Bondon
2. Pemp Ajour Imposte
3. Lui Hall
4. Une Cellier
5. Son Mansarde Roselin
6. Mange Tanche
7. Il Bamboche Empereurs
8. Lampyre Bonne Chere
9. Eux Exquis Acrostole
10. Ocho Accenteur
11. Brosme En Dos-Vert
12. Celadon Bafre

THE DALE COOPER QUARTET & THE DICTAPHONES - Ramsès Redoute

 

 

Diese Plattenkritik wurde von unserem Autor Matthias Hartmann verfasst. 

Vielleicht wäre es nicht schlecht, an dieser Stelle eine kleine Geschichte und Einordnung des so genannten „Doom Jazz“ oder „Dark Jazz“ zu geben. Allzu missverständlich sind jene Genrebezeichnungen. Doch wer das hier liest (ist sicher nicht doof, sondern) wird vermutlich schon eine Ahnung haben, worauf er/sie sich mit dem Düsterjazz einlässt. Wollte man dennoch Hinweise auf die Entwicklungsgeschichte der Richtung geben, man käme nicht umhin, in Mülheim an der Ruhr zu beginnen. Richtig gelesen. Die „Helge-Schneider-Stadt“. Sie ist als Brutstätte des mehr und mehr florierenden Genres zu nennen, denn dort gründeten sich in den späten 80er-Jahren BOHREN & DER CLUB OF GORE, sozusagen die Altmeister des Stils. Interessant genug, sie starteten als Metalband, und bis heute – nun ja, bis Corona zumindest – sitzen auf deren Konzerten Metaller:innen neben Jazzern:innen. Eine wunderbare Kulturverständigung! So könnte man das Genre betrachten. Das ist keinesfalls nur für Jazznerds. Vielleicht sogar weniger für diese, als für Fans von Doom und Trip-Hop.

Aber der Dark Jazz ist mehr als „reine Musik“. Abgedunkelte, vernebelte Bühnen, Stroboskoplicht und vor allem Reminiszenzen an Film, insbesondere an Film Noir, Mystery und B-Movie-Horror, prägten dessen Ästhetik seit jeher. So auch bei THE DALE COOPER QUARTET & THE DICTAPHONES. Deren Name ist eine Leihgabe des Protagonisten der 90er-Serie „Twin Peaks“ von David Lynch und Mark Frost. Dale Cooper, das ist dort ein sympathischer und kaffeeophiler FBI-Agent, der den Mord an Dorfschönheit Laura Palmer ermittelt. Doch nicht nur wegen des längsten Cliffhangers der Seriengeschichte - mehr als 25 Jahre mussten Fans auf Staffel 3 der surrealistischen Mystery-Soap-Opera warten -, sondern auch wegen des Soundtracks von ANGELO BADALAMENTI ging „Twin Peaks“ in die Geschichte ein. Die Musik zur Serie nennt das DALE COOPER QUARTET als wichtigen Einfluss, aber auch die kürzlich verstorbene Filmmusiklegende ENNIO MORRICONE (rest in peace), und eben BOHREN & DER CLUB OF GORE. Man sieht, ums cineastische Element kommt man im Doom Jazz nicht herum.

Nun zur neuen Platte! „Ramsès Redoute“ erschien Mitte Oktober 2020 bei „Music for the Masses“. Da fällt schon eine Veränderung auf, verlegte doch bislang „Denovali Records“ das Kollektiv aus der Bretagne, jene Klangschmiede also, bei der nicht nur andere einschlägige Dark-Jazz-Acts (wie z.B. das KILIMANJARO DARKJAZZ ENSEMBLE) beheimatet sind, sondern etwa auch die Würzburger Post-Metal-Gruppe OMEGA MASSIF es bis zu ihrer Auflösung 2014 waren. Nicht neu hingegen ist der Produzent der Platte, Hughes Germain (Recording, Mastering), der schon vorher mit der Gruppe zusammenarbeitete und auch auf „Ramsès Redoute“ zusammen mit der Band, die wie eh das Mixing übernahm, für den guten Ton sorgte. (An dieser Stelle möchte ich alle Fans von Field Recordings und Klangcollagen auch auf HUGHES GERMAINs neulich erschienene EP „Faso Nord“ aufmerksam machen.)

„Ramsès Redoute“ ist jedenfalls eine ganz besonderes Album. Nicht zuletzt für die Band selbst. Komplett live aufgenommen wurde es und zwar nicht irgendwo, sondern im Klub „Le Vauban“ in Brest, der Herkunftsstadt der Mitglieder. Da begannen sie 2002 als Improact für einen Jazzabend. Wie es sich anfühlen mag, dort wieder zu spielen, nachdem man sich in der internationalen Szene zu kleinen Größen gemausert hat, kann man nurmutmaßen. Hört man die Musik auf „Ramsès Redoute“ scheint man eine gewisse Gelassenheit zu spüren, die der Band gut tut – vielleicht liegt's am Heimspiel-Faktor, vielleicht daran, dass sie Material der letzten Alben und EPs darbieten und darin an Sicherheit gewonnen haben. Ja, griffiger scheint mir das DALE COOPER QUARTET geworden zu sein. Schon ihre alten Alben waren hörenswert, doch nicht ohne Moment der Zerfaserung. Das bleibt bei der diesjährigen Livescheibe aus. Nur ein Song überschreitet die Zehn-Minuten-Marke. Soweit Doom Jazz überhaupt „auf den Punkt“ sein will, ist er auf den Punkt gespielt. So wird das Album nicht nur für Fans, die alte „Schmankerl“ neu interpretiert hören wollen, sondern gerade auch für Einsteiger in die Musik des DALE COOPER QUARTET zur Empfehlung. Eine dunkle Meditation und Introspektion, ohne langweilig zu werden. Abwechslungsreich, innerhalb eines Genres, in dem Monotonie als ein zentraler Punkt künstlerischer Gestaltung gelten kann. Das muss man erst mal schaffen! Der Dark Jazz hat sein Ziel erfüllt, wenn im Kopf der Hörer:innen schwarz-weiße Szenen von Crime, Mystery und Wald bei Nacht ablaufen. In diesem Sinne, liebes DALE COOPER QUARTET: mission accomplished.

Kurzum: Hypnotische Rhythmen, mal triphoppig, mal jazzballadig. Ver(alp)träumte Gesänge, weibliche wie männliche, die es schaffen im gleichen Moment an den intimen Croon-Style von FRANK SINATRA und Co., aber auch an Trip-Hopper wie JAY-JAY JOHANSON oder PORTISHEAD zu erinnern. Doomige Gitarren gemischt mit elektronischen Ambient- und Drone-Flächen. Und natürlich das obligatorische Saxofon mit seinen klagenden bis transzendentalen Linien, die wirken, als hätte man einen Eimer schwarzen, schwärzesten Mattlack über „Lounge Jazz“ geschüttet. Eine Musik für nächtlich Streunende, für die Letzten in der Spelunke, für Schlaflose und solche die es werden wollen.

[Weiterführende Hörtipps: BOHREN & DER CLUB OF GORE „Gore Motel“ (1994), BOHREN & DER CLUB OF GORE „Sunset Mission“ (2000), ANGELO BADALAMENTI „Soundtrack from Twin Peaks“ (1990), für Dissonanzverliebte DAVID LYNCH & MAREK ŻEBROWKSI „Polish Night Music“ (2007), für historisch Interessierte MILES DAVIS „Ascenseur Pour L’Échafaud“ (1958) (Soundtrack zum gleichnamigen Film von Nouvelle-Vague-Regiesseur Louis Malle), für COCOROSIE-Fans und Bluesaffine KAMMERFLIMMER KOLLEKTIEF „Teufelskamin“ (2011).]

Autor

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Peter

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30 | Hamburg https://bit.ly/2mIqTwg