08.08.2019: KETTCAR + MUFF POTTER - Potsdam - Waschhaus Open Air

12.08.2019
 

 

KETTCAR, das Label Grand Hotel Van Cleef und das Waschhaus Potsdam laden an einem lauen Donnerstagabend zum Open-Air-Konzert. Es ist meine erste Show auf dem Veranstaltungsgelände an der Schiffbauergasse, sodass meine Begleitung und ich uns daran halten, den nach Indie- und KETTCAR-Fans aussehenden Menschen in der Straßenbahn zu folgen, um die Konzertlocation noch rechtzeitig zu erreichen. Punkt 20 Uhr stehen wir am Einlass und Punkt 20 Uhr stehen MUFF POTTER – die Special Guest des Abends - startbereit auf der Bühne und begrüßen die noch recht überschaubare Menschenansammlung. Ob die Band den KETTCAR-Fans ein Begriff ist? Jedenfalls ist meine Vorfreude auf das Wiedersehen der Westfälischen Punkrockband groß. Ich habe MUFF POTTER das letzte Mal auf dem Abschiedskonzert 2009 in Berlin gesehen - ein schöner und doch melancholischer Abend - und habe sie Anfang 2019 auf ihrer Reunionshow verpasst. Dass heute kein Tränenbad ausbrechen wird, ist mir allerdings auch klar. Mittig vor der Bühne sammeln sich einige textsichere Zuschauer, leicht links davon und mit sicherem Abstand Platz zu den tanzenden Die-Hard-Fans kommt ein druckvoller und differenzierter Sound an.

MUFF POTTER starten ihr Set mit der Uptempo-Nummer „Born blöd“ vom Album „Von Wegen“, die gleich deutlich macht, dass erstmal keine Kuschelmusik auf dem Programm steht. Gefolgt wird dieser Song von „Bis zum Mond“ – gesungen von Gitarrist Dennis Scheider. Während eines Gitarrenwechsels nutzt Sänger und Gitarrist Nagel die Chance um die Band mit den Worten „diese Band hört auf den Namen MUFF POTTER“ vorzustellen. Was erst einmal nichts Besonderes vermuten lässt, ist jedoch eine Anspielung auf die Hauptband des Abends, KETTCAR, die sich üblicherweise mit ebendiesen Worten vorstellen. Vielleicht sorgte dieses Zitat also bei dem oder der einen oder anderen KETTCAR-Anhänger_in für ein Schmunzeln.

Weiter geht es mit der kraftvoll-düsteren Punknummer „Wunschkonzert“ vom Album „Steady Fremdkörper“. Die Band ist gut eingespielt, Bassist Schredder und Drummer Brahmi bilden eine solide und treibende Rhythmsection und Nagels Stimme ist bis auf die eine oder andere hohe Stelle im Melodieverlauf kräftig und deutlich. Gut gelaunt scheint er auch zu sein, als er von seinen Erinnerungen an lang vergangene Shows in Potsdam erzählt, etwa im Archiv oder im Konzertraum des Waschhaus Potsdam. Den Song „23 Gleise später“ leitet er mit einem Appell an die Erhaltung von alternativen Kulturzentren wie dem Archiv Potsdam ein. Es folgen die Songs „Fotoautomat“, „Sie tippen irre auf deinen Möbeln“ – mit einem starken Basslauf - und „Von wegen (aus Gründen)“, eines meiner Highlights des Abends. Der Sprechgesang dieser auf Kitsch und Blumen verzichtenden Ode an die Liebe sowie ein kämpferisch-lebensbejahender Schlussteil gehen mir dann doch recht tief unter die Haut.

Mit „Das seh ich erst wenn ich's glaube“ positionieren sich MUFF POTTER an diesem Abend für Meinungsfreiheit, gesellschaftliche Vielfalt und gegen engstirnige Politik. Im einstündigen Set sind zudem die Songs „Wenn dann das hier“, „Auf der Bordsteinkante (nachts um halb eins)“, „Wir sitzen so vorm Molotow“, „Die Guten“ und „Alles nur geklaut“, was meines Erachtens eine sehr gelungene Songauswahl ist, mit der sowohl Fans der Band als auch KETTCAR-Anhänger_innen etwas anfangen konnten. Es ist gut, dass diese Band wieder da ist.

Das Areal im Hof des Waschhaus Potsdam ist nun angenehm gefüllt, bei weitem nicht ausverkauft, aber die KETTCAR-Familie kommt zusammen. Nach einer halbstündigen Umbaupause wird es still und KETTCAR betreten unter herzlichem Applaus die Bühne, auf der sie auch direkt den Song „Rettung“ anstimmen. Der Sound am rechten Rand vor der Bühne wirkt noch etwas dünn, sodass ich mich etwas weiter in die Menge begebe. Hier drückt es so mächtig, dass direkt Stadionrock-Atmosphäre aufkommt. Ich habe KETTCAR stets als gesellschaftlich aufmerksame Band mit sehr treuen Fans wahrgenommen. Ihr Indiesound und der eher ruhige und warme Gesang von Markus Wiebusch haben den Funken aber nie richtig rüberspringen lassen. Wirklich gewonnen haben sie mich allerdings erst vor kurzem auf dem Konzert in der Berliner Columbiahalle im März 2019. Der eben erwähnte drückende Sound der schon sehr melodischen Songs, gepaart mit der positiven Stimmung auf und vor der Bühne lösen bei mir das vertrauenerweckende Gefühl aus, gerade an einem guten Ort zu sein.

Sänger Marcus Wiebusch begrüßt das Publikum und möchte sich eigentlich politische Ansagen unter Gleichgesinnten sparen, betont jedoch, dass der folgende Song für Humanismus steht und dieser nicht verhandelbar ist. Das könne man nie genug betonen. Der Song „Sommer '89 (Er schnitt Löcher in den Zaun)“ geht meines Erachtens allen Anwesenden unter die Haut – eine Geschichte über Flucht und Nächstenliebe mit Verweisen auf die Teilung Deutschlands und dass Flucht und Migration kein Verbrechen sind, sondern aus einer Not hervorgehen. Auch mit „Benzin und Kartoffelchips“ beweisen KETTCAR ihre Stärke als Geschichtenerzähler, indem sie mit alltäglicher Sprache, Stimmungen und Bilder erzeugen, die einen als Zuhörer auf eine gedankliche Reise mitnehmen.

Mit „Balu“ und „48 Stunden“ folgen zwei Liebeslieder, welche von Wiebusch selbst als solche angekündigt werden. Das müsste aber auch reichen, versichert er. Weiter erzählt der Sänger von den Anfängen der Band, als sie dem ganz großen Majorlabeldeal hinterhereiferte. Schließlich saßen die Hamburger in einem Konferenzraum eines Hochhauses und spielten den Labelvertreter_innen den Song „Balkon gegenüber“ vor. Dieser sei super, aber es fehle da noch eine zweite Strophe und ein zweiter Refrain, meinte einer der Entscheider. Dies löste solch ein Unverständnis bei der Band aus, dass sie sich kurzerhand dazu entschloss, selber eine Plattenfirma zu gründen – das Grand Hotel Van Cleef. 14 Jahre später habe es sich dann aber doch noch richtig angefühlt, eine zweite Strophe hinzuzudichten. Vielleicht folgt der zweite Refrain ja in weiteren 14 Jahren.

Mein persönliches Highlight im KETTCAR-Repertoire an diesem Abend ist „Der Tag wird kommen“. Die Sonne ist bereits untergegangen, sodass die Lichtshow nun vollends zur Geltung kommt. Der tragende Song gegen Homophobie, verpackt in der Geschichte eines Profifußballers erzeugt wieder dieses Gefühl, auf der guten Seite zu stehen. Es kann sicher kritisiert werden, dass in solch einem Rahmen, ein Stück weit kollektive Selbstbeweihräucherung stattfindet, was allerdings die Wichtigkeit und aus meiner Sicht Richtigkeit der besungenen Positionen kein bisschen infrage stellt.

Es folgen unter anderen die Songs „Ankunftshalle“, „Ich danke der Academy“ und „Deiche“, dann verabschiedet sich die Band nach rund 80 Minuten Programm von der Bühne. Dass sie zurückkommen wird, scheint klar zu sein, denn gefühlt niemand im Publikum denkt schon jetzt daran aufzubrechen. An meinem Eindruck der treuen Fans war also etwas dran. Das soll belohnt sein: Wiebusch und Kollegen kehren für eine Zugabe zurück, man könne an einem Donnerstagabend ja ruhig noch drei weitere Stücke zum Besten geben. „Trostbrücke Süd“, „Kein Außen mehr“ und „Landungsbrücken raus“ runden das für ein Headliner Konzert vielleicht etwas kurze Set ab. Aber auch die leidenschaftlichsten KETTCAR-Fans dürften an der Auswahl kaum etwas auszusetzen haben. Es ist ja auch erst Donnerstag und wer weiß, bis wann hier in Potsdam die S-Bahn zurück nach Berlin fährt.