17.10.2011: Scorpios, Joey Cape, Jon Snodgrass, Tony Sly - Bei Chez Heinz, Hannover

17.10.2011
 

 



Es hilft alles nichts: Blondierter Haarschopf, kluge Brille, sauberes Kurzarmhemd. Trotz aller Bemühungen scheitern die Verkleidungs- und Ablenkungsversuche der berüchtigten Akustik-Allstars, jetzt unter dem Decknamen SCORPIOS unterwegs: Es sind nun mal dieselben Protagonisten, wie sie vor gut eineinhalb Jahren bereits die hannoversche Warenannahme ausverkauften und zwischen Kerzenlicht und Nostalgiegedanken ein vorzügliches Abendprogramm aus dem Hut zauberten. Same Stadt, different Club. Und wie steht es um den Enthusiasmus?




Das Siegertreppchen hat heute ausnahmsweise vier Stufen. Denn irgendwo auf der hinteren Bank im Bus kauert neben JOEY CAPE, JON SNODGRASS und TONY SLY auch BRIAN WAHLSTROM mit seinem viel zu großen Keyboard, dass ihn heute Abend leider nur auf das unterste Podest katapultiert. Zu künstlich klingen die Piano- oder Orgelsounds, die der lieblich ausschauende Hüne seinen Tasten entlockt, wenn er nicht damit beschäftigt ist, die Frontfraktion mit unterstützender Percussion zu übertrumpfen. Zu sehr drängen sich die plänkelnden und glimpflichen Melodien in den Vordergrund und gefährden LAGWAGON´s „Black Eyes“ oder versprechen QUEEN-artige Balladenmomente in BRIAN WAHLSTROM´s Soloverschnaufpause. Eine glatte Bronzemedaille geht hingegen an NO USE FOR A NAME-Stimme TONY SLY, der zwar mit glänzender Stimme die Neuzugänge „Devonshire & Crown“ sowie „Therapy“ anpreist, aber etwas untergehend und unmotiviert an nötigen Evergreens wie „Not Your Savior“ oder „On The Outside“ vorbeilangt. Mit einem Auge aufs Griffsbrett und dem anderen auf die Couch hinter ihm schielend halten sich „Streets Of Munich“ und „Coming Too Close“ wacker in der Kurve, über- und erleben ihre Höhen jedoch hauptsächlich dank unterstützendem Handwerk aus Richtung JON SNODGRASS und JOEY CAPE. Müde und ausgelaugt wirkt der kalifornische Familienvater – ebenso wie beim letzten Gastspiel seines Hauptbrötchengebers welches mit sieben Wochen auf dem Buckel noch schwer im Magen liegt. Während des gemeinsam angestimmten und frisch eröffnendem „To All My Friends“ reicht man sich das Songwriter-Zepter zunächst brav Reihe rum – TONY SLY ist in Folge dessen jedoch heute am wenigsten ins Bühnengeschehen involviert, wenn Höhepunktmomente á la „Justified Black Eye“ oder “International You Day“ es ihm nicht eingehend abverlangen.




Quicklebendig und trotz verzagender Stimmstabilität seines Instrumentes hingegen ist LAGWAGON- und Ex-BAD ASTRONAUT-Flummi JOEY CAPE auch heute wieder bester Laune. Als „angehender Alkoholiker kann man (sich) eben nicht alles (be-)merken“, trotzdem geht es bei DRAG THE RIVER- (oder JON SNODGRASS-) Songs mit 100% an die hohe Harmoniestimme, trotzdem knallen „Violins“, „May 16“ oder „Wind In Your Sails“ genauso mit gezeichnet versoffener Stimme und verhaltendem unplugged Rückgrat. An allem anderen ist die modische Sehhilfe auf Capes Nase oder das heute Abend blaue statt schwarze T-Shirt Schuld. Die gemeinsamen Arbeitsstunden unter dem Namen SCORPIOS und dessen Früchte „Lifer“ und „Scorpios Old“ werden ebenso von CAPE in helleres Licht gerückt wie „Making Friends“ – neben Mixgetränken hilft sonst ein Spaziergang über die Bühne. „Die Show heute ist noch recht gut, seid froh, dass Ihr uns nicht in Hamburg hören musstet...“ Vielleicht ist eine einzelne Probe doch nicht ausreichend, um sich diese ganzen unterschiedlichen Töne und Worte anzueignen, die über 120 Minuten aus verschiedenen Himmelsrichtungen auf das mittlerweile teils sitzende Publikum des Chez Heinz treffen – CAPE, SNODGRASS und SLY nehmen´s erwachsen mit Humor.
Auf der linken Bühnenseite heute Abend: Der Stargast und heimliche Mastermind neben JOEY CAPE: DRAG THE RIVER- und ARMCHAIR MARTIAN-Chef JON SNODGRASS gewinnt nicht nur den Entertainer-Grammy, ebenso gehören Gesangs-Oskar und Sympathie-Bambi ihm. Der süffige Brillenträger, der mit Abstand den meisten Spaß und die mitreißenste Darbietung aus Gitarre, Kehle und Vodkaglas holt formt nicht nur „Me And Joe Drove Out To California“ mit seinem einzigartigem Gesang zu einer goldenen Perle des akustischen Abends, auch zimmert sein Organ in Verbindung mit CAPE oder SLY stests die nötigen Chöre oder das passende Fundament zusammen. Gelegentlich vertraut man dem whiskyverliebtem Gitarristen sogar alleinig die produktive und qualitative Abendgestaltung an, denn egal ob Tamburin, Westernklampfe oder Zweitstimme – JON SNODGRASS ist und bleibt Musiker mit Herz, Handwerk und Hirn (oder was davon noch trocken ist...). Ob in Minute eins oder einhundert im Set macht sich allenfalls an der angebotenen Hitdichte bemerkbar. Alle Medaillen vergeben, Enthusiasmuszweifel geklärt. Und sogar der Gehörschutz kann heute zum Ausnüchtern in der Hosentasche bleiben.