23.11.2019: HOT WATER MUSIC, MUFF POTTER, RED CITY RADIO, SPANISH LOVE SONGS - Köln - Palladium

26.11.2019
 

 

Ein Jahr der Punkrock-Jubiläen: Die BOUNCING SOULS haben vor kurzem in der Essigfabrik ihren 30. Geburtstag gefeiert. Und nur sechs Tage, bevor BOYSETSFIRE im Kölner Palladium ihren 25. Ehrentag feiern, tun es HOT WATER MUSIC, der Inbegriff des Gainesville-Punkrocks, in exakt derselben Location.

Und wie auch bei BOYSETSFIRE wird mächtig aufgefahren im Vorprogramm. Keine Zeit für halbe Sachen, kein Platz für Bands, die nicht eng mit den Protagonisten befreundet sind. SPANISH LOVE SONGS stechen da am heutigen Abend am deutlichsten heraus. Die noch sehr junge Band (Gründungsjahr 2014), die Musiker sind allerdings keine Teenies, macht heute den Anfang und könnte sich kaum mehr darüber freuen. Von den fast 20 Shows, die man in diesem Jahr mit HOT WATER MUSIC spielen dürfe, sei Köln die beste, so Frontmann Dylan Slocum. Abgedroschene Floskel oder die Wahrheit? Wenn man sich das zur sehr frühen Stunde (17:30 Uhr) schon gut gefüllte Palladium ansieht: vermutlich wirklich so. Und SPANISH LOVE SONGS kommen sichtlich gut an. Es ist nicht so, wie das bei diesen Riesen-Lineups mit 4 oder mehr internationalen Bands häufig so ist: Dass die Leute eigentlich nur für den Headliner oder den Co-Headliner da sind. Die familiäre Atmosphäre zwischen den Bands findet man heute auch im riesigen Saal des Palladiums wieder. Und die SPANISH LOVE SONGS haben sich in den wenigen Jahren ihrer Existenz bisher schon dermaßen den Arsch abgetourt, dass sie auch auf der dazugehörigen riesigen Bühne eine gute Figur machen. Heute fällt die Setlist allerdings eher kurz aus: Neben den beiden neuen Songs „Losers“ und „(No) Reason to Believe“ gibt es noch die Knallerhits des Durchbruchalbums „Schmaltz“ aus dem letzten Jahr – da ist die gute halbe Stunde schneller vorbei, als man zwei Bier trinken kann. In gut zwei Monaten sind SPANISH LOVE SONGS allerdings schon wieder im Lande: Mit den MENZINGERS und MANNEQUIN PUSSY. Für die direkt im Anschluss stattfindende Tour in den USA hat die Band angekündigt, mit einer kleinen Wahrscheinlichkeit auch neue Musik im Gepäck zu haben. Man darf also gespannt bleiben, ob das beim unerbittlichen Touring-Schedule auch schon für den Januar und Februar in Europa gilt.

 

 

RED CITY RADIO setzen weniger auf’s Schema „unerbittlich touren und Musik machen“. 3 Alben, 2 Splits und 2 EPs in 12 Jahren Bandgeschichte, das ist eher ein gemächliches Tempo. Soundtechnisch ist die Band aus Oklahoma deutlich näher am Headliner des Abends, gerade was den tiefen und kehligen Gesang betrifft. Die Musik kommt im direkten Vergleich zu SPANISH LOVE SONGS undynamischer rüber und ich bin mir ziemlich sicher: RED CITY RADIO mag man entweder schon seit Jahren oder man findet sie nicht mehr als durchschnittlich gut. Auf mich trifft letzteres zu. Zu wenig Wiedererkennungswert, zu viel Punkrock-Schablonen, zu wenig Spektakuläres. Ausreichend Zeit also, weitere Biere zu bestellen. Auch das Palladium füllt sich weiter. Es ist erstaunlich, wie haargenau auf Punkt die Bands ihre Stagetime einhalten.

 

 

Dann das im letzten Jahr nach 9 Jahren Winterschlaf wiederauferstandene Schmankerl: MUFF POTTER wurden in der alternativen deutschen Rockszene schmerzlich vermisst. Und 2019 können sie sich, mit einem Wiederaufleben und Wieder-Sterben von KETTCAR sowie Kollegen wie TURBOSTAAT und THEES UHLMANN, die stark sind wie nie, bester Gesellschaft erfreuen. Mit HOT WATER MUSIC verbindet die Band aus Rheine/Münster eine lange Freundschaft. 2000, zu der Zeit war ich 10 Jahre alt, spielten sie bereits zusammen auf den Dates der damaligen Europatour der Amerikaner. Bereits 2003, also deutlich in der ersten Hälfte der Bandgeschichte beider Bands, erschien eine Splitsingle mit je einem Song aus deren Feder. 2007 nahmen MUFF POTTER als Support CHUCK RAGAN solo mit, auf ihrem achten von zehn Studioalben („Steady Fremdkörper“) findet sich mit „The Boat“ eine Coverversion eines seiner Songs. Umgekehrt coverte er „Bring dich doch selbst nach Haus“ vom Album „Von Wegen“ (2005). Damals wurde beides konsequenterweise auch auf der Bühne performt. Kurz vor dem Ende von MUFF POTTER nahm Frontmann Thorsten „Nagel“ Nagelschmidt auch ein Duett mit CHUCK RAGAN auf. Nur logisch, wer also bei dieser Geburtstagsparty Co-Headliner sein muss. Man könnte kaum eine passendere Tour für MUFF POTTER in deren Jahr 2 nach dem Break-Up finden. Und auch wenn die Fans sich sicherlich kaum etwas sehnlicher wünschen als neue Musik nach nunmehr einer Dekade: Für eine gute Live-Show ist das schlicht und ergreifend nicht notwendig. Nach einem eher sperrigen Konzertbeginn mit dem durch die Menge schneidenden Gitarrenriff von „Ich und So“, dem Opener der letzten Platten, kramen MUFF POTTER tief in der Hitkiste und werden fast mit jedem Griff fündig: Ob nun der Überhit „Wenn dann das hier“, Melancholie-Hymne „Wir sitzen so vorm Molotow“ oder „Die Guten“ und „Fotoautomat“ von „Steady Fremdkörper“, gut gealtert sind diese Songs, wie man an der Resonanz im Palladium unschwer erkennen kann. Pogo für in-die-Jahre-Gekommene. Den Eintritts- und den Bierpreis hat man dank jahrelanger Lohnarbeit ja schnell vergessen. Auch „The Boat“ wird passenderweise heute live gecovert und zwar mit CHUCK RAGAN. Nur Fans der frühen Schaffensphase der Band gehen wieder mal leer aus. Aber das überrascht sicher niemanden.

 

 

Was als nächstes kommt, ist auch klar: Erstmal eine lange Umbaupause, aber das stand ja auch so auf dem Timetable und das wird weiterhin verlässlich eingehalten. Folgt man dem bierigen roten Faden des Abends, bringt man sich nun auf Hochtouren. Denn was nun folgt, ist „Caution“ in voller Länge. Wenn man mich fragt, handelt es sich um das eindeutig beste Album von HOT WATER MUSIC. Alle wirklichen Hits der Band finden sich auf dieser Platte – wenn das auch sicher von keinem Connoisseur kommt. Dafür aber von jemandem, der in der nächsten Dreiviertelstunde voll auf seine Kosten kommt. „Remedy“ tritt die Sause ekstatisch los. Chris Wollard, der bei HOT WATER MUSIC die andere Gitarre und die Gesangsparts neben Chuck Ragan übernimmt, kann seit 2018 leider aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht mehr an den Konzerten der Band teilnehmen. Wenn man neben Chuck Ragan auf der Bühne steht, ist es verdammt schwer, eben nicht in dessen Schatten zu stehen, egal wie die Lichter fallen. Chris Cresswell, seines Zeichens Frontmann der fest konstituierten Punkrock-Bank THE FLATLINERS, macht aber als Live-Ersatz für Wollard einen verdammt guten Job, was natürlich nicht zuletzt seiner sehr markanten und wiedererkennbaren Stimme geschuldet ist, die er nun über die „Caution“-Hits legen kann. „Trusty Chords“ steht „Remedy“ in nichts nach, und auch danach wartet man lange auf Durststrecken in diesem Set. „I Was on a Mountain“ steht exemplarisch für die melodisch hochqualitative Gitarrenarbeit von HOT WATER MUSIC, während „One Step to Slip” neben der für das Album typischen Mitsingbarkeit auch mehr Fokus auf das nicht zu verachtende Bass-Spiel von Jason Black legt. Tatsächlich hatten HWM außer einem kurzen Ausflug ihres Schlagzeugers in die Bandformation AGAINST ME! immer dieselbe Bandbesetzung, was einmal mehr dafür spricht: Hier geht es nicht um Rockstar-Gehabe, nicht um das große Geld, sondern um ein Gefühl von Verbundenheit und um die Essenz dieser Auslegungsart des Punkrock. Der Tragik des Lebens ins Gesicht lachen und weiter spielen. Die zweite Hälfte des Albums fällt meiner Meinung nach etwas gegenüber der ersten ab, aber „Wayfarer“ ist logischerweise die volles-Bier-verschütten-aber-egal-Hymne des Abends. Eine Art „Bro Hymn“ für Menschen mit mehr Bartwuchs. Und klar, auch wenn es kurz so aussieht, ist nach diesen 12 großen Songs von HOT WATER MUSIC noch nicht Schluss. Nach kurzer Dunkelheit auf der Bühne geht es an der Akustikgitarre weiter, mit neueren und älteren Songs zugleich. Und die Sause geht weiter, hier geht keiner vorab nach Hause. Durchhalten lohnt sich: Auch wenn es am Mittwoch zusätzlich eine Show zu „No Division“ im Kölner Gebäude 9 gab, sind die Songs der Platte in keinem Set der Band wegzudenken. „Roofstops“ und „It’s Hard to Know“ sind in der Zugaben-Sektion von HOT WATER MUSIC also völlig richtig platziert. Genau wie bei MUFF POTTER gilt: Mehr als genug Material für eine gute Live-Show. Wenn noch mal was dazu kommen sollte, ist das super, aber es muss nicht mal sein.