09.11.2019: CEREMONY, GVLLS, SWAN SONGS - Münster - Café Sputnik

24.11.2019
 

 

Alle Jahre wieder: CEREMONY sind mit ihrer neuen Platte „In The Spirit World Now“ zurück in Europa. Hardcore-Deutschland freut sich auf die Shows wie Bolle, denn als Band in diesem Gefilde schafft man sechs Alben nur mit ständiger Neuerfindung der eigenen Identität. Für CEREMONY scheint es ein Klacks zu sein.

Die Show steigt im Café Sputnik, in der ich vor 8 Jahren eine der besten Shows meines Lebens erleben durfte (TOUCHÉ AMORÉ, LA DISPUTE, DEATH IS NOT GLAMOROUS, RITUAL und SOUL CONTROL). Es gibt vegane Pizza für 4€ und ein überdurchschnittliches Getränkeangebot. Im Vorprogramm von CEREMONY stehen heute zwei lokale Bands. SWAN SONGS machen den Anfang. Es handelt sich um eine Punk-Band im weiteren Sinne mit Mitgliedern anderer lokaler Szenebands wie  GOODBYE FAIRGROUND und BLANKETS. Der Auftritt verläuft relativ unspektakulär, mit einigen Aufs und Abs zwischen den einzelnen Liedern (der vorletzte Song gefällt mir z.B. ganz gut), aber insgesamt relativ wenig Bewegung (physisch von den Musikern; emotional in mir). Garniert wird das Ganze durch Ansagen, die am Mikrofon vorbeigesprochen werden und daher knapp über der Wahrnehmungsschwelle wabern. Ich habe den Eindruck, einer Band beim Proben zuzusehen. Und dabei entsteht bei mir der ganz ganz große Wunsch, der Schlagzeugerin einen neuen Satz Becken zu kaufen.

 

 

Mehr nach meinem Geschmack sind GVLLS, die zweite Vorband. Ein Musiker weniger, dafür aber ein definierterer Sound. Der in die Jahre gekommene Drummer liefert unablässig repetitive Beats wie eine fleischgewordene Drum Machine aus den 80ern, auch der Rest des Sounds lässt sich in diesem Jahrzehnt treffend einsortieren. Der Bass trägt gemeinsam mit besagten Beats die Songs, während die Gitarre sich immer wieder ein paar fricklige Ausflüge auf die höheren Saiten erlauben darf. GVLLS klingen düster, chaotisch, getrieben. Als halbgare Vergleiche scheinen mal JOY DIVISION und mal SONIC YOUTH aufzublitzen. Der Gesang klingt dabei wie eine noch lustlosere Version von INTERPOL’s Paul Banks. Das Münsteraner Trio scheint nicht nur online, sondern auch in der echten Welt eher minimalistisch unterwegs zu sein: Im Netz findet man eine selbstbetitelte EP mit 6 Songs und eine alte Demo aus dem Jahre 2016. Live liegt der Fokus ebenfalls ganz klar nicht auf Bühnenpräsenz oder Performance. Das ist okay, schließlich ist man ja kein Headliner. Aber schaden würde es im Sinne der Unterhaltung nicht, wenn man etwas mehr aus sich heraus ginge. Die Mucke passt jedoch! Erst recht ins Vorprogramm von CEREMONY. Nimmt man deren Optimismus der neuesten Platte weg, sind GVLLS gar nicht so meilenweit vom Sound der Kalifornier entfernt.

Doch obwohl „The L-Shaped Man“ von vielen als Abklatsch von JOY DIVISION verrissen wurde und obwohl „In the Spirit World Now“ natürlich an vielen Ecken an NEW ORDER erinnert, scheinen CEREMONY im Jahr 2019 eine Ausnahmeerscheinung zu sein – in der Punk- und Hardcore-Szene ja sowieso. „Violence Violence“ ist 13 Jahre alt, das muss man sich erstmal vorstellen. Und welche Bands sind schon noch groß da, außer die beiden größten der damaligen kurzen „Powerviolence“-Welle (die auch noch fälschlicherweise von Leuten wie mir als solche bezeichnet wird, Fans von wahrer Powerviolence würden mir ins Gesicht kotzen) – TRASH TALK und CEREMONY. Erstere ziehen nach wie vor kompromisslos ihr Ding durch und sind viel mehr als nur eine Hardcore-Band, zweitere haben sich mehrmals komplett neu erfunden. Beide liefern nach wie vor mit die besten Liveshows, die die Hardcore-Welt im Gesamten zu bieten hat. Denn die Essenz des Punkrock ist in den Shows noch spürbar. Hier gibt es kaum choreographierte Mosh-Tanzeinlagen, bei einer CEREMONY-Show gibt es vor allem Überraschungen. Und heute auch erfreulich wenige Stage Potatoes, Instagram-Blogger oder ähnliches. Los geht die ganze Chose mit „Presaging the End“, dem meiner Meinung nach besten Song der neuen Platte (insbesondere der Synthie-Part in der zweiten Hälfte hat es mir angetan). „Open Head“ schlägt dann in eine ganz andere Kerbe. Dieselben Menschen, die gerade noch verträumt mit verschränkten Armen hin- und hergewippt sind, stagediven nun, springen aufeinander rum, schreien Ross Farrar an. Die Hardcore-Songs von CEREMONY, sie sind vorzüglich gealtert. Vielleicht auch spiegelt sich in Live-Shows wie dieser das dringende Bedürfnis ebenfalls alternder Hardcore-Kids nach authentischen Künstlern und No Bullshit. Am Bass steht heute ebenfalls Szene-Prominenz: Ned Russin von TITLE FIGHT. Der spielt die ganze Show ganz unscheinbar mit, aber der Blickfang der Show ist ohnehin wie immer Anthony Anzaldo, der Gitarrist von CEREMONY. Bei neueren Stücken wechselt er ans Keyboard, dass er sich sogar umhängen kann. Ich bin sicher einer von vielen, der sowas heute zum ersten mal sieht. Und so sehr ich mich über Songs wie „The Doldrums“ freue – mir ist es nur recht, dass das Set eindeutig von den neuen beiden Alben dominiert wird. „Turn Away the Bad Thing“, der Titeltrack des neuesten Albums, das großartige „The Seperation“ – nur „The Understanding“ fehlt mir heute ganz deutlich. Trostpflaster ist am Ende des Auftritts „Sick“, das mir von allen Songs am besten gealtert erscheint. CEREMONY bleiben in der Hardcore-Welt nicht wegzudenken. Ob das now auch in the spirit world so ist, kann ich weniger beurteilen.