25.09.2019: TOUCHÉ AMORÉ, DEAFHEAVEN, PORTRAYAL OF GUILT – Hamburg – Markthalle

27.09.2019
 

 

Co-Headliner-Shows haben ja den großen Vorteil, dass man praktisch zwei vollwertige Konzerte geliefert bekommt, da beide Bands jeweils komplette Sets spielen und sich nicht um begrenzte Spielzeiten kümmern müssen. Feine Sache. Dachten sich auch die Blackgazer DEAFHEAVEN sowie die Post-Hardcore-Institution TOUCHÉ AMORÉ. Auf den ersten Blick wirkt die Kombination vielleicht etwas ungewöhnlich: Überlange Post-BM-Epen von DEAFHEAVEN stehen kurze, aber heftige Hardcore-Eruptionen von TOUCHÉ AMORÉ gegenüber. Dabei verbindet beide Bands die kalifornische Herkunft, ein enormes Maß an musikalischer Intensität und nicht zuletzt eine enge Freundschaft. Folgerichtig und mit den Texanern PORTRAYAL OF GUILT im Schlepptau touren sie nun im Paket durch Europa und machen an diesem Mittwoch Halt in Hamburg.

Die einzige Frage, die sich da vielleicht noch stellt: In welcher Reihenfolge kommen die beiden Hauptacts auf die Bühne? Wer darf als letztes und somit als Quasi-Headliner den Abend beschließen? Verdient hätten es sicherlich beide, in Sachen Popularität haben aber TOUCHÉ AMORÉ vielleicht ganz knapp die Nase vorn. Man erkennt das auch gut am Verhältnis der Bandshirts im Publikum, auf jedes von DEAFHEAVEN kommen drei von TOUCHÉ AMORÉ. So ungefähr jedenfalls.

Von PORTRAYAL OF GUILT finden sich wiederum kaum Shirts im Publikum. Die Texaner sind allerdings auch erst seit zwei Jahren unterwegs, dabei aber alles andere als unproduktiv: Eine handvoll EPs sowie ein Debütalbum sind in der kurzen Zeit schon entstanden, gefüllt mit recht kompromisslosem (Blackened) Screamo am oberen Ende der Beklopptheitsskala. Wohlfühlmomente oder gar Schönklang sollte hier besser niemand erwarten. Die drei betreten pünktlich um 20 Uhr die blau ausgeleuchtete Bühne der etwa zur Hälfte gefüllten Markthalle und bauen zunächst mit stimmungsvollen Samples vom Band eine bedrohliche Atmosphäre auf, um dann unvermittelt und kommentarlos draufloszubrettern. Das sitzt. Blastbeats, Hexenkeife, Gefrickel, dann plötzlich klassischer Death Metal und tiefste Growls, gefolgt von Chaos – was PORTRAYAL OF GUILT da zu dritt abliefern, ist mindestens beeindruckend. Und ziemlich mitreißend, wie die zunehmend ausgelasseneren Publikumsreaktionen zeigen. Die einzelnen Songs werden mit effektvollen Samples verbunden, Ansagen gibt es bis auf ein einziges, schüchternes „Thank You“ in Richtung der Hauptbands keine. Überhaupt immer wieder ein Phänomen: Die härteste und kompromissloseste Musik kommt ja gar nicht so selten von so schüchternen und hageren Typen, denen man das im Leben nicht zutrauen würde. Dabei fasziniert hier vor allem der Schlagzeuger: Wie der sich in den Songs verrenkt und mit scheinbar acht Armen gleichzeitig spielt, lässt nicht schlecht staunen. Keine 30 Minuten dauert der absolut gelungene Auftritt, das Publikum ist erfolgreich angeheizt.

Um zu beschreiben, was DEAFHEAVEN im Anschluss auffahren, muss man schon fast neue Superlative erfinden. Endmega zum Beispiel. Klingt natürlich bescheuert. Also lieber: Atemberaubend. Unfassbar. Wahnsinn. Aber von vorn: Die fünf Kalifornier um Frontkeifer und Sonnyboy George Clark sowie Mastermind Kerry McKoy verschwenden keine Zeit und beginnen direkt mit „Honeycomb“ vom aktuellen Album (Ordinary Corrupt Human Love). Wie der Song einen in über elf Minuten erst von hinten niederschlägt, dann vermöbelt und sich schließlich, wenn man blutend am Boden liegt, neben einen legt und ankuschelt, um gemeinsam den Sonnenuntergang zu genießen, das ist tatsächlich hohe Kunst. Vermutlich verschluckt sich jedes Mal im dunkelsten Norwegen ein Trve-Kvlt-Metaller am Corpsepaint, wenn DEAFHEAVEN so völlig ungeniert Black-Metal-Raserei ironiefrei mit Schönklang paaren und dabei auch noch die Bühne in Regenbogenfarben anstrahlen. Es folgt „Canary Yellow“ vom selben Album, danach findet das eher Thrash-lastige New Bermuda in Form von „Brought To The Water“ Beachtung. Mit „Black Brick“ schafft es dann der gleichsam jüngste wie auch mit Abstand härteste Song der Band ins Set und wirkt live nochmal eine Spur wahnsinniger, fügt sich aber trotzdem nahtlos ein. Es ist schon beachtlich, wie gut die Songs live zusammenpassen, obwohl DEAFHEAVEN auf jedem Album ziemlich anders klingen. Es stellt sich indes folgende Frage: Wie bewegt man sich eigentlich angemessen zu dieser Musik? Headbangen geht auf Dauer einfach nicht (was einige Besucher vor der Bühne aber nicht davon abhält, es trotzdem zu versuchen), zumal sich ja ständig das Tempo ändert. Und so steht man dann die meiste Zeit wahlweise fassungslos mit offenem Mund da, und fragt sich, wie es möglich ist, diese komplexe Musik so perfekt eingespielt und auf den Punkt genau auf die Bühne zu bringen, oder man schwelgt mit geschlossenen Augen und lässt sich in einen anderen Bewusstseinszustand prügeln. Zum Beispiel von „The Pecan Tree“ (Sunbather) mit seinem berauschenden Schlussteil. Oder von ihrem größten „Hit“, namentlich „Dream House“ (ebenfalls Sunbather). Nach dieser Endorphinbombe verlässt die Band unter frenetischem Jubel die Bühne und darf ihre Show unter „amtlich abgeliefert“ ablegen, wie man in Metalkreisen wohl sagen würde.

Wäre der Abend jetzt vorbei, man würde hochzufrieden und glückselig nach Hause schweben und von einem Konzerthighlight sprechen. Der Abend ist aber nicht vorbei, denn eine gewisse Band namens TOUCHÉ AMORÉ steht ja schließlich auch noch auf dem Programm. Eine der heißesten Bands im Post-Hardcore der letzten zehn Jahre ist gekommen, um ihr ebenso altes Debüt „…To The Beat Of A Dead Horse“ zu zelebrieren. Als der Fünfer aus Los Angeles um Charismatiker Jeremy Bolm die Bühne betritt, ist der Saal beinahe komplett gefüllt. Zu den ersten Takten von „And Now It's Happening In Mine“ verliert das Hamburger Publikum bereits alle Hemmungen. Da es erfreulicherweise weder Absperrungen noch Bühnengraben gibt, wird die Bühne durchgehend von Stagedivern geentert. Glücklicherweise nimmt es nicht Überhand, alles bleibt friedlich und ausgelassen. Jeremy Bolm steht keine Sekunde still, singt, schreit, springt und hält immer mal wieder kurz das Mikro ins Publikum, welches sich als erfreulich textsicher erweist. Eine ziemlich klassische Hardcoreshow eben. TOUCHÉ AMORÉ brauchen nur 22 Minuten, um ihr Debüt einmal komplett durchzuspielen. Das sind in etwa zwei Songs ihrer Tourkollegen. Ziemlich effizient. Es folgen nun nochmal gute 40 Minuten Best Of aus ihrer restlichen Diskographie, die ja beinahe ausnahmslos aus Hits besteht. „Just Exit“, „Flowers And You“, „Home Away From Home“, you name it. „Harbor“ und „New Halloween“ nehmen etwas Tempo raus und leiten den deutlich ruhigeren Schlussteil ein. Die letzten zwei Songs gehören zu „Stage Four“, dem bislang letzten Album, auf dem Bolm den Krebstod seiner Mutter verarbeitet. Entsprechend emotional und intensiv gibt sich „Rapture“. Wer bis hierhin noch keine Gänsehaut hatte, bekommt diese spätestens beim finalen „Skyscraper“. Bolm zeigt hier fast ausschließlich seine ruhige, tiefe Singstimme. Nur im großen Finale schreit er sich die Seele aus dem Leib. Sichtlich mitgenommen verlässt Bolm wortlos die Bühne, gefolgt vom Rest der Band. Es dauert dann aber nur ungefähr fünf Mal „One more song!“ vom Publikum, bevor die Band zurückkehrt und mit „~“ in unter 90 Sekunden die Markthalle endgültig explodieren lässt. Bei den Zeilen „I’m parting / the sea / between brightness / and me” bleibt kein Arm unten, keine Kehle stumm. Der Song, die Show, der Abend verhallt mit den Worten: „If actions speak louder than words / I’m the most deafening noise you’ve heard / I’ll be that ringing in your ears / That will stick around for years”. Passender kann man einen Auftritt wie diesen nicht beschließen.