Interview mit Ross Gordon von COLD YEARS

16.09.2020
 

 

Die schottischen Shootingstars COLD YEARS haben Anfang September ihr lang erwartetes Debütalbum „Paradise“ veröffentlicht. Natürlich ist momentan an eine klassische Promotour nicht zu denken. Das SCHRØDINGERS im Hamburger Schanzenpark bereitet der Band jedoch ihre Bühne im offenen Biergarten und damit der Band die Chance, ihr Debüt doch live und vor Publikum zu feiern.  Wir trafen Frontmann Ross Gordon vor dem Auftritt zu einem ausführlichen Gespräch über das neue Album, Partynächte in Aberdeen und die alles andere als paradiesischen Zustände im Vereinigten Königreich.

 

Hi Ross, euer Debütalbum „Paradise“ wurde vor etwas mehr als einer Woche veröffentlicht. Wie waren die ersten Reaktionen?

Wirklich gut! Das Album kommt in Musikpresse super positiv weg und wir konnten viele neue Fans gewinnen. Es ist eine tolle Erfahrung und wir sind super glücklich mit den Reaktionen.

 

Der Release war ursprünglich für Mai geplant, wurde aufgrund der Unsicherheit durch die Pandemie aber auf September verschoben. Wir schwer fiel diese Entscheidung?

Die Entscheidung war hart. Die Arbeiten an “Paradise” haben bereits vor zwei Jahren begonnen. Wir hatten eine US-Tour für Juni geplant, aber dann hat das Virus alles durcheinandergewirbelt. Auch die geplanten Shows in unserer Heimat mussten natürlich abgesagt werden. Wir spielen nun unser einziges Konzert für dieses Jahr heute in Hamburg. Die Situation ist wirklich belastend, denn als Band willst du einfach rausgehen und vor Leuten spielen, besonders, wenn du gerade neue Musik veröffentlicht hast. Aber wir sind optimistisch, dass irgendwann wieder Normalität einkehren wird.

 

Du hast es gerade angesprochen: Der Auftritt heute Abend im Hamburger SCHRØDINGERS ist der Erste seit Beginn der Pandemie und somit quasi eure Record-Release-Show. Warum Hamburg?

Hamburg ist für uns wie eine zweite Heimat. Wir haben schon viele Shows in der Stadt gespielt. Wir lieben beispielsweise die Astra Stube. Das ist einer unserer liebsten Liveclubs überhaupt. Hamburg ist ein so großartiger Ort für uns. Die Stadt erinnert uns auch ein wenig an unsere Heimat Aberdeen. Wir könnten uns gerade keinen besseren Ort wünschen.

 

Seit der Bandgründung 2014 habt ihr drei EPs veröffentlicht, nun ist mit “Paradise” euer erstes Album erschienen. Wie hat sich der Schreibprozess und der Sound seit den Anfängen entwickelt?

Wenn man als Band startet, tendiert man dazu, andere Bands, die einen beeinflussen, ein wenig nachzuahmen. Aber man merkt schnell, dass das nicht der richtige Weg ist. Früher oder später findet man seinen ganz eigenen Sound. „Paradise“ ist genau das für uns – so klingen COLD YEARS. Es spiegelt die verschiedenen Persönlichkeiten und unsere Vorlieben wider.

 

Gerade zu Beginn waren die klanglichen Parallelen zu einer gewissen Band aus New Jersey nicht von der Hand zu weisen. Haben euch diese Vergleiche gestört?

Nein, das war schon ok. Ich weiß natürlich, von wem die Rede ist (Anm. d. Red.: THE GASLIGHT ANTHEM). Die Leute suchen immer nach Vergleichen, und das ist vollkommen in Ordnung. Ich persönlich mag aber auch keine Bands, die sich wiederholen. Ich mag es, wenn man eine Weiterentwickelung erkennt und die Mitglieder auch als Musiker wachsen. Und genau das trifft auch auf COLD YEARS zu. Wir sind als Band reifer geworden, und das fühlt sich super an.

 

Wo wir über musikalische Vorbilder sprechen: Welche Bands haben dich persönlich am meisten beeinflusst?

Ach, da gibt es so viele. Angefangen bei RAMONES und THE CLASH, über Bands wie THE BOUNCING SOULS, THE FLATLINERS und THE MENZINGERS – die Liste könnte ich ewig weiterführen. Einfach gute Punkbands, wie die DESCENDENTS oder auch THE REPLACEMENTS. Damit bin ich aufgewachsen.

 

In einem Interview aus 2019 habt ihr erwähnt, dass ihr bereits ein komplettes Album fertig geschrieben und dann doch wieder verworfen habt. Was war der Grund dafür?

Die Antwort ist einfach: Das Material war einfach nicht gut genug. Wir haben uns gesagt „Scheiß drauf, wir starten nochmal neu“. Das Album wurde dem Anspruch nicht gerecht, dass ich es selbst gerne kaufen würde. Außerdem kamen wir frisch von der Tour mit DAVE HAUSE zurück und von ihm haben wir einfach so viel gelernt. Als wir wieder zu Hause waren, wussten wir genau, was zu tun war: Wir haben sofort begonnen, „Paradise“ zu schreiben.


Was sind deine persönlichen Lieblingssongs auf dem Album?

„Burn The House Down“, „31“ und „Electricity“. Das sind meine absoluten Favoriten.

 

Die Legende besagt, dass du die Idee hattest, COLD YEARS zu gründen und die anderen drei während einer Kneipentour durch Aberdeen überredet hast, einzusteigen, indem du jedem Beteiligten weisgemacht hast, die jeweils anderen wären bereits an Bord.

Ja, das stimmt tatsächlich. Das war eine verdammt witzige Nacht, haha.

 

Ihr wart also schon lange befreundet?

Ja, wir alle haben in der Vergangenheit schon in unzähligen verschiedenen Bands zusammengespielt.

 

Im Gegensatz zu den Auskopplungen “Night Like This”, “Breathe” und “62 (My Generation Is Falling Apart”, zu dem jeweils ein konventionelles Musikvideo produziert wurde, ist das Video zu „Too Far Gone“ während des Lockdowns entstanden und besteht hauptsächlich aus selbstgedrehten Handyaufnahmen. Hätte das Video unter normalen Umständen anders ausgesehen?

Ganz ehrlich? Ich würde es nicht mehr ändern wollen. Es war ein großer Spaß. Außerdem handelt der Song ja auch vom Alleinsein und den damit verbundenen Problemen, von daher passt das sehr gut. Es gefällt uns so einfach viel besser.

 

Im Video zu „Night Like This“ sieht man euch bei einem mehr als feucht-fröhlichen Abend. Sieht so eine typische Nacht in Aberdeen aus?

Ja, wenn ich mit meinen Freunden unterwegs bin, sieht das tatsächlich so aus, haha.

 

Auch auf Tour?

Nein, da halten wir uns schon zurück. Da lassen wir es ruhiger angehen.

 

Selbst in Hamburg?

(Grinst verschmitzt)

 

Verstehe. Wie fühlt es sich an, gerade hier zu sein und nicht in eurer Heimat Aberdeen?

Es fühlt sich fantastisch an. Im Moment hasse ich unser Zuhause, ich hasse das United Kingdom. Das ist einfach nicht meine Heimat aktuell. Hamburg fühlt sich gerade viel mehr danach an.

 

Willst du näher darauf eingehen? Auf dem Album fällt ja öfter die Zeile „My generation is falling apart“.

Es ist wirklich hart. Ich will nicht, dass wir aus der EU austreten. Keiner von uns respektiert die Conservative Party, keiner von uns respektiert Boris Johnson und keiner von uns respektiert die Leute, die für den Brexit gestimmt haben (Anm. d. Red. 62% der Schotten haben gegen den Brexit und für einen Verbleib in der EU gestimmt). So ist die Lage bei uns. Wir hoffen jetzt einfach, dass Schottland seine Unabhängigkeit erreicht und dann wieder der EU beitreten kann.

 

Hast du Sorge, dass der Brexit auch Auswirkungen auf das Touren haben wird?

Auf jeden Fall. Stell dir vor, du musst als Band zukünftig dutzende Visa für die unterschiedlichen Länder beantragen, das Merch immer wieder verzollen, etc. Das wird das Touren für britische Bands enorm verteuern. Auch für Bands wie uns, die auf einem Label sind. Für viele junge Bands wird das Touren durch Europa damit unmöglich werden. Andersrum werden Bands aus Europa kaum noch nach Groß Britannien kommen. Warum sollte ich als deutsche Band diese enormen Kosten auf mich nehmen, um in einem Land zu touren, dass nicht mehr Teil von Europa sein will? Das ist doch lächerlich.

 

Welche Bedeutung steckt vor diesem Hintergrund im Albumtitel?

Ich war in einer schlechten Beziehung, arbeitete in einem miesen Job, habe zu viel gefeiert – Aberdeen macht es einem in der Hinsicht zu einfach, sich selbst in diesen destruktiven Situationen zu halten. Es ist zwar immer noch meine Heimatstadt, ich empfinde immer noch so etwas wie Liebe für die Stadt - meine Familie und Freunde leben alle dort - aber letztlich ist es einfach ein Ort, an dem ich nicht mehr sein will. Aberdeen ist also das absolute Gegenteil von „Paradies“. Allerdings glaube ich auch, dass es aktuell keinen Ort auf der Welt gibt, auf den das zuträfe.

 

Ist die brennende Zeitung auf dem Cover auch als Statement zu verstehen?

Absolut. Wir wollen damit ein Zeichen setzen gegen all die schmierigen Boulevardblätter wie Daily Mirror oder Sun. Das sind keine echten Zeitungen, dort arbeiten keine echten Journalisten. Sie transportieren nur den Hass der rechtsgerichteten Regierung. Also scheiß auf die.

 

Kann man vor dem Hintergrund erwarten, dass das nächste Album noch politischer und härter wird?

Keine Ahnung, gut möglich. Wir haben schon mit dem Schreiben begonnen und die jetzige Situation und die daraus resultierende Frustration werden auf jeden Fall Thema sein. Es ist aber noch zu früh, um sagen zu können, in welche Richtung es sich am Ende entwickeln wird. Hauptsache, es wird besser als das vorige. Das ist immer unser Ziel, wir wollen uns immer selbst übertreffen.

 

Wir bleiben gespannt. Ihr betretet nun in wenigen Minuten die Bühne – wie aufgeregt seid ihr nach so langer Bühnenabstinenz?

Wir sind verdammt aufgeregt, aber gleichzeitig ist die Vorfreude natürlich riesig. Wir hoffen, dass jeder die Show genießt!