Interview mit DIE NERVEN

14.03.2019
 

 

Im Rahmen des dritten Abschnitts ihrer "Fake"-Tour haben wir uns in der Essener Zeche Carl mit Bassist und Sänger Julian Knoth sowie Schlagzeuger Kevin Kuhn über ihre Band DIE NERVEN und viele weitere Themen unterhalten.

 

Lasst uns als erstes über euer neues Album „Fake“ sprechen. Das wurde ja von Ralv Milberg produziert. Ich musste ihn erstmal recherchieren, er kommt bei euch aus der Ecke Stuttgart. Da war die Rede von einem mobilen Studio, mit dem ihr in der Toskana aufnehmen konntet.

Kevin: Er hat aber auch ein festes Studio, sowohl als auch.

 

War es denn Absicht von euch, lokal aufzunehmen oder wie seid ihr damals auf ihn gekommen?

Kevin: Wir arbeiten schon seit dem zweiten Album mit Ralv. Quasi auch seit dem Beginn unserer professionellen Laufbahn, wenn man so will. Weil er uns dadurch eine Art Mentor geworden ist und versteht was wir rüberbringen wollen, sind wir nicht von ihm abgewichen. Er ist ein phänomenaler Tonmeister. Er ist in erster Linie in den letzten Jahren schon durch härteren Gitarrensound und Noise Rock aufgefallen, also durch uns, HUMAN ABFALL,…

Julian: KARIES.

 

Das ist eine Band, in der du auch mal gespielt hast, oder Kevin?

Kevin: Ja, genau. Auch wenn ich die nicht wirklich in diese Ecke stellen würde. Er hat beispielsweise auch die Band BEES MADEHONEY IN THE VEIN TREE aufgenommen, die gerade in der Stoner-Richtung ziemlich durchstarten. Ralv ist aber eigentlich befähigt, auch klassische Musik sehr hochwertig aufzunehmen. Es kam dazu tatsächlich ganz blauäugig, als Ralv uns bei einem Konzert im Jugendhaus Coma in Esslingen mal gemischt hat und mit uns zusammenarbeiten wollte.

 

Die Frage rührt letztendlich auch daher, weil ihr inzwischen ja schon eine recht große Band seid und viele dann in ein dickes Studio und zu einem dicken Produzenten gehen. Ich kenne euch durch eure letzten beiden Alben, habe aber auch das ältere Zeug gehört. Es klingt schon alles sehr nach einem Guss, vielleicht wolltet ihr das auch.

Julian: Unser erstes Album haben wir noch selbst produziert. Zur Zusammenarbeit mit Ralv kam es dann bei „Fun“, was sozusagen unser erster kleiner Durchbruch war. Wir sind daher auch zusammen als Einheit gewachsen. Der Prozess war ganz organisch. Und jetzt sind wir da, wo „Fake“ ist und wie es klingt.

 

Auch euer Label Glitterhouse Records musste ich googlen und kannte es nicht.

Kevin: Und das nach elf Jahren Journalistenerfahrung (lacht)!

 

Es sind eben nicht die Gefilde, in denen ich mich sonst so rumtummele. Aus dem Roster des Labels kenne ich nur Rocky Votolato. Vorher wart ihr ja auf This Charming Man Records, die und deren Künstler kenne ich schon. Wie kamen denn der Wechsel und die Zusammenarbeit mit dem aktuellen Label zustande?

Kevin: Der Wechsel kam so zustande, dass wir nach „Fun“ tatsächlich ein wenig die Fühler ausgestreckt haben, ob noch mehr geht als This Charming Man. Obwohl es ein hervorragendes Label ist und wir immer noch sehr gut mit Chris befreundet sind. Es hat sich dann ergeben, dass jemand von Glitterhouse uns dann beim Eurosonic gesehen hat. Zu dir (Julian) hat er glaube ich gesagt, dass ihm die Show gefallen hat. Und so kam ein oberflächlicher Kontakt zustande.

Julian: Und genau zu dieser Zeit haben wir eben auch gesucht, weshalb das so zusammenkam. Insgesamt könnte man sagen, wenn man uns mit Ralv, unserer Bookingagentur und Glitterhouse in Verbindung sieht, ist uns auch wichtig, dass wir so „businessmäßig“ trotzdem eine familiäre Atmosphäre haben und es auch menschlich passt.

Kevin: Glitterhouse hat eine ziemlich wichtige Indie- und Alternative-Vergangenheit. Die waren Ende der 80er und Anfang der 90er der europäische Vertrieb für u.a. Subpop und für Waterfront aus Australien. Da sind ziemlich viele coole Sachen erschienen. Kennst du beispielsweise die Band TAD? Das ist eine Grungeband, die mit NIRVANA mal auf Tour war. Die haben ihr erstes Album bei Glitterhouse rausgebracht. Derzeit sind mit Ausnahme von vielleicht WOVENHAND überhaupt keine Acts dabei, die man mit unserer Art von Musik vergleichen kann. SEΛ + ΛIR sind auch drauf, weil sie auch aus der Nähe von Stuttgart sind, aber ansonsten sind wir wie gesagt in dieser Richtung die einzigen. Vielleicht kanntest du deshalb das Label nicht.

 

Ihr seid mit „Fake“ auf Platz 13 der Albencharts gelandet. Was bedeutet das genau? Ich blicke nicht mehr durch, was genau in diese Wertung einfließt. CDs, Vinyl und Downloads?

Julian: Es kommt schon irgendwie zusammen, geht aber letztendlich nicht mehr nur um die Anzahl an physisch verkauften Tonträgern, sondern um den Umsatz. Deswegen machen viele Bands solche Boxen, weil die den Umsatz steigern. Das haben wir nicht gemacht. Wir hatten viele Vorbestellungen, das kommt da ja alles mit rein. Außerdem waren wir in der Woche der Erscheinung und danach noch auf Tour. Daher wurden unsere Verkäufe von der Tour auch gemeldet.

 

Man kann also quasi auch ein bisschen was timen.

Julian: Ja, das ist ein gängiges Vorgehen. Wenn man ein paar Sachen beachtet und plant, kann man da schon ein bisschen was machen. Dass es aber dann tatsächlich Platz 13 wird, war dann schon überraschend. Auch von der Labelseite und durch die Tour in der Erscheinungswoche war es so geplant, dass man in die Charts kommt, um es eben mal so „zu machen“. Aber das war natürlich viel mehr, als wir erwartet haben.

Kevin: Was das letztendlich bedeutet, liegt glaube ich im Auge des Betrachters. Man kann sagen, dass wir in einer Woche sehr viel Tonträger abgesetzt haben, auch mit den Vorbestellungen. Oder wir sind halt ein „legitimer Chart-Act“.

 

Wie lange seid ihr denn dringeblieben?

Julian: Zwei Wochen.

Kevin: Ja, die zweite Woche waren wir noch auf Platz 45. Dann hat es sich doch noch ein bisschen länger gut verkauft.

Julian: Und ohne Tour in der zweiten Woche dann. Ob wir durch die Verkäufe letztendlich unsere Kosten für das Album decken können, können wir jetzt noch gar nicht abschätzen, weil es noch keine endgültige Abrechnung gegeben hat.

 

Habt ihr denn noch Jobs nebenbei, die mit eurer künstlerischen Tätigkeit verbunden sind?

Kevin: Jeder macht irgendwie noch etwas anderes neben der Band, aber niemand wirklich so komplett 9 to 5. Vielleicht am ehesten Julian.

Julian: Ne, auch nicht so.

Kevin: Max nimmt halt andere Acts auf.

Julian: Ich glaube, er macht letztendlich schon am meisten.

Kevin: Ich spiele noch in einigen anderen Bands. Es ist so, dass wir nicht gezwungen sind, 9 to 5 zu arbeiten, um das Musik machen zu ermöglichen. Das ist Gott sei Dank nicht mehr der Fall. Es ist aber schon ein Mischmasch.

Julian: Und es ist natürlich auch die Frage, wie lange das gut geht.

 

Ja, man zahlt ja beispielsweise auch keine Rentenbeiträge ein und so weiter. Gerade im Punk und im Hardcore ist es ja auch sehr verpönt, als Band seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Man ist dann schnell ein Sellout. Ich sehe das als absoluten Schwachsinn.

Julian: Ja, das war mir auch immer egal. Sellout-Vorwürfe kommen eben auch schon sehr früh, wenn man noch gar nicht wirklich was verdient.

 

Weil die Fans der ersten Stunde es eben für sich haben wollen.

Julian: Genau, es ist letztendlich nur Distinktion. Es geht gar nicht um das Ausverkaufs-Ding an sich, sondern dass die Fans der ersten Stunde sich dann über die neueren Fans stellen wollen. Das finde ich eigentlich schade, denn letztendlich geht es um Musik und auch darum, dass die Musiker sich vielleicht mal nicht immer nur extrem selbst ausbeuten, um DIY und true zu sein. Es geht dabei ja letztendlich auch um die Gesundheit und so weiter.

 

Ja, das tun ja genug kleine Acts. Ich war bisher in drei Bands und bis man zu einer gewissen Stufe kommt, ab der es sich auszahlt, legen doch zigtausende Bands drauf.

Julian: Eben, da hatten wir schon großes Glück. Bei uns lief es schnell und gut an, sodass wir eigentlich nie wirklich draufzahlen mussten.

 

Dann mal sehen, wo das nächste Album in den Charts so landet. Ihr seid momentan auf dem dritten Teil eurer „Fake“-Tour, die sich größtenteils in deutschsprachigen Ländern abspielt, richtig?

Kevin: Holland, Kroatien, Dänemark haben wir auf den ersten beiden Tourneen gespielt und sind auf dieser Rutsche noch einmal in Kopenhagen. Österreich, Schweiz, Brüssel in Belgien. In Tschechien und Slowenien waren wir diesmal nicht.

 

Manche Städte habt ihr auf den verschiedenen Tourneen auch mehrfach bespielt, oder?

Julian: Ja.

Kevin: In Hamburg waren wir zwei Mal.

Julian: Das erste Mal war dort halt nur in einer 200er-Location.

Kevin: Man wollte da ursprünglich noch umbuchen, aber das ging nicht.

 

Es liegen zwar viele Monate dazwischen (letztes Jahr April, im Oktober und jetzt Anfang 2019 nochmal), aber habt ihr nicht auch Angst, deutsche Städte zu „overplayen“?

Kevin: Nein, nein. Wir touren ja inzwischen auch viel unregelmäßiger als früher.

Julian: Wir hatten auch eine längere Pause zwischen Ende 2016 und dann haben wir 2017 glaube ich insgesamt nur fünf Konzerte gespielt, ein paar davon auch in der Schweiz. Also quasi ein Jahr, in dem wir gar nicht gespielt haben.

Kevin: Ich denke, nach der Zeit, die wir zusammenspielen, kann man auch gut abschätzen, ob sich das wirtschaftlich und vom Aufwand her lohnt.

Julian: Man kann eigentlich in jeder Stadt einmal pro Jahr spielen.

Kevin: Easy.

Julian: Und man kann denke ich auch 5x in Berlin spielen, oder 2x in Städten wie München, Köln oder Hamburg.

Kevin: Es kam vor, dass Leute sechs Wochen nach dem letzten Konzert in Wien schrieben, dass wir nach Wien kommen sollten. Naja, man muss es halt abwägen.

Julian: Es waren schon immer auch ein paar Daten im Ausland mit dabei. Ich hatte das Gefühl, dass es im Oktober gar nicht so viele Konzerte in Deutschland waren. Eher auf diesem Tourabschnitt. Aber wir waren beispielsweise nur ein oder zwei Mal im Osten. Bisher nur in Leipzig, und jetzt kommen wir nochmal nach Rostock. In Dresden haben wir gar nicht gespielt.

 

Vermutlich ist es auch eine Sache der Größenordnung.

Julian: Wir spielen schon regelmäßig, aber ja keine 50 Konzerte im Jahr. Es gibt Bands, die spielen 100 Konzerte im Jahr in Deutschland. Bei uns beläuft es sich glaube jetzt so auf 30 bis 40 pro Jahr, insgesamt.

 

Die Tourneen liefen also auch so, wie ihr euch das vorgestellt habt oder sogar besser?

Kevin: Ich habe mir gar nichts vorgestellt, aber jetzt lief es eigentlich so gut wie noch nie.

Julian: In kleineren Städten ist es auch oft ausverkauft, auch unter der Woche. Das finde ich schön.

 

Ich habe mich auch etwas gewundert, dass ihr hier in der Zeche Carl spielt. Der Raum ist ja ziemlich groß. Da passen doch über 500 Leute rein?

Kevin: 750 haben sie vorhin gemunkelt. Aber nur, wenn die Empore auch offen ist.

 

Da bin ich ja mal gespannt. Ich dachte nämlich: „Ganz schön großer Laden“. Unter der Woche 750 Leute fände ich sehr krass.

Kevin: Obwohl wir in Köln schon mehrere Jahre hintereinander ausverkaufen. Viele Leute kommen ja dann auch auf mehrere Shows in NRW.

 

Ich habe jetzt auch gesehen, dass ihr für das C/O Ehrenfeld bestätigt sei. Das ist ja sogar umsonst. Fände ich gut, das ist bei mir um die Ecke.

Kevin: Komm vorbei!

 

Mach ich, wenn ich dann in Köln bin. Nochmal zu eurem Album. Ich habe letztens auf einem Konzert einen Dude getroffen, der euren grauen „Fake“-Pulli anhatte. Und dann haben wir uns sehr lange darüber unterhalten. Er hat den Namen extrem abgefeiert, bzw. dass da „Fake“ auf dem Pulli steht. Es würde so viel aussagen. Eine Art Statement über unsere aktuelle Zeit, das alles umfasst. Fake News, Fake Personality auf Social Media und so weiter. Was genau bedeutet es für euch? Liegt er damit richtig, wenn er so etwas darüber sagt?

Kevin: Du hast alles eigentlich schon gesagt.

Julian: Eigentlich auch ein ziemlich allgegenwärtiger Begriff in den letzten Jahren. Und halt auch ein bisschen das Überthema für das ganze Album, textlich gesehen. Es geht viel darum, was echt, falsch, richtig ist.

 

Aber geht es auf dem Album nicht auch viel um Selbstfindung?

Julian: Ja, bei einem Song.

 

Und bei den anderen eher um „die Anderen“?

Julian: Ne, es hat schon auch viel mit dem Selbst zu tun, natürlich. Ich schreibe circa die Hälfte der Texte. Dabei habe ich schon ein wenig probiert, den „Zeitgeist“ einzufangen. Aber eben auf eine Art, die auch etwas zeitloser ist.

 

Ich finde, man hat Assoziationen mit „Fake“. Gerade wenn es auf so einem Pulli steht. Dann scheint das ja wie eine Anschuldigung an den anderen, der es liest.

Kevin: Eigentlich wie eine Brandmarkung, oder? Wenn man so an sich runter oder in den Spiegel starrt...

 

Stimmt, das kann es auch sein. Wenn du 50% der Texte geschrieben hast, gab es dann bei dir ein Motiv wie „Ich hätte das gerne anders“ oder „Ich finde das zum kotzen“ oder war es eher eine Bestandaufnahme?

Julian: Eher eine Bestandaufnahme und gar nicht so sehr eine Wertung. Man sollte auch nach sich selbst schauen, wenn es um das Thema geht. Und ich denke, dass man selbst auch ganz oft „Fake“ ist und nicht ehrlich in dem Sinne. Sich darstellt. Aber ich will das eigentlich gar nicht bewertet, weil das jeder irgendwie anders macht und anders machen darf. Es geht auch ein bisschen darum, was das mit einem selbst macht. Was macht die Welt, in der man nicht mehr so gut unterscheiden kann, was wahr und falsch ist, mit dir selbst? Mit Wertungen und Vorurteilen tu ich mich schwer. Das möchte ich auch nicht transportieren.

Kevin: Das schwimmt ja alles mit bei der Selbstfindung. Zum Beispiel, ob man sich anpassen möchte. Ob man dann auch „Fake“ ist, weil man sich selbst verleugnet.

Julian: „Fake“ als Begriff ist auch sehr vielschichtig und hat viel Bedeutung. Uns ist es wichtig, auch lyrisch, dass es mehrere Bedeutungsebenen zulässt.

 

Ich würde sagen, das zieht sich ja auch durch die vorherigen Werke. Bis auf die erste EP handelt es sich bei den Albumtiteln ja um einzelne Worte, die ziemlich offen sind. Auch die Texte geben meiner Meinung nach viel Raum.

Julian: Wenn du beispielsweise „Finde niemals zu dir selbst“ nimmst. Da geht es mir gar nicht darum, dass es ein Song gegen Selbstfindung ist. Sondern, dass es gar nicht immer unbedingt um dieses Ziel gehen muss. Das ist es, was mich gesellschaftlich manchmal etwas stört. Es gibt so einen Druck, zu sich selbst zu finden.

 

Und sich auch selbst zu optimieren.

Julian: Ja, genau. Und der Leistungsdruck passt mir eigentlich nicht. Deswegen geht der Text eher in die Richtung „Man sollte dazu stehen, wie man ist und den Weg mitnehmen.“ Vielleicht schon irgendwie an sich arbeiten, reflektieren, was man machen und wie man sein will. Aber eben nicht aus einem gesellschaftlichen Druck heraus. Was ist überhaupt, wenn du dich selbst gefunden hast? Das finde ich so abstrakt. Im Leben setzt man sich ja eben auch mit positiven und negativen Dingen auseinander, und nicht nur mit den positiven.


Und das Selbst verändert sich auch. Wenn ich den Songtext höre, denke ich, er klingt eben ein bisschen verzweifelt. Vielleicht aufgrund unserer Konditionierung, weil wir denken, wenn man sich selbst nicht findet, ist irgendwas falsch. So, wie du es erklärt hast, passt es aber auch. Gerade auch, weil die Musik verhältnismäßig fröhlich ist für eure Maßstäbe.

Julian: Und so sehe ich den Song auch. Er ist nicht gegen irgendwas. Das kommt wegen dem Refrain vielleicht so rüber. Für mich persönlich ist es eine Art Hymne darauf, den Weg und das Leben letztendlich zu feiern, zu genießen, wahrzunehmen. Den Druck nehmen. Wofür macht man sich den?

 

Ich habe mich noch ein bisschen in eurem Wikipedia-Artikel umgesehen und mir auch eure Israel-Doku angesehen. „Die Erfindung der RAF durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 69“ ist ein Theaterstück, an dem ihr mitgearbeitet habt. Findet man das Stück noch im Internet, oder war das eine einmalige Sache?

Julian: Es gibt Mitschnitte von Inszenierungen.

Kevin: Vielleicht auch irgendwo noch einen Trailer.

Julian: Du kannst auf der Seite oder dem Youtube-Kanal von der Schaubühne Berlin vielleicht was finden (Anm. d. Red.: https://www.youtube.com/watch?v=Dj2LrA6fQRY ).

 

In welchen Städten habt ihr das denn gemacht?

Kevin: Stuttgart und Berlin.

Julian: Es war eine Co-Produktion von der Schaubühne Berlin und dem Stuttgarter Schauspiel. Und so war es auch aufgezogen, relativ groß. Es hat dann aber doch relativ oft nicht so gut geklappt mit dem Spielen, weil es eben Schauspieler aus zwei verschiedenen Häusern waren.

Kevin: Ich denke auch, das hat sich jetzt erledigt. Vor etwa einem Jahr hieß es nochmal, dass es nochmal aufgeführt werden soll.

 

Über welchen Zeitraum lief es denn?

Julian: April 2016 bis Sommer 2017.

Kevin: Ja, Juli oder so.

Julian: Und dann wurde es ein Dreivierteljahr nicht gespielt und dann haben sie nochmal gefragt, als wir schon unsere Release-Tour stehen hatten. Das wäre wohl die letzte Möglichkeit gewesen. Aber es gab dann noch einen Intendantenwechsel in Stuttgart. Der Regisseur Armin Petras, der das Stück auch inszeniert hat, ist der Intendant in Stuttgart gewesen und war dann weg. Deswegen werden da auch nicht mehr alle Stücke übernommen. Aber gegen Ende war es ehrlich gesagt auch ein bisschen zäh, das Ding zu spielen.

 

Wie sah das denn aus? Habt ihr dazu Musik geschrieben und die performt, oder habt ihr eher gejammt und begleitet?

Kevin: Alles.

Julian: Eigentlich alles. Am Anfang hieß es, wir sollten so 20 Minuten auf der Bühne sein. Aber am Ende waren wir einfach die ganze Zeit auf der Bühne und haben immer wieder untermalt, Songs gespielt, also wirklich alles.

Kevin: Wir haben zum Beispiel das Lied „Dreck“ gespielt. Wir haben eine Rohversion von „Neue Wellen“ gespielt. Auch eigens dafür komponierte Songs wie „Die Durchreiche“. Wir haben auch Pseudo-Coverversionen gespielt, von CREAM und den BEATLES, also nicht wiedererkennbar. Und Jams haben wir auch gespielt, mit einigen der Schauspielerinnen und Schauspieler. „Girlanden“ von Fun haben wir auch gespielt.

 

Klingt doch nach einem sehr offenen Projekt, wo ihr einfach auch mal spontan etwas anderes ausprobieren könnt. Auf einer eigenen Tour seid ihr ja festgelegter.

Julian: Im Prinzip schon, ja. In der Umsetzung war es dann aber doch anders. Wenn man es immer wieder spielt, muss man letztendlich auch immer das Gleiche machen. Weil eben alle Cues von den Schauspielern mit dranhängen. Das fand ich daran so schwierig, dass keine Verbindung zum Publikum da war und keine Dynamik. Was wir hier bei den Konzerten haben, wenn wir so nah am Bühnenrand stehen und einen direkten Austausch unter uns und dem Publikum haben – im besten Fall. Da haben wir eigentlich sogar mehr Raum. Weil wir auch so sicher in unseren eigenen Songs schwimmen können, gibt es Freiheiten in bestimmten Momenten. Bei dem Stück war es sehr strikt. Zweieinhalb Stunden war im Prinzip alles Eins zu Eins immer dasselbe, was wir machen mussten. Trotzdem natürlich eine gute Erfahrung.

 

Ja, und so wie ich das sehe, auch eine seltene Sache, dass eine Punkband so etwas macht. Ihr habt viel Jazz-Anteile in eurer Musik. Da muss man auch spielen und improvisieren können, das kann nicht unbedingt jede Punk-Band.

Julian: Ja, diese Jazz-Sachen kamen schon auch viel über das Theaterstück zustande. Vor allem leises Spielen. Ich glaube für den Entstehungsprozess von „Fake“ war das definitiv eine gute Erfahrung.

 

Hättet ihr vorher vielleicht nicht unbedingt erwartet, dass das euren Sound mit beeinflussen wird?

Julian: Alles beeinflusst ja auf eine bestimmte Art unsere Musik.

 

Wieso habe ich den Namen „Die Nerven“ eigentlich über die Jahre schon so oft gelesen und höre euch jetzt auf einmal? Ich bin eigentlich eher in der Ecke Hardcore und Punk einzusiedeln, was Post-Punk angeht, bin ich nicht sehr bewandert. JOY DIVISION kenne ich natürlich auch.

Kevin: Was gibt’s’n da auch sonst noch so?

 

Ich kenne zum Beispiel auch MESSER, aber auch nur weil zwei der Gründungsmitglieder vorher bei RITUAL, einer deutschen Hardcore-Band gespielt haben.

Kevin: Ich kenne nur PRESS GANG, also Pogo’s alte Band. Ist auch mehr so 70s Drecksau-Punk gewesen.

 

Wenn ihr eure Bandgeschichte ein bisschen skizzieren würden, habt ihr dann einfach am Anfang viele AZs und kleine Läden mit Hardcore- und Punk-Bands gespielt? Jetzt macht ihr das ja nicht mehr so oft.

Kevin: So halb, halb auf den frühen Touren.

Julian: Wir waren da so ein bisschen drin, aber auch nicht so richtig.

Kevin: Ganz am Anfang haben wir alles gespielt, was es so gab. Im ersten Jahr unserer Bandgeschichte waren wir schon mehr in diesen Gefilden unterwegs. Es hat sich aber gemischt mit Indie- und Rock-Clubs oder Kulturcafés.

Julian: Vielleicht kommt das auch über This Charming Man, weil das Label in der Richtung schon ganz gut unterwegs ist. Aber ich habe mich selbst nie zur Hardcore-Szene zugehörig gefühlt.

Kevin: Ich auch nicht, also nicht zur deutschen.

Julian: Ich bin schon ein großer Fan von manchen Bands, auch in gewisser Weise so sozialisiert. DC-Hardcore finde ich wahnsinnig gut. Aber das ist schon eher Post-Hardcore.

 

Dischord-Bands?

Julian: Ja, genau.

Kevin: Ich hatte auch eine richtig intensive Hardcore-Phase, in der ich viel DYS und sowas gehört habe. Moderne Bands aber eigentlich nicht so. Ich mochte den Punkt nicht, an dem es sich mit Metal vermischt hat und Metalcore mag ich überhaupt nicht. Da kenne ich mich gar nicht so aus. Was sind denn momentan eigentlich coole Hardcore-Bands? Magst du CEREBRAL BALLZY?

 

Die habe ich nie gehört.

Kevin: Die machen eher Hardcore mit einer Skatepunk-Kante. Fand ich ziemlich cool, die waren irgendwie erfrischend.

 

Im Moment würde ich sagen, dass TURNSTILE die angesagteste Hardcore-Band sind.

Kevin: Ne, ich hör nur Glam-Rock.

 

Ich höre auch weniger Hardcore als früher. Die Szene hat aber sehr viele Vorteile, weil sie so klein und familiär ist. Der Abhängfaktor gefällt mir.

Kevin: Das findest du aber in jeder Szene.

 

Das kann ich eben nicht wirklich beurteilen. Ich werde bald eine neue Band starten, die nicht in Richtung Hardcore gehen soll und bin mal gespannt, was für Shows wir dann so spielen und welche Leute wir kennenlernen. In der Hardcore-Szene gibt es da schon eine sehr gute Infrastruktur und ich wüsste sofort etliche Leute, die ich um Shows fragen könnte.

Kevin: Kennst du HUMAN ABFALL aus Stuttgart?

 

Vom Namen, ja.

Kevin: Die haben beispielsweise auch, bevor sie überhaupt ein Demo-Tape hatten, eine Tour gespielt. Der Sänger von denen hatte nämlich eine Hardcore-Vergangenheit, auch wenn die neue Musik dann alles andere als Hardcore war.

 

Manchmal denke ich mir auch, dass das ein unfairer Vorteil gegenüber jungen Bands aus anderen Genres ist. Es gibt auch so eine Art Vetternwirtschaft, die mich ab und zu aufregt. Man sieht teilweise hunderte Bands, die sich gleich anhören und die kommen dann gut an, weil die Leute genau dieses Schema F eben wollen.

Julian: Ja, genau. Das hat mich damals auch daran gestört. Die Tatsache, dass es dann doch immer wieder der gleiche Sound ist. Und dass du sofort komplett raus bist, wenn du den nicht machst oder vielleicht zu „artsy“ oder sowas bist.

 

Bei RITUAL war es damals zum Beispiel so, dass sie auf poisonfree (Straight-Edge und Hardcore-Forum, das es früher gab) als „Schwuchteln“ gedisst wurden, weil sie Röhrenjeans anhatten.

Kevin: Sagt man solche Worte im Hardcore?

 

Das war halt vor mehr als zehn Jahren, da kam das mitunter noch vor.

Kevin: Wegen Fashion-Sachen?

 

Ja, genau. Weil der Klamottenstil etwas anders war.

Julian: Sowas mag ich nicht. Das schließt wieder so viele Menschen aus. Das gefällt mir auch gesellschaftlich nicht. Und es gefällt mir auch nicht, wenn man sagt „Wir sind alle links“ aber dann andere Leute ausschließt, weil sie sich anders kleiden. Da kannst du gleich sagen „Ausländer sind scheisse“, da gibt es meiner Meinung nach keinen Unterschied.

 

Ich glaube auch nicht, dass das heutzutage noch jemand sagen würde. Außer vielleicht die absoluten Deppen. Da sehe ich schon Fortschritte. Aber irgendwie passt „Fake“ da auch wieder, teilweise sind es Fake-Fortschritte. Viele Hardcore-Bands hauen dann Parolen raus wie „Gegen Faschismus! Gegen Sexismus! Gegen Rassismus!“, blablabla – aber waren vermutlich noch nie auf einer Demo oder sonst was. Oder dann halt im Van Locker-Room-Talk.

Kevin: Da bist du doch auch schuldig. Bestimmt, oder?

 

Die Grenze ist da finde ich auch schwierig zu ziehen. Fängt Locker-Room-Talk schon an, wenn ich meinen Freunden sage, dass auf der Straße jemand hübsch ist?

Kevin: Ach so, ich kenne Locker-Room-Talk eher so, dass man sich darüber lustig macht.

Julian: Aber das rechtfertigt es natürlich auch nicht. Das ist immer ein bisschen ironisch.

Kevin: Sehr viel Galgenhumor natürlich. Wir sind jetzt nicht solche Jungs, die so abhängen, aber in manchen Momenten tun wir vielleicht kurz so.

 

Ich kenne das auch, so begegnet man ja vielen Themen auch. Mit Ironie und Sarkasmus.

Kevin: Wenn du mich fragst, kommt es auf den Kontext an. Wenn man Sachen nicht mehr sagt wie „Der und die sieht geil aus!“, ob man da nicht an einem gewissen Punkt Lust und Sexualität verneint. Das ist allerdings auch eine flache Aussage, mit der man sich immer so retten will, das mit dem Kontext.

 

Ich finde diese Fragen aber auch nicht so einfach. Vieles wird fast schon dogmatisch von linken und feministischen Leuten gesehen, auch wenn das jetzt auch etwas plakativ und stereotypisch gesagt ist. Es wird etwas für bare Münze genommen und dann ein Verhaltenskodex daraus gemacht. Beispielsweise die Diskussion darum, ob Männer oben ohne auftreten sollten oder sich solidarisch mit den Frauen zeigen sollten, die das eben nicht ohne weiteres können. Manche denken dazu, dass diese Debatte nur an der Oberfläche kratzt und eine scheinheilige Diskussion ist. Dass es viel tieferliegendere, subtilere Probleme gibt.

Kevin: Das ist ein guter Blickwinkel darauf.

Julian: Das stimmt auch. Locker-Room-Talk kommt in manchen Situationen einfach vor. Auch wenn es ironisch ist, ist es sicher nicht richtig, aber es ist auch wichtig, das zu reflektieren und zu wissen, dass es gerade vielleicht in Ordnung ist, aber das nicht immer ist. Man sollte kritikfähig sein, das finde ich wichtiger, als dass man immer irgendwelche Regeln aufstellt. Jeder sollte auch erstmal auf sich selbst schauen.

Kevin: Ich bin da echt zwiegespalten. Ich bin bei manchen Sachen auch voll empfindlich, aber manchmal denke ich mir auch „Was soll’s?“. Gleichzeitig bin ich sehr freiheitsliebend. Manchmal sind es Einschränkungen. Gerade in der Hardcore-Szene ist das so ein unterschwellig steifer Umgang manchmal. Auch wenn das eine boshafte Unterstellung ist, aber manchmal hat man das Gefühl, manche Leute warten nur darauf, bis sie irgendjemanden wieder zurechtweisen können. Da finde ich es viel besser, sich einfach zu unterhalten, anstatt jemanden zurechtzuweisen. Dass man Leuten solche Impulse gibt. Es gibt auch Leute, die tatsächlich eine wunderbarte Art haben, einem etwas nahezubringen. Ich habe da schon alles Mögliche erlebt.

 

Es hat meiner Meinung nach auch viel mit Identität zu sein. Und die generiert sich in dieser Szene häufig über Feindbilder und darüber, wie man nicht sein will, als darüber, was man sein will.

Julian: Voll!

 

Das ist auch ein Problem, denke ich. Es wird immer viel bemängelt und Missstände aufgezeigt, aber es gibt eher wenige Visionen, wie es richtig sein sollte.

Kevin: Teilweise gibt es in diesem Kosmos auch ganze Strömungen, die gegensätzlicher gar nicht sein könnten.

Julian: Mir ist das auch zu einschränkend. Ich sehe das Ganze oft auch mehr als Kunst. Ohne dass es irgendwelchen sexistischen oder rassistischen Scheiss rechtfertigt. Aber wenn du über jeden Satz sprechen musst, finde ich das falsch. Ich sehe eine Band irgendwie auch immer als Kunst und Performance an. Nicht alles ist wirklich echt. Ich beschäftige mich auch gerne mit Texten und spiele mit Sprache, dann ist es manchmal vielleicht auch ein ironischer Umgang mit einem Thema. Wenn man irgendwo reingerät, wo es nur noch um Regeln geht, dann wird sowas eben sehr schwierig.

 

Wie du eben gesagt hast. Wenn es zu kontrolliert wird, ist es irgendwann auch einfach nicht mehr natürlich. Manchmal redet man sich ja auch in einen bestimmten Modus rein, zum Beispiel wenn man auf Tour ist. Wenn man dann beispielsweise mal ein paar Tage am Stück nicht gut geschlafen hat und ständig besoffen war, dann wird man zwangsweise im Kopf auch etwas matschig. Und dann kommt da eben auch mal Unsinn zustande. Wenn ich mir das jetzt selbst verbieten würde, wäre das tatsächlich einschränkend. Manche Leute kennen mich eigentlich auch gut genug, um einen Spruch als Witz zu erkennen, aber sind dann doch brüskiert. Es ist tatsächlich so, als ob sie darauf warten können so etwas zu sagen wie z.B. „Das war jetzt aber zu viel!“, obwohl sie genau wissen, dass es in keiner Weise ernst gemeint war. Kunstfreiheit ist natürlich auch eine spannende Diskussion. Seid ihr NINE INCH NAILS Fans?

Kevin: Geht so. Max ist ein riesiger Fan.

 

Ach, schade. Da gibt es auf „The Downward Spiral“ z.B. einen Song namens „Reptile“, den man vermutlich als sexistisch auslegen könnte, wenn man das wollte. Die Lyrics sind da „She spreads herself wide open to let the insects in // she leaves a trail of honey to show me where she’s been // she has the blood of reptile just underneath her skin // seeds from a thousand lovers drip down from within”.  Das ist also eine sehr visuelle Sprache. So wie ich Trent Reznor einschätze, geht es um die Ästhetik und das Kunstwerk und nicht um eine persönliche Aussage oder so etwas.

Kevin: Ich glaube, beides könnte zutreffend sein.

Julian: Ich kann es nicht einschätzen in dem Fall. Über Kunst kann man streiten, genau wie über Musik und über Geschmack. Das gehört auch dazu. Man sollte sich aber nicht durch diesen Diskurs zu stark einschränken lassen.

 

Mein persönliches Fazit war bei einem Gespräch darüber gestern, dass für mich gute Kunst auch dadurch entsteht, dass manchmal unklar bleibt, wie etwas gemeint sein könnte. Ob man etwas ernst meint oder nicht. Wenn etwas zu offensichtlich ist, ist es halt schnell langweilig. Und genau das macht Trent Reznor auf diesem Album finde ich perfekt. Anderes Thema: Ich habe übrigens auch eine Band-Empfehlung für dich, wenn du auf die alten Dischord-Bands stehst. FIDDLEHEAD, die neue Band vom Have Heart Sänger Pat Flynn.

Julian: Danke. Ich bin ein riesiger FUGAZI-Fan. Bei denen finde ich die Einstellung total gut. Die haben ihre extrem straighte Haltung und Texte, in denen sie sich konkret mit Dingen auseinandersetzen. Zum Beispiel der Song „Suggestion“. Es wird beispielsweise Vergewaltigung thematisiert, aber eben auf keine blöde Art, obwohl Männer diesen Text geschrieben haben. Ihnen ging es aber nie darum, eine Bewegung ins Leben zu rufen. Ich glaube Ian MacKaye wollte auch nie, dass andere Leute wegen ihm Straight Edge sind. Das fand ich immer am besten. Dass er gesagt hat „Ich habe das für mich entschieden, aber ich möchte nicht als der Godfather angesehen werden“.

Kevin: Da gibt es doch sogar so eine lustige Anekdote. Als Ian MacKaye mal mit FUGAZI auf Tour war, ist er auf dem Van gestiegen und er hat Eistee von Nestlé oder sowas getrunken. Die Hardcore-Kids haben ihn dann gefragt, was das soll. Das wäre doch ein globaler Konzern und da wäre doch Koffein drin. Und er meinte einfach „Well, fuck you!“. Das ist einfach die beste Einstellung.

Julian: Er hat eben aus eigener Abwägung diese Entscheidung für sich getroffen, um immer klar im Kopf zu sein. Was daraus geworden ist, ist sehr weit weg von dem, wie er tickt. FUGAZI ist ja letztendlich auch nur ein Schluss daraus, dass er MINOR THREAT hatte und Hardcore mitgeprägt hat, es dann immer brutaler, härter und schneller wurde, Highkicks gemacht wurden und es Brutalität im Moshpit gab. Mit FUGAZI hat er sich dann davon distanziert und musikalisch einen ganz anderen Weg gefunden. So etwas inspiriert mich.

 

Das Gesamtpaket fasziniert einen ja auch an den Bands, die Musik alleine ist es ja nicht.

Julian: Es ist auch interessant, wie die Band dynamisch funktioniert, mit allen Mitgliedern. Drummer und Bassist bilden das Fundament und Ian McKaye und Guy Pichiotto, wie sie quasi gegeneinander spielen die meiste Zeit.

 

Fugazi sind bei mir eine riesige Bildungslücke. Muss ich unbedingt mal nachholen. Ich kenne nur „Waiting Room“, weil BILLY TALENT das vor etlichen Jahren mal gecovert haben.

Kevin: Was ist denn BILLY TALENT eigentlich für eine Band? Die waren irgendwie mit ihrem ersten Album sofort majormässig unterwegs. Haben die überhaupt einen Punk-Hintergrund?

 

Das wüsste ich auch mal gerne.

Kevin: Das wirkte auch schon so technisch präzise. Ich kann mir schon vorstellen, dass die alle schon 10 Jahre plus Musikerfahrung hatten. Aber es war auch so glatt.

 

Gute Frage, aber da war ich echt 13 oder 14 Jahre alt und mega stolz auf mein T-Shirt mit dem Cover vom ersten Album. Ich war der Coolste auf dem Kirmesplatz.

Kevin: Was für ein Jahrgang bist du?

 

89.

Kevin: Ah, wie ich. Ich glaube ich habe zum ersten Mal im alten Universum das Lied „River Below“ gehört. Fand ich gar nicht so schlecht. „Red Flag“ ging mir voll auf die Nerven. Oder wie hieß das?

 

Jaja, das ist schlimm. Ich finde es ist oft so, dass das bekannteste Lied einer Band eigentlich mit das schlechteste ist. Das ist natürlich eine persönliche Meinung, aber ich finde bei OASIS, NIRVANA und PINK FLOYD trifft das beispielsweise zu. „Wonderwall“, „Smells Like Teen Spirit“ und „Another Brick in the Wall” sind meines Erachtens meilenweit entfernt von den besten Liedern dieser Bands. Aber die bleiben halt im Kopf.

Kevin: Das ist natürlich Geschmack. Es gibt auch Acts, bei denen man sagen könnte, dass es nur die coole Hit-Single gibt.

 

PAPA ROACH.

Kevin: FOOL'S GARDEN.

Julian: Aber schau dir mal den Film „Instrument“ an, über FUGAZI. Der begleitet eigentlich in großen Interviewsequenzen und Live-Ausschnitten und stellt die Dynamik der Band gut dar. Für mich sind das zweite Album „Repeater“ und das letzte Album „The Argument“ von 2001 die Favoriten.

 

Das Video zu „Explosionen“ ist vor kurzem rausgekommen. Mich hat es ein bisschen traurig und betroffen gemacht, weil alle die ganze Zeit nur auf ihr Smartphone glotzen, während ihr euch da als Band so anstrengt. Du meintest ja eben, mit Bewertungen tust du dich schwer. Aber das Video geht ja schon in so eine Richtung. Letztendlich ist es wie ein Spiegel von dem, was jeden Tag beispielsweise beim U-Bahnfahren passiert. Ich dachte mir nur „Scheisse, so ist es. Und was machen wir jetzt damit?“.

Kevin: Max Gruber, also DRANGSAL, hat sich das Konzept überlegt. Ich persönlich stehe voll und ganz hinter der Aussage des Videos. Und die ist ja auch relativ offensichtlich. Spielt auch ein bisschen darauf an, dass schon Internetkonzerte gegeben werden und man Geld dafür zahlt, dass man sich dann einen Act in den eigenen vier Wänden anschauen kann, während wirklich irgendwo anders ein Live-Konzert stattfindet. Hat natürlich etwas Dystopisches, was ich immer cool finde.

Julian: Aber es ist schon nah an der Realität.

Kevin: Super nah. Wir sind auch phasenweise ziemliche Social-Media-Junkies.

Julian: Auf jeden Fall! Wir reden uns da als Nutzer überhaupt nicht raus. Ich finde, es darf auch so einen Schockmoment haben. Viele haben dann auch auf Facebook oder Youtube kommentiert: „Ich habe es mir das gerade auf dem Handy angeguckt“. Und der Moment, in dem man das dann checkt, ist irgendwie total gut. Ich bin auch selbstkritisch genug, dass ich sage, dass auch bei mir solche Sachen viel zu viel Raum einnehmen. Es ist für mich aber schon eine Horrorvorstellung, was es teilweise für Ausmaße annimmt. Und das Video zeigt für mich auf jeden Fall so eine Art Dystopie. Wenn wir in dem Zusammenhang nochmal auf unsere Konzerte zurückkommen, finde ich es auch schön, dass relativ wenig das Handy in die Luft gehalten wird. Das bieten wir auch nicht wirklich an.

Kevin: JACK WHITE hat ja auf seinen Konzerten eingeführt, dass man eine Art Schließfach oder Mini-Schließfach hat und nur für Notrufe und solche Sachen auf sein Handy zugreifen kann.

 

Das finde ich gut. Mich stört es bei Konzerten oft am meisten. Und man merkt da teilweise große Unterschiede. Ich war letzten Freitag bei einer Punkband namens DRUG CHURCH im MTC in Köln, und da hat fast keiner gefilmt. Das war mega geil, weil das nochmal war wie vor 10 Jahren, als alle nur stagediven und crowdsurfen wollten. Bei vielen Konzerten ist es aber so, dass nichts passiert, aber alles gefilmt wird. Und zwar zwanzig Mal. Wer guckt das denn alles?

Kevin: Mich stört es, dass nie ganze Songs gefilmt werden.

 

Es geht um die Instagram-Stories.

Kevin: Ja, klar. Früher im Punk wurde fast jede Show zumindest von einer Person ganz gefilmt und man konnte dann die Videokassetten tauschen und gegenseitig überspielen, das finde ich irgendwie cool. Es ist blöd, das von jedem unserer Konzerte eigentlich nur so gesammelte anderthalb Minuten irgendwo im Internet auftauchen. Esseiden wir kümmern uns explizit selbst drum.

Julian: Ich finde es aber cool, dass unser Publikum meistens so tickt, dass es den Leuten um diesen Moment geht und das Konzert.

Kevin: Ja, klar.

 

Gibt es Pläne für internationale Tourneen bei euch? Ihr wart ja jetzt relativ viel in Deutschland und den benachbarten Ländern. Manche Bands machen ja beispielsweise viel Balkan oder so etwas, weil neue Gefilde sie reizen. Oder wäre Amerika für euch möglich? Ist ja für deutsche Künstler meistens schwierig.

Kevin: Haben wir schon gemacht.

 

Echt?

Kevin: Ja, ein Konzert. Wir haben auch in Europa schon sehr viele Länder abgegrast. Von Slowenien, Ungarn, mehrmals Luxemburg. Auch Sachen wie Südostasien oder sowas wäre reizend, wenn es sich anbietet.

Julian: Im Moment ist nichts in der Richtung geplant.

Kevin: Ich weiß, dass wir ein paar Fans in Japan haben. Und wir wurden eben auch mal nach Washington D.C. eingeladen, da haben wir Ende 2017 gespielt.

 

MESSER waren beispielsweise in China und haben das dokumentiert.

Julian: Ja, über das Goethe-Institut. Da kamen bei uns auch schon mehrmals Anfragen rein. Das ist aber ewig her, das war 2013 oder so.

 

Gibt es denn ansonsten irgendwas, was ihr auf eurer Bucketlist draufstehen habt, sozusagen?

Kevin: Auf jeden Fall eine Japan-Tour. Das wäre schon sehr geil. Natürlich wäre es auch mal cool, nach Argentinien oder so zu gehen. Aber da ist halt die Frage wie.

Julian: Japan würde mich schon am meisten reizen. Das Land an sich und auch, dass es soweit weg von dem ist, wie es hier ist.

Kevin: Wenn nicht mit DIE NERVEN dann halt vielleicht mit einer anderen Band und in einem anderen Rahmen. Das wäre sweet. Hauptsache, man zahlt nicht all zu sehr drauf. Denn das können wir uns noch nicht so leisten. Aber in Holland haben wir zum Beispiel auch schon sehr viele Festivals gespielt und auch ein bisschen ein „Standing“ in größeren Städten.

 

Vielen Dank für das Interview!

Julian: Wir danken dir.